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Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры. Клаус Манн
Читать онлайн.Название Mephisto. Roman einer Karriere / Мефистофель. История одной карьеры
Год выпуска 1936
isbn 978-5-17-165203-6
Автор произведения Клаус Манн
Серия Goldene Kollektion der Weltliteratur
Издательство Издательство АСТ
Eine Bewegung ging durch den Saal, es gab ein hörbares Rauschen: der Propagandaminister war eingetreten. Man hatte ihn heute abend nicht hier erwartet, alle wußten um seine gespannte Beziehung zu dem fetten Geburtstagskind – das sich übrigens seinerseits noch immer verborgen hielt, um aus seinem Entrée dann den ganz großen Clou zu machen.
Der Propagandaminister – Herr über das geistige Leben eines Millionenvolkes – humpelte behende durch die glänzende Menge, die sich vor ihm verneigte. Eine eisige Luft schien zu wehen, wo er vorbeiging. Es war, als sei eine böse, gefährliche, einsame und grausame Gottheit herniedergestiegen in den ordinären Trubel genußsüchtiger, feiger und erbärmlicher Sterblicher. Einige Sekunden lang war die ganze Gesellschaft wie gelähmt von Entsetzen. Die Tanzenden erstarrten mitten in ihrer anmutigen Pose und ihr scheuer Blick hing, zugleich demütig und haßvoll, an dem gefürchteten Zwerg. Der versuchte durch ein charmantes Lächeln, welches seinen mageren, scharfen Mund bis zu den Ohren hinaufzerrte, die schauerliche Wirkung, die von ihm ausging, ein wenig zu mildern; er gab sich Mühe, zu bezaubern, zu versöhnen und seine tief liegenden, schlauen Augen freundlich blicken zu lassen. Seinen Klumpfuß graziös hinter sich her ziehend, eilte er gewandt durch den Festsaal und zeigte dieser Gesellschaft von zweitausend Sklaven, Mitläufern, Betrügern, Betrogenen und Narren sein falschbedeutendes Raubvogel-Profil. An den Gruppen von Millionären, Botschaftern, Regimentskommandanten und Filmstars huschte er, tückisch lächelnd, vorüber. Es war der Intendant Hendrik Höfgen, Staatsrat und Senator, bei welchem er stehen blieb.
Noch eine Sensation! Intendant Höfgen gehörte zu den deklarierten Favoriten des Ministerpräsidenten und Fliegergenerals, der seine Berufung an die Spitze der Staatstheater durchgesetzt hatte gegen den Willen des Propagandaministers. Dieser war, nach einem langen und heftigen Kampf, dazu gezwungen worden, seinen eigenen Protegé, den Dichter Cäsar von Muck, zu opfern und auf Reisen zu schicken. Nun aber ehrte er demonstrativ das Geschöpf seines Feindes durch seine Begrüßung und durch sein Gespräch. Wollte der schlaue Meister der Propaganda auf solche Weise vor der internationalen Elitegesellschaft bekunden, daß es Unstimmigkeiten und Ränke zwischen den Spitzen des deutschen Regimes garnicht gebe und daß die Eifersucht zwischen ihm, dem Reklamechef, und dem Fliegergeneral ins häßliche Gebiet der Greuelmärchen gehöre? Oder war Hendrik Höfgen – eine der meistbesprochenen Figuren der Hauptstadt – seinerseits so unermeßlich schlau, daß er es fertig brachte, zum Propagandaminister ebenso intime Beziehungen zu unterhalten wie zum Fliegergeneral-Ministerpräsidenten? Spielte er den einen Machthaber gegen den anderen aus, ließ sich von den beiden großen Konkurrenten protegieren? Seiner legendären Geschicklichkeit wäre es zuzutrauen…
Das war ja alles ungeheuer interessant! Pierre Larue ließ den Exkönig von Bulgarien einfach stehen und trippelte durch den Saal – von seiner Neugierde dahingeweht, wie eine Feder vom Winde – , um dieses sensationelle Rencontre aus der nächsten Nähe mit anzuschauen. Cäsar von Mucks stählerne Augen kniffen sich mißtrauisch zusammen, die Millionärin aus Köln stöhnte wollüstig vor lauter Angeregtheit und Freude an der erhabenen Situation; während Frau Bella Höfgen, die Mutter des großen Mannes, allen, die in ihrer Nähe standen, gnädig und gleichsam ermunternd zulächelte, als wollte sie ihnen bedeuten: Mein Hendrik ist groß und ich bin seine distinguierte Mutter. Trotzdem braucht ihr nun nicht gleich in die Kniee zu sinken. Er und ich, wir sind auch nur von Fleisch und Blut, wenngleich sonst ausgezeichnet vor den übrigen Menschen.
«Wie geht es Ihnen, mein lieber Höfgen?«fragte der Propagandaminister anmutig lächelnd den Intendanten.
Auch der Intendant lächelte, aber nicht gleich bis zu den Ohren hinauf, sondern mit einer Vornehmheit, die fast schmerzlich wirkte.»Ich danke Ihnen, Herr Minister!«Er sprach leise, etwas singenden Tones, dabei äußerst akzentuiert. Der Minister hatte seine Hand noch immer nicht losgelassen.»Darf ich mich nach dem Befinden Ihrer Frau Gemahlin erkundigen«, sagte der Intendant, und nun mußte sein hoher Gesprächspartner endlich ein ernstes Gesicht machen.»Sie ist heute abend ein wenig unpäßlich. «Dabei ließ er die Hand des Senators und Staatsrats los. Dieser sagte wehmütig:»Wie leid mir das tut.«
Natürlich wußte er – was allen hier im Saale bekannt war – , daß die Frau des Propagandaministers völlig verzehrt und innerlich verwüstet war, von Eifersucht auf die Gattin des Ministerpräsidenten. Da der Diktator selber unverehelicht blieb, war das angetraute Weib des Reklamechefs die Erste Dame im Reiche gewesen, und sie hatte diese ihre gottgewollte Funktion mit Anstand und Würde erfüllt, ihr Todfeind konnte es nicht bestreiten. Dann aber kam diese Lotte Lindenthal daher, eine mittlere Schauspielerin – jung war sie auch nicht mehr – , und ließ sich heiraten von dem prachtliebenden Dicken. Die Frau des Propagandaministers litt unbeschreiblich. Man machte ihr den Rang der Ersten Dame streitig! Eine andere drängte sich vor! Mit einer Komödiantin ward ein Kult getrieben, als ob die Königin Luise auferstanden wäre! Immer wenn es eine Veranstaltung zu Lottes Ehren gab, ärgerte sich Frau Reklamechef so ungeheuer, daß sie Migräne bekam. Auch heute abend war sie im Bett geblieben.
«Gewiß hätte sich Ihre Frau Gemahlin hier sehr gut unterhalten. «Höfgen machte immer noch die feierliche Miene. In seinen Worten war von Ironie keine Spur zu finden.»Zu schade, daß der Führer absagen mußte. Auch der englische und der französische Botschafter sind verhindert.«
Mit diesen Feststellungen, die er in sanftestem Tone vorbrachte, verriet Höfgen seinen eigentlichen Freund und Gönner – den Ministerpräsidenten, dem er all seinen Glanz zu danken hatte – an den eifersüchtigen Propagandaminister: diesen aber hielt er sich für alle Fälle in der Reserve.
Der gewandte Klumpfuß fragte vertraulich, nicht ohne Hohn:»Und wie ist hier die Stimmung?«
Der Intendant der Staatstheater sagte zurückhaltend:»Man scheint sich zu amüsieren.«
Die beiden Würdenträger führten ihre Unterhaltung leise; denn um sie drängten sich Neugierige, auch mehrere Photographen waren herbeigekommen. Die Kanonenfabrikantin flüsterte eben Pierre Larue zu, der in Verzückung die bleichen Knochenhändchen über der Brust gegeneinander rieb:»Unser Intendant und der Minister – sind sie nicht ein herrliches Paar? Beide so bedeutend! Beide so schön!«Sie drängte ihren üppigen, geschmückten Leib nahe an das gebrechliche Körperchen des Kleinen. Der zarte gallische Liebhaber des germanischen Heroismus, der strammen Jünglinge, des Führergedankens und der hohen Adelsnamen fürchtete sich vor der atmenden Nähe so viel weiblichen Fleisches. Er versuchte, sich ein wenig zurückzuziehen, während er zirpte:»Exquisit! Ganz charmant! Unvergleichlich!«Die Rheinländerin beteuerte:»Unser Höfgen – das ist ein ganzer Mann, sage ich Ihnen! Ein Genie, so etwas gibt es weder in Paris noch in Hollywood! Und so urdeutsch, so gerade, einfach und ehrlich! Ich habe ihn ja schon gekannt, als er noch so klein gewesen ist. «Mit der vorgestreckten Hand deutete sie an, wie klein Hendrik gewesen war, als sie, die Millionärin, seine Mutter auf den Kölner Wohltätigkeitsveranstaltungen konsequent geschnitten hatte.»Ein herrlicher Junge!«sagte sie noch, und bekam so sinnliche Augen, daß Larue panisch die Flucht ergriff.
Man hätte Hendrik Höfgen für einen Mann von etwa fünfzig Jahren gehalten; er war aber erst neununddreißig – ungeheuer jung für seinen hohen Posten. Seine fahle Miene mit der Hornbrille zeigte jene steinerne Ruhe, zu der sich sehr nervöse und sehr eitle Menschen zwingen können, wenn sie sich von vielen Leuten beobachtet wissen. Sein kahler Schädel hatte edle Form. Im aufgeschwemmten, grauweißen Gesicht fiel der überanstrengte, empfindliche und leidende Zug auf, der von den hochgezogenen blonden Brauen zu den vertieften Schläfen lief; außerdem die markante Bildung des starken Kinns, das er auf stolze Art hochgereckt