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zischt auf der glühenden Herdplatte. Der außen anhaftende Schnee schmilzt und rinnt in Tropfen auf die Platte, worauf diese, wild tanzend, langsam verdampfen. Bald sitzen wir mit einer heißen Tasse Tee in den Händen und mit den Füssen auf dem Backrohrdeckel vor dem Hitze ausstrahlenden Herd. „Jetzt wäre eigentlich ein kleines Pfeifle angebracht!“ meint Ludwig. Mal schlürfen wir einen Schluck Tee aus der Tasse, mal schlürfen wir an der Pfeife. Wir hängen die Schuhe weit genug vom Ofen an Nägel unter der Decke, die wohl eigens für diesen Zweck vorgesehen waren. Wir kneten sie bisweilen durch, damit sie geschmeidig bleiben. Der Verkäufer hatte uns noch eine Tube Spezialcreme aufgedrückt, die bei nassem Leder aufgetragen werden soll. Das scheint hier der Fall zu sein! Unsere nassen Klamotten hängen wir über die Stuhllehnen und rücken diese nahe ans Feuer. Da können sie bis zum Abend in Ruhe ausdampfen! Noch einen großen Bottich voll Schnee auf die Platte und ein letztes Mal richtig eingeschürt. So haben wir bald eine Wärmereserve für den Tag und können das Feuer ausgehen lassen.

      Es steht ein Kanapee in der Stube, ein einfaches Holzbüffet mit zwei Scheiben in den oberen Türen, wohinter ein paar Fotos mit Personen darauf stecken. In einer Ecke eine Eckbank mit einem weiß gescheuerten Tisch davor, darüber ein Kreuz mit Palmenzweigen dahintergesteckt. Sogar ein Weihwasserkesselchen hängt daneben, ausgetrocknet. Wir füllen es mit Schnee. Direkt vom Himmel. Alles ist aus Holz. Die dickbalkigen Wände, die getäfelte, niedrige Decke, der ausgetretene, weiß gescheuerte Fußboden. Nur unsere tropfenden Kleider haben dunkle Spuren darauf hinterlassen. Als uns endlich warm genug ist und wir gegessen haben, erkunden wir die Hütte. Nebenan eine Schlafstube, doch bitterkalt. Oben, unter dem niedrigen Dach, eine Art Matratzenlager, worin eine Menge Mäusedreck von den neuen Bewohnern zeugt. Am Ende des Ganges ein Plumpsklo, aus dem es kalt zu uns heraufstinkt. In der Mitte des Flures führt eine Tür in den Kuhstall. Es riecht nach trockenem Mist. Durch Ritzen in den Läden blinzelt vereinzeltes Tageslicht in den weitläufigen Raum. Wohl Platz für 40 Tiere. Kalt umstreicht uns der Atem des Raumes und bringt unsere Kerze zum Flackern. „Brrrr…, arschkalt! Schnell die Tür wieder zu und zurück in die warme Küche!“ Wir werden hier übertagen. Ein letztes Pfeifle, dann einer auf dem Sofa, der andere auf der Eckbank und „guten Tag“!

      Am Spätnachmittag wachten wir auf. Wir krochen durch den Tunnel ins Tageslicht und setzten uns auf der Sonnenseite auf einen Zaun, der den Schnee überragte. Was für eine gleißende Pracht, soweit das Auge reichte! Eine Zauberwelt, das Reich der Schneekönigin! Wir konnten einige bekannte Berge in der Runde ausmachen. Aber dort hinten, die hohen, schroffen, die mussten in der Schweiz sein. Vor diesen, hinter denen sich die Sonne anschickte, bald unterzugehen, eine wattige, in der Ferne mit dem Horizont eins werdende Nebeldecke. Darunter musste der Bodensee seinen Winterschlaf halten. Unser Blick streifte über die nähere Umgebung. Wir mussten eine ungefähre Reiseroute ausfindig machen, auf der wir in der Nacht weitergehen würden. Klein sahen wir, ungefähr in gleicher Höhe wie hier, eine Almhütte. Bis dahin müssten wir es schaffen. Ab da würde es dann bergab gehen, nunter auf Hittisau. Eher etwas links von der Talsohle halten, prägten wir uns ein.

      Wir besprechen die letzte Nacht. Am meisten hatte uns mitgenommen, dass wir bei jedem Schritt tief in den Schnee eingesunken waren. Wir bräuchten so etwas wie Schneeschuhe! Wir stapfen an der dem Wind zugewandten Seite um die Hütte und tauchen auf der Rückseite erneut unter den vom überhängenden Dach gebildeten Schneetunnel. Dort stehen reihenweise neue Lärchenschindeln an die Wand gelehnt. Das ist die Lösung! Wir suchen jeder zwei schöne breite heraus und halten sie unter die Schuhe. Das muss gehen! Aber wie befestigen? Beim Zurückwaten bleiben wir wieder an dem Zaun unterm Schnee hängen. „Heureka!“ Wir ziehen den Draht an die Oberfläche und knicken 4 rund 1 Meter 50 lange Stücke ab. Diese fest um die Schindeln gewickelt, dann um die Knöchel, dann, gekreuzt, etwas weiter vorne nochmals um die Schindeln, erneut über den Schuh, zugedreht, perfekt! Halb Ski, halb Schneeschuh!

      Wir fachen das Feuer wieder an. Um diese Zeit ist weder Wanderer noch Zöllner unterwegs. Und das Zollflugzeug fliegt nur mittwochs durch dieses Tal, soviel wussten wir. Und das war gestern gewesen. Nach einer kurzen Stärkung geht es los. Die schweizer Berge ragen hoch in den kalten Himmel. Dahinter liegt noch lang ein heller Schein. An diesem orientieren wir uns für eine Weile. Wir steigen noch eine Weile leicht bergan. Uns scheint, dass weiter oben weniger Schnee liegt als in der Talsohle. Vielleicht hat ihn der Wind hier etwas weggeblasen. Oder liegt das an unseren Schneeschuhen, die sich gut bewähren? Nach ein paar Nachbesserungen an der Befestigung sind sie perfekt. An ein paar Stellen hat die Sonne den Schnee etwas sozig gemacht. Da ist kein sehr einfaches Laufen, weil der Schnee unter den Schindeln kleben bleibt. Aber nach Mitternacht ist alles so gefroren, dass er trägt. Leise knirscht die Schneedecke unter jedem Schritt. Wir haben zwei Flaschen heißen Tee dabei. Dazu ein paar Kekse in den Taschen. Da braucht man den Rucksack nicht jedes Mal aufzumachen. Die Nacht ist so dunkel wie die vorige. Die winzige Mondsichel hat sich schon schlafen gelegt. Doch die Sterne geben uns genügend Licht. Manchmal scheint es aus dem Schnee selber zu kommen.

      Inzwischen haben wir uns an den etwas breiteren Gang, bedingt durch die Schneeschuhe, gewöhnt. Auch an die kurzen Schritte, sind doch die Schindeln fest unter der Schuhsohle angebracht, nicht beweglich, wie Langlaufski. Heute haben wir Zeit. Wir laufen gewissermaßen auf einer Höhenlinie des Bergrückens. Bisweilen halten wir an und tauschen unsere Gedanken aus, die diese Nacht uns eingibt. Einmal verliert Ludwig eine Schindel. Er merkt das erst, als er beim nächsten Schritt voll einsinkt. Ein Draht war von den Bewegungen gebrochen. Mitten in einem der Schweizer Berge ist ein Licht angegangen und brennt fast während der ganzen Nacht. Ist dort eine Skihütte und hat jemand vergessen, das Hoflicht auszumachen? Oder haben sie es angemacht, um verirrte Gäste zu leiten? Uns hilft es jedenfalls enorm, die Richtung zu halten! Und dann plötzlich ist es aus. Der Hüttenzauber ist zuende.

      Unsere Füße fangen an zu schmerzen. Die wunden Stellen hatten wir vorsichtshalber mit Pflastern überklebt. Es war ein Fehler gewesen, mit nicht eigelaufenen Schuhen loszugehen, und dazu noch mit gebrauchten. Irgendwie kommen wir auf den Film ‚Soweit die Füße tragen‘ zu sprechen. Ist ja auch naheliegend! Dort ziehen Gefangene durch den Schnee auf dem weiten Weg nach Sibirien, in die Gefangenschaft. Unser Weg ist viel kürzer und auf uns wartet die Freiheit! Gegen Ende wären wir aber froh, an der Hütte zu sein. Sind wir an ihr vorbeigelaufen? Doch dann bemerken wir etwas Langes, Weißes, so 50 Meter unterhalb. Das ist sie! Wir gleiten hinab und machen die letzten Meter wie eine Lawine im Schnee, da vor lauter Eile unsere Schindeln eingespitzt sind. Lachend klopfen wir uns den Schnee ab. Wir gehen um die Hütte herum. Kein Katzenloch. Kein versteckter Schlüssel. Oder zu gut versteckt! Wir wollen nichts aufbrechen. Alles heil lassen. Ich klettere über den schneebedeckten Misthaufen nach oben und zwänge mich durch den, zum Glück, geleerten Mistkanal in den Kuhstall. Im Schein der Taschenlampe stapfe ich über den verkrusteten Holzboden zur Stalltür. Ich mache sie auf. Ludwig schlupft zu mir ins Dunkel. Nicht sehr luxuriös. Wenn nur was Heu rumliegen täte! Wenigstens sind wir drinnen. Dann suchen wir die Tür zum Wohnteil. Auch diese ist zu. Mit der Taschenlampe sehen wir durch den Türschlitz, dass diese durch eine Art drehbaren Riegel blockiert ist. Mit dem Taschenmesser gelingt es uns, diesen anzuheben, und schon stehen wir im Flur.

      Diese Hütte ist etwas grösser als die vorige, aber nach dem gleichen Schema gebaut. Zum Glück liegt im Flur noch genügend Feuerholz, und mit etwas trockenem Mist, anstelle von Kleinholz, gelingt es uns, etwas Wärme in die Stube zu bringen. Wir sind weniger nass als am Vortag, ziehen uns aber trotzdem um und hängen alles zum Trocknen. Wir sind ganz schön erledigt. Dann folgt dasselbe Ritual wie am Morgen zuvor.

      Am nächsten Abend brechen wir später auf. Wir lassen erst mal den Schnee gefrieren. Das spart Kraft und Zeit. Wir hatten die weitere Strecke gut von hier oben überblicken können. Was uns nicht gefiel, waren die dunklen Wolken, die sich hinterm Bodensee und den Schweizer Bergen auftürmten… Wir sind am höchsten Punkt angelangt. Noch etwas geradeaus weiter, dann rechts rüber, wo wir die Höfele Alpe erkennen konnten. Dort hatte ich, vor nicht zu langer Zeit, auf meinem Rückweg mit meinen neuen österreichischen Freunden ein letztes Gläsle Roten getrunken. Von hier aus führt, deutlich sichtbar unterm Schnee, das Band der Straße zu Tal. Nach zwei Stunden sind wir da. Hier unten liegt der Schnee weniger hoch und nach ein paar Kilometern können wir unsere Schindeln von den Schuhen abnehmen. Wir stellen sie hinter die kleine Kapelle, die uns am Wegrand begrüßt. Sie ist nicht verschlossen. Wir setzen

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