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Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl May
Читать онлайн.Название Im Reiche des silbernen Löwen IV
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Nein. Um die Ansicht, daß wir nichts gewußt haben, zu verstärken, sagst du, daß ich nicht daheim sei, sondern einen Spaziergang gemacht habe. Das werde ich auch tun, doch gar nicht weit. Ich sorge dafür, daß ich ihre Ankunft bemerke, und werde mich dann in der Halle einfinden. Jetzt geh! Also mein Frühstück möglichst schnell!«
Er entfernte sich und schickte es mir sofort herauf. Als ich es eingenommen hatte, schloß ich bei mir zu und ging in die Wohnung des Ustad, um die goldene Karte des Schah zu mir zu stecken. Es war leicht möglich, daß ich sie brauchte. Dann schloß ich auch hier zu und ging, aber nicht die Treppe, sondern hinten den Glockenweg hinab, der nach dem Garten, dem Bade und der Pferdeweide führte. Ich sah Niemand, der mich bemerkte. Da es mir darauf ankam, die Ankunft des Scheiks ul Islam zu beobachten, so suchte ich einen Ort, von welchem aus es möglich war, dies unbemerkt zu tun. Der ganze, lange Rand des Gartens und der Weide war mit dichtem Gebüsch eingefaßt, hinter welchem die Gigantenmauer senkrecht niederfiel. Durchdrang ich dieses Strauchwerk bis zur Mauerkante, so bot sich mir dann dort die freie Aussicht, die ich wollte. Ich wendete mich also nach einer Stelle, wo eine Lücke durch die Büsche zu führen schien, sah aber, als ich sie erreichte, daß sie nicht ganz hindurchführte. Sie war vielmehr wie eine Laube geformt und rundum mit einer Rasenerhöhung zum Niedersetzen versehen. Das Grün war hier so wirr und dicht, daß man nicht einmal hindurchsehen und also noch viel weniger hindurchdrängen konnte, ohne Aeste und Zweige loszubrechen. Aber gleich daneben standen einige Tamarisken so, daß ich mich zur Not hindurchdrängen konnte, ohne sie zu beschädigen. Ich tat es, konnte aber nicht ganz bis vor kommen, sondern mußte mich dann nach der Seite, also hinter die Laube, wenden. Dort fand ich, was ich suchte. Es gab genug Zweige, mich vollständig zu verstecken, und doch so viele Oeffnungen zwischen denselben, daß ich das ganze Tal und auch, nur einige Windungen abgerechnet, den zu uns heraufführenden Weg übersehen konnte. Ich machte es mir so bequem wie möglich und richtete mich auf längeres Warten ein, was aber gar nicht nötig gewesen wäre, denn eben, als ich mich lang ausgestreckt und den Kopf in die Hand gestützt hatte, kam von rechts unten eine Reitertruppe, die keine andere als diejenige des Scheik ul Islam sein konnte. Ich zählte freilich mehr als fünfzehn Pferde, doch kamen die überzähligen auf die Dschamikun, welche ihm von dem Grenzduar aus das Geleit gegeben hatten.
Fünf der Tiere waren nach reicher, persischer Reschma-Art geschirrt, eines von ihnen ganz besonders auffallend. Der Mann, welcher auf diesem saß, trug einen Taki-Turban von ungeheurem Durchmesser auf dem Haupte. Von dieser, mit einigen hohen, bunten Federn geschmückten Wulst ging ein weißer Schleier, welcher wie ein Mantel nicht nur den Reiter, sondern auch den ganzen hintern Teil des Rosses bedeckte.
Sollte diese so in die Augen fallende Gestalt etwa der fromme Würdenträger sein? Der Demütige? Der Mann mit den leisen, weichen, geräuschlosen Sohlen? Indem ich mir diese Frage vorlegte, betrachtete ich auch die Andern, welche völlig schmucklos ritten und natürlich dienstbare Personen vorstellen sollten. Einer von diesen hielt sich ganz am Ende. Er trug einen sehr gewöhnlichen Taki-Anzug, saß aber auf einem Pferde, welches meine ganze, übrige Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Die Entfernung war zu groß, als daß ich Einzelheiten bemerken konnte, aber dieser Adel in der Haltung, diese Lebensfülle in jeder Bewegung, diese graziöse Sicherheit des Schrittes und dieses spannkräftige Selbstbewußtsein trotz der Schenkel und Zügel, das war mir genug zu der Annahme, daß es das beste, das wertvollste Pferd von allen fünfzehn sei – — ein Hellbrauner mit zwei weißen Vorderstiefeln!
Der Trupp bog nach dem Wege zum hohen Hause ein. Weil hierdurch die Entfernung sich stetig verringerte, bekam ich dieses Pferd immer deutlicher zu sehen, und indem ich es auf einen Kaufwert von ganz sicher wenigstens neuntausend Mark deutschen Geldes abschätzte, sagte ich mir, daß der Daraufsitzende unmöglich zu den Sijas[28] gehören könne.
Es waren also sonderbarerweise zwei Personen, welche mir nicht als das vorkamen, für was man sie allem Anscheine nach halten sollte. Der Weißverschleierte und der letzte Reiter waren beide höchst wahrscheinlich in ihrer äußern Erscheinung darauf berechnet, uns zu täuschen. Der Eine sollte höher, der Andere niedriger erscheinen, als er eigentlich stand. Die Würde des Ersteren konnte mir gleichgültig sein, die des Letzteren aber nicht. Wenn von diesen Leuten einer überhaupt mehr war, als er zu sein schien, so hatte ich gewiß alle Veranlassung, mit meiner Vermutung nicht nur bis zur nächsten, sondern gleich bis auf die höchste Stufe zu steigen: Der vermeintliche Reitknecht war der Scheik ul Islam selbst!
Indem mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, sah ich Tifl, welcher drüben auf dem Wege erschien, um aus irgend einem Grunde hinab nach dem Duar zu gehen. Er wußte nichts von der Ankunft dieser Leute und blieb darum überrascht stehen, als er sie erblickte. Als sie ihn erreichten, sprach er auf sie, und da war es mir höchst interessant, zu bemerken, daß ihn die voranreitenden Vornehmen von sich ab und auf den letzten Reiter verwiesen. Das war ein Umstand, durch welchen meine Vermutung fast zur Gewißheit erhoben wurde.
Er winkte den Andern zu, weiter zu reiten, und blieb bei Tifl stehen. Dieser Wink verriet mir, daß er der eigentlich Befehlende sei. Sie sprachen eine kleine Weile miteinander; dann ließ der Fremde seinen Hellbraunen wieder vorwärtsgehen, und Tifl kehrte um und schritt, sich lebhaft mit ihm unterhaltend, an seiner Seite, bis beide hinter der letzten, obersten Biegung des Weges verschwanden.
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