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Im Reiche des silbernen Löwen II. Karl May
Читать онлайн.Название Im Reiche des silbernen Löwen II
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Die Sonne wollte untergehen, und so stiegen wir wieder hinab zu unsern Pferden, um die Decken für das Nachtlager auszubreiten. Dabei gelangten wir auf einen Vorsprung des Trümmerkolosses, von welchem aus wir etwas sahen, was uns ganz oben doch entgangen war.
Es gab nämlich einen alten Kanal, welcher, im Sommer wohl stets austrocknend, jetzt voll Wasser war und, grad auf den Birs Nimrud zuführend, diesen nicht ganz erreichte, sondern in der Entfernung von vielleicht einer Viertelwegsstunde von demselben endete. Er mußte mit demselben in Verbindung stehen, und wir sahen eine Anzahl von Fahrzeugen sich auf ihm bewegen.
»Wer mag das sein, Sihdi?« fragte Halef.
»Das weiß ich natürlich ebensowenig wie du,« antwortete ich. »Vielleicht kann es uns gleichgültig sein; wir wissen nicht, welche Richtung diese Fahrzeuge haben. Wollen sie betrachten.«
Wir thaten das und bemerkten schon nach kurzer Zeit, daß sie sich nicht entfernten, sondern näherten. Da wir auf solche Entfernung nicht von dort gesehen werden konnten, blieben wir noch eine Weile stehen; dann aber mußten wir die Stelle doch verlassen, weil wir sonst in der Gefahr standen, ihnen sichtbar zu werden. Indem wir hinunterstiegen, sagte Halef:
»Sihdi, ich habe einen Gedanken; aber ob er der richtige ist, das weiß ich nicht.«
»Er betrifft die Leute dort auf den Fahrzeugen?«
»Ja.«
»Nun?«
»Ich denke an das, was die Boten des Säfir sagten, nämlich daß Leichen« den Euphrat herunterkommen würden. Lache mich nicht aus!«
»Das fällt mir gar nicht ein, denn ich habe ganz denselben Gedanken, obgleich ich keinen Grund finde, anzunehmen, daß es sich grad um diese Leichen« und um nichts anderes handle.«
»Aber bedenke, daß wir, wenn diese Vermutung die richtige ist, es mit dem Säfir zu thun haben!«
»Das bedenke ich allerdings.«
»Wir müssen vorsichtig sein. Der Ort, wo wir lagern wollen, liegt grad auf der Seite der Ruine, nach welcher diese Leute kommen werden.«
»Wenn sie überhaupt kommen, ja, dann freilich. jetzt müssen wir es ruhig abwarten, ob sie dies beabsichtigen. Der Art und Weise nach, in welcher sie sich bewegten, sind die Fahrzeuge nicht Boote, sondern kleine Kelleks, welche man bis an das Ende des Kanales rudern wird. Was dann geschieht, werden wir erfahren. Diese Leute können etwas vorhaben, was sie nur nach jener Stelle führt und nicht weiter; sie können die Kelleks aber auch mit Gegenständen beladen haben, welche dann von dem Kanale aus nach den Ruinen geschafft werden sollen. In diesem Falle führt die gerade Linie allerdings auf uns zu, was freilich noch lange nicht besagt, daß sie grad nach dem Punkt kommen müssen, wo wir uns befinden. Wir werden wachsam sein und schon jetzt dafür sorgen, daß wir wenigstens für unsere Pferde eine Stelle finden, wo sie nicht so offen wie jetzt stehen, nämlich zwar am Rande des Schuttberges, aber doch auf der freien Ebene. Es ist glücklicherweise noch hell genug, nach einem solchen Versteck zu suchen.«
Als wir unten ankamen, gingen wir am Fuße der Ruine hin, und es dauerte gar nicht lange, so bemerkte ich etwas, was meine Aufmerksamkeit erregte, obwohl es mit unserer Absicht, einen verborgenen Ort für die Pferde zu suchen, nicht zusammenzuhängen schien. Es gab da nämlich eine Halde lockeren Schuttes, aus vollständig verwitterten und zerfallenen Luftziegeln bestehend, welche von oben herabgefallen waren. An dieser Halde führte da, wo wir jetzt standen, eine Fährte empor. Ich glaube nicht, daß sie ein anderer, zumal ein Beduine, entdeckt haben würde; aber für ein in den Prärien und Urwäldern Amerikas geschärftes Jägerauge war sie deutlich genug. Ich deutete auf sie und fragte meinen kleinen Hadschi:
»Siehst du diese Spuren, Halef?«
»Spuren?« fragte er verwundert. »Ich sehe nichts. Was für Leute sollen da hinaufgestiegen sein?«
»Es handelt sich nicht um Menschen, sondern um Tiere, welche öfters hier auf- und abwärts zu spazieren scheinen.«
»Wohl gar Löwen!« lachte er.
»Das nicht. Es sind kleine Tiere, die hier einen oft benützten Pfad zu haben scheinen.«
»Möglich! Ich sehe nichts; auch kann uns der Spaziergang dieser kleinen, uns unbekannten Tiere gar nicht interessieren. Komm, wollen weiter!«
»Nein. Wir suchen ein Versteck, und die Tiere, welche hier verkehren, sind keine zahmen, sondern wild; wilde Tiere aber pflegen verborgene Lagerstätten zu haben; wir werden diesen Spuren folgen.«
Wir stiegen also die Halde empor und kamen an eine von unten nicht bemerkbare Stelle, wo sie einen nach der Ruinenwand führenden Einschnitt hatte, der sich durch die Mauer fortzusetzen schien. Ob hier einst ein Thor gewesen oder die Mauer aus einem besondern Grunde an dieser Stelle verwittert und eingestürzt war, das ließ sich nicht sagen, aber die Lücke war groß genug, nicht nur uns, sondern auch die Pferde durchzulassen. Wir drangen in sie ein. Sie führte lang und schmal durch gewaltige Ziegelmassen nach einem viereckigen Innenraum, der am besten mit einem sogenannten Lichthofe zu vergleichen war, obgleich wir keine Fenster sahen, die sich vor Zeiten nach ihm geöffnet hatten. Seine Umfassungsmauern waren an vielen Stellen zerrissen und abgebröckelt, und der Boden, auf welchem wir uns befanden, bestand aus lockerem Ziegelmehl, welches hier Stockwerke tief zu liegen schien. Es war in diesem Innenhofe dunkler als draußen, dennoch sahen wir die Losung der betreffenden Tiere in ziemlicher Menge herumliegen und entdeckten nun auch, welcher Art sie waren; es schien hier ihr Kampf- und Tummelplatz zu sein, denn wir sahen große Borstenflocken und viele Stacheln rund umher, welche den Besiegten ausgerissen oder abgebrochen worden waren.
»Maschallah!« rief Halef aus. »Wir scheinen da einen Suk el Kanafid[26] entdeckt zu haben. Meinst du nicht auch, Sihdi?«
»Ja,« antwortete ich. »Dieser so tief versteckte Hof, der wohl seit zwei Jahrtausenden von keines Menschen Fuß betreten wurde, paßt einzig gut für diese nächtlichen Stachelborster. Sie können in dem weichen Schutte und den zu Mehl zerbröckelnden Mauern leicht ihre Gänge graben, die oft von bedeutender Tiefe sind – — – ah, da fällt mir das Gemach ein, in welches der Bimbaschi eingesperrt worden ist! Er sagte, daß es da Stachelschweine gegeben habe; er sprach von einem Erdhaufen in der Erde, und ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß dieser Haufen aus zerfallenen Ziegeln bestanden habe, durch deren Mehl diese Tiere leicht hineinkommen konnten. Es hat da also einen Gang für sie gegeben. Ob der wohl auch für Menschen weit genug wäre? Und ob dieser Gang vielleicht gar in diesen Hof hier mündet?«
»Sihdi, träume nicht! Du willst da Dinge zusammenbringen, welche gar nicht zu einander gehören!«
»Woher weißt du, daß sie nicht zusammen gehören?«
»Die Höhe stimmt nicht.«
»Wieso?«
»Nach der Beschreibung des Bimbaschi hat das Gefängnis höher gelegen, als wir uns hier befinden.«
»Ja, hier an dieser einen Stelle; aber dort vor uns, von dieser bis zu dieser Ecke steigt der Schutt fast um ein Stockwerk höher an und – — schau hin! Siehst du die Löcher, welche in die zerissene Mauer führen?«
»Hm! Ich sehe sie; aber ich wundere mich, daß die Kanafid grad da einen Gang gegraben haben sollen, wo du einen brauchst?«
»Brauchst? Ich brauche keinen, denn ich bin nicht gefangen. Ich verbinde Umstände, welche im Zusammenhange zu stehen scheinen, vollends miteinander, und ob ich da recht habe oder nicht, das hat keine Folgen für uns; aber dennoch werde ich diesen Hof hier morgen etwas eingehender untersuchen, als es jetzt möglich ist. Wir müssen uns beeilen, denn in zehn Minuten wird es vollständig dunkel sein.«
»Und das Versteck für die Pferde – —
26
Stachelschweinsmarkt.