Скачать книгу

Was genau erwartete man jetzt von mir? Nick war gestern völlig normal gekleidet gewesen, Alina jedoch hatte eine Art Uniform oder Tracht getragen. Ebenso wie Lucan Vale. In meinem neuen Kleiderschrank entdeckte ich jedoch nichts weiter als normal aussehende Hosen, Shirts und Pullis. Ein paar pastellfarbene Abendkleider und züchtig geschnittene, weiße Kleider und Roben. Jeweils in zehnfacher Ausführung. Ich hatte bis dato nicht einmal gewusst, dass es so viele verschiedene Weißtöne gab. Achselzuckend schälte ich mich aus meinem Morgenmantel und entschied mich für eine gutsitzende, helle Jeans und einen mitternachtsblauen Pulli, der meine Haarfarbe vorteilhaft betonte. Dann schnappte ich mir die weißen Sneakers, föhnte meine Haare trocken und beschloss nach einem letzten Blick in den Spiegel, dass ich gut aussah. Was auch immer in diesen Fläschchen im Bad war, man könnte in Schönheitssalons ein Vermögen damit machen.

      Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst kurz nach acht war. Ob schon jemand auf war? fragte ich mich und öffnete zaghaft meine Zimmertür.

      Im Flur war noch alles still. Langsam schlich ich die große Treppe hinunter und … war das Musik, die ich da hörte? Ich folgte den leisen, poppigen Klängen bis in die große Halle, ehe ich die Tür zur Küche mit der Hüfte aufstieß. Die Musik wurde lauter und ich blieb wie versteinert stehen, als es nicht Alina oder Nick waren, die dort am Herd der Küche standen, sondern ein gutaussehender Mann Mitte Dreißig mit rötlich-braunem Haar. Erschrocken sah er auf und die Pfanne, die er schwungvoll hin und her geschwenkt hatte, erstarrte mitten in der Bewegung.

      »Ich … Eure Hoheit«, stammelte er und sah mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. »Ich wusste nicht, dass Ihr bereits wach seid.«

      Die Pfanne landete krachend auf dem Gasherd, ehe sich der Mann vor mir eifrig die Hände an einem Handtuch abwischte und zu mir herübereilte. Noch immer wie versteinert, verfolgte ich jede seiner Bewegungen. Ebenso wie Nick war auch dieser Mann auffallend attraktiv. Vielleicht hatte das etwas mit den unsterblichen Genen zu tun, dachte ich, und erinnerte mich an Lucan Vale. Bevor meine Gedanken jedoch zu dem geheimnisvollen Fremden abschweifen konnten, verbeugte der Mann sich vor mir mit einem formvollendeten Eure Hoheit.

      »Ich äh …« Etwas verlegen räusperte ich mich. »Hi?«

      Er sah auf und lächelte herzlich auf mich herab. »Ich bin Oliver. Euer Hausherr.«

      Ich hatte einen Hausherrn? Überraschen sollte es mich wohl nicht, bedachte man, dass ich auch eine Kammerzofe hatte.

      »Lilly«, brachte ich ein wenig atemlos hervor, »ich bin Lilly.«

      »Es ist mir eine Freude, Eure Bekanntschaft zu machen.« Oliver wies auf einen Platz am Tresen.

      »Bitte setzt Euch. Ich hatte nicht so früh mit Euch gerechnet, aber Kaffee ist bereits fertig, Hoheit.«

      Innerlich seufzend folgte ich seiner Einladung und ließ mich auf dem gleichen Hocker nieder, auf dem ich gestern Abend während meiner Unterhaltung mit Nick gesessen hatte.

      »Könntest du das Hoheit vielleicht weglassen, Oliver?«

      Überrascht sah er von der Kaffeemaschine und den zwei Tassen vor ihm auf.

      »Wie bitte?«

      »Ich … ich bin Kellnerin, Oliver. Damit will ich meinen eigenen Wert nicht herabschrauben, denn ich liebe meinen Job, aber bis gestern war ich noch keine Prinzessin. Das alles ist neu für mich und ich würde mich wohler fühlen, wenn du mich einfach Lilly nennst.«

      Mit einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht schob Oliver mir eine dampfende Tasse Kaffee zu.

      »Ich verstehe Eure Sicht der Dinge«, sagte er schließlich, »aber versucht auch uns zu verstehen. Ihr seid die Thronfolgerin Alliandoans und damit unsere zukünftige Königin. Nicht nur mir wurde dies ein Leben lang eingebläut, es ist nicht einfach, solch ein Verhalten von heute auf morgen abzulegen.«

      »Aber du wirst es versuchen?«

      »Nennt mich Olli, Hoheit, und ich denke darüber nach.«

      Über den Tresen hinweg hielt ich Olli meine ausgestreckte Hand hin. »Abgemacht?«

      »Abgemacht«, stimmte er zu und schüttelte nach kurzem Zögern meine Hand.

      Zufrieden schnappte ich mir meine Tasse und trank gierig ein paar Schlucke des herrlich duftenden Kaffees.

      »Cappuccino?«

      Grinsend schlug Olli ein paar Eier in die brutzelnde Pfanne.

      »Nick«, sagte er lediglich und ich wandte mich erneut meiner Tasse zu. Natürlich hatte mein … hatte Nick unseren Hausherrn darüber informiert, wie ich meinen Kaffee trank. Immerhin hatte er mich lange genug beobachtet. Und Olli hatte ich dann wohl auch die heiße Schokolade von gestern Abend zu verdanken. Eine Weile sah ich ihm dabei zu, wie er schweigend ein köstlich aussehendes Frühstück zubereitete. Die Musik aus den Lautsprechern leistete uns dabei Gesellschaft und während Ed Sheerans Galway Girl ertönte, war ich verwundert darüber, wie wohl ich mich in der Gegenwart des Mannes fühlte.

      »Was sind deine Aufgaben als Hausherr?«, fragte ich ihn neugierig.

      In meiner bisherigen Welt hatte ich keinerlei Erfahrungen mit Kammerzofen oder Hausherren gesammelt. Und Olli, wie er dort am Herd stand, adrett in eine helle Hose und ein graues Hemd gekleidet, war ein weiteres kleines Rätsel auf meiner Liste, das es zu lösen galt. Lächelnd sah er auf.

      »Ich bin seit ein paar Jahrzehnten im Dienst Eurer Familie. Ich habe den Posten damals nach dem Tod meines Vaters übernommen. Euer Vater bat mich, mitzukommen, als er dieses Anwesen erwarb. Man könnte sagen ich bin eine Art Manager, Ratgeber und Bodyguard in einem«, erklärte er und grinste mich dabei fröhlich an. »Ich schmeiße den Haushalt und koordiniere das Personal, hier und in Eurem Palast in Arcadia.«

      »Das scheint mir eine sehr umfangreiche Aufgabe zu sein.«

      Zwei Haushalte in zwei verschiedenen Welten, das stellte ich mir nicht einfach vor. Wie er zwischen den Welten hin und her reiste, geschweige denn wie ich das tun sollte, darüber würde ich jetzt noch nicht nachdenken.

      »Eine, die ich gerne mache und die mich mit Stolz erfüllt, Eure Hoheit.«

      »Auch in Arcadia?«

      Die Frage war mir herausgerutscht, ehe ich weiter darüber nachdenken konnte. Aber nach allem, was Nick mir gestern erzählt und was Alina angedeutet hatte, war ich mir nicht sicher, wie ich Olli einordnen sollte. Mochte er die Engel? Ihre übergeordnete Stellung in der Anderswelt? Empfand er dies als richtig oder war auch er, ebenso wie Alina, bereit für Veränderungen. Vielleicht war er aber auch gar kein Engel, vielleicht …

      »Oh, ich bin ein Engel«, unterbrach Olli meine Gedanken und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde breiter. »Geboren und aufgewachsen in Arcadia. Ich habe bereits als kleiner Junge im Palast gelebt«, fügte er hinzu. »Aber ich bin nicht blind unserer Gesellschaft gegenüber, falls es das ist, was Ihr Euch fragt.«

      Eine Antwort wurde mich erspart, denn just in diesem Moment wurde die Tür hinter mir geöffnet und Alina trat in die Küche. Nick war ihr dabei dicht auf den Fersen.

      »Hier bist du!«

      Ich drehte mich um und sah den beiden ein wenig schüchtern entgegen.

      »Wir haben dich schon gesucht«, sagte Nick und lächelte mich freundlich an. Alina hingegen rollte entnervt mit den Augen.

      »Ich habe dir doch gesagt, dass sie hier ist. Eure Hoheit«, begrüßte sie mich höflich und machte einen Knicks. Einen Knicks!

      »Alina …«, seufzte ich und sah an Nick vorbei zu meiner neuen Freundin. Zumindest hoffte ich sehr, dass wir gestern Abend den ersten Schritt in Richtung Freundschaft gemacht hatten.

      »Zeit, Eure Hoheit«, ermahnte Olli mich leise und stellte einen voll beladenen Teller vor mir auf den Tresen.

      »Das sieht gut aus, Olli, das nehmen wir auch.«

      Nick und Alina setzten sich an den großen Esstisch und ich folgte ihrem Beispiel. So zusammen zu sitzen,

Скачать книгу