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hören, wo ihr Kopf, ihr Herz und ihr Körper gleich erdrückt oder wenigstens unentwickelt und ungebaut bleibt“, sondern indem man „den in der Fabrikindustrie liegenden größeren Abtrag der Verdienstfähigkeit des Menschen als Mittel zur Erzielung wahrer wirklicher Erziehungsanstalten, die den ganzen Bedürfnissen der Menschheit genügen“, benützt. Denn an sich ist der Mensch „unter allen Umständen und bei allen Arbeiten der Leitung zum Guten gleich fähig... Mit dem Herzen allein wird das Herz geleitet... Spinnen oder Grasen, Weben oder Pflügen, das wird an sich weder sittlich noch unsittlich machen...“ Die wesentliche Voraussetzung ist nur, dass der Gewinn nicht der einzige Endzweck der Industrie, sondern nur das Mittel zu dem wahren Endzweck der Erziehung ist.

Grafik 33

      Robert Owen – 1771 – 1858

       – Es ist fast derselbe Gedankengang, durch den ein Menschenalter später der hochsinnige Sozialist Robert Owen zu einem auf solideren wirtschaftlichen Grundlagen unternommenen Versuch in ähnlicher Richtung geführt wurde. Im Unterricht der Pestalozzischen Anstalt stand ihrer ganzen Absicht gemäß die Handarbeit weit voran; Lesen, Schreiben, Rechnen wurde auch getrieben, doch glaubte er die Unterweisung darin wenigstens bis zum neunten Jahre hinausschieben zu dürfen. Die Art der sittlichen Unterweisung war „meistens nicht Unterricht des Lehrers“, sondern „teilnehmender Unterricht des Hausvaters, Ergreifung der immer vorfallenden Gelegenheiten, an denen er mit ihnen, sie mit ihm Anteil nahmen“. Rührend ist es, in den Berichten zu lesen, wie Pestalozzi auf die Individualität jedes einzelnen seiner Pflegebefohlenen eingeht, wie er an die verkommensten, elendesten, unbegabtesten bis zu den blödsinnigen herab unermüdliche Sorgfalt wendet und überglücklich ist, wenn er nur eine Spur von Fortschritt bemerkt. „Ich lebte“, sagt er später über diese Zeit, „jahrelang im Kreise von mehr als fünfzig Bettlerkindern, teilte in Armut mit ihnen mein Brot, lebte selbst wie ein Bettler, um zu lernen, Bettler wie Menschen leben zu machen“.

      Das Scheitern des hochsinnig geplanten Unternehmens musste ihn noch ungleich schwerer treffen als sein erster, bloß persönlicher Misserfolg. Zwar sein Glaube an das, was er gewollt, hat keinen Augenblick gewankt. Aber bei der Welt fand er keinen Glauben mehr. „Andern will er helfen und kann sich selber nicht helfen“: Diesen ewigen Spott der Weltklugheit über die selbstvergessene Liebe bekam er wie oft zu hören. Auch seine besten Freunde glaubten, ihm sei einmal nicht zu helfen; sie hielten für ausgemacht, er werde seine Tage im Spital oder gar im Narrenhause beschließen müssen. Der einzige Iselin hielt treu zu ihm und überzeugte ihn, dass „in wichtigen Dingen mutvolle Efforts, auch wenn sie für einmal nicht zum Ziele führen, dennoch entferntere gute Folgen ihrer Natur nach haben müssen“. Auch find die „entfernteren guten Folgen“ nicht ausgeblieben; es sind namentlich die sogenannten Wehrlischulen in der Schweiz indirekt aus Pestalozzis Anregung hervorgegangen, welche eben das zu verwirklichen suchen, was er mit seiner Anstalt gewollt hatte.

      Seinen Landsitz vermochte er nur dadurch sich zu erhalten, dass er den größeren Teil des Gutes an Verwandte verkaufte, um von dem Erlös seine Gläubiger wenigstens teilweise zu befriedigen. Den ihm verbliebenen Rest gab er in Pacht, bis sein Sohn die Bewirtschaftung übernehmen konnte. Sein zerrüttetes Hauswesen wieder in Ordnung zu bringen, war ein ausgezeichnetes Mädchen, Elisabeth Näf („die Lisabeth“) ihm behilflich, das um diese Zeit aus freien Stücken als einfache Magd in sein Haus kam und allmählich ganz mit der Pestalozzischen Familie verwuchs. Sie ist das Urbild der „Gertrud“ des Pestalozzischen Romans. Später nahm sich ein anderer Baseler Freund, Felix Battier, seiner wirtschaftlichen Lage sachkundig an. Seitdem war wenigstens die eigentliche Not überwunden, und so konnte Pestalozzi sich während der 18 Jahre seiner unfreiwilligen Muße (1780–1798) schriftstellerischen Arbeiten ungestört widmen.

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      Die „Abendstunde“

       Die „Abendstunde“

       Er hatte bei seinem verunglückten Versuch Unermessliches gelernt. Vor allem war eine gründliche Kenntnis des Volkes in seinem Elend und seiner nur tief vergrabenen Kraft, aber auch der Mittel und Wege, wie ihm geholfen werden könnte, ihm wie von selbst zugefallen. Das alles musste sich aussprechen, und sobald er nur die Feder ansetzte, strömte ihm der Stoff von selbst zu. So entstanden in kurzer Frist (von Nebenarbeiten abgesehen) zwei hochbedeutende Schriften: Die „Abendstunde“ und das Volksbuch „Lienhard und Gertrud“.

       Die „Abendstunde eines Einsiedlers“ erschien in den Ephemeriden, Mai 1780; eine Art Monolog in gedankentiefen, schwer gefassten Aphorismen, in denen er sich über die Bestimmung des Menschen und die Grundgesetze seiner Bildung klar zu werden sucht. In voller Bestimmtheit tritt schon hier der Kerngedanke hervor, dass allein „im Innern der Natur“ des Menschen der Grund derjenigen Wahrheit liegt, die er braucht, die zu seiner rechten Bildung ihm not ist. Aus dieser ersten Voraussetzung folgt die Allgemeinheit der Bildung in dem doppelten Sinne: dass die Grundkraft der Bildung an sich in allen dieselbe ist, und dass sie nach Möglichkeit in allen zu ihrer gesunden Entwicklung gebracht werden muss. Daraus folgt weiter – was schon Rousseau betont hatte – die notwendige Unterordnung der Berufsbildung unter die allgemeine Menschenbildung. Diese ist schon in der „Abendstunde“ und überhaupt in allen Dokumenten aus dieser Zeit so klar ausgesprochen, dass es als ein vollständiger Irrtum bezeichnet werden muss, Pestalozzi habe in seiner ersten Periode überhaupt nur an die Berufsbildung der untersten Klasse, und erst seit Stanz und Burgdorf an allgemeine, „humane“ Bildung gedacht. – Der zweite Hauptfaktor der menschlichen Bildung ist die „Lage“ des Menschen, die „Verhältnisse“ oder „Umstände“, in denen er sich findet. Sie sind das vorzüglichste Mittel der Entfaltung der im Menschen selbst schlummernden Kräfte. Zwar erweist sich die äußere Lage des Menschen, so wie er sie vorfindet, der gesunden Entwicklung seiner Anlagen mindestens ebenso oft hinderlich als förderlich; aber es steht an sich in seiner Macht, sie sich so zu gestalten, dass sie zu seiner Bildung förderlich wird. Die Not selbst wird ihm zum Lehrmeister; sie ruft ihn auf, seine Kräfte zu gebrauchen und durch den Gebrauch zu entwickeln; so wird er dann allmählich seiner Lage Herr. Wie der Mensch überhaupt der eigene Gestalter seines höheren, besonders seines sittlichen Lebens, insofern (nach späterem Ausdruck) „Werk seiner selbst“ ist, so sind auch die äußeren Lebensformen, in denen und durch die er sich bildet, im letzten Grunde sein eigenes Werk. Es sind die mannigfachen Formen menschlicher Gemeinschaft, von der engsten zu weiteren und weiteren hinauf bis zur höchsten, der des Menschengeschlechtes unter dem himmlischen Vater. Diese Stufenordnung der Gemeinschaftsformen – eine der tiefsten und weittragendsten Voraussetzungen der Pestalozzischen Pädagogik, durch die besonders sie als „soziale“ und nicht bloß individuale Pädagogik charakterisiert wird – tritt ebenfalls schon in der „Abendstunde“ klar zutage. Und zwar von der engsten Gemeinschaft, der des Hauses, der Familie geht die Bildung des Menschen notwendig aus; denn „immer ist tue ausgebildete Kraft einer näheren Beziehung Quelle der Weisheit und Kraft des Menschen für entferntere Beziehungen... Die häuslichen Verhältnisse der Menschheit sind die ersten und vorzüglichsten Verhältnisse der Natur“, eben weil die engsten und nächsten und damit kraftvollsten, daher gerade der ersten, überhaupt entscheidenden Entwicklung der menschlichen Kräfte günstigsten. Nur ihr vergrößertes Abbild ist der bürgerliche Verein, gleichsam eine Familie von Familien: „Vatersinn bildet Regenten, Brudersinn Bürger; beide erzeugen Ordnung im Hause und im Staat.“ Die bürgerliche Gemeinschaft stellt also gleich der häuslichen, nur auf höherer Stufe, eine Arbeits- und damit Bildungsgemeinschaft dar. Über ihr erhebt sich endlich als höchste Form der Gemeinschaft jene ideelle Gemeinschaft des ganzen Menschengeschlechtes, in der wir alle Kinder eines Vaters und damit untereinander Brüder sind. Auch die tiefe, rein moralische Deutung der Religion aus diesem Gesichtspunkt, wie sie in der „Abendstunde“ bereits vorliegt, kehrt von da ab in immer neuen und schöneren Wendungen durch alle Lebensperioden Pestalozzis wieder.

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      „Lienhard und Gertrude“

      „Lienhard und Gertrude“

       War die „Abendstunde“ nur für

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