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      Friedrich Schuhmacher

      Das Leben an der Wahnsinnsgrenze - eine Reise durch Angst- und Zwangsstörungen

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1 Haben Sie etwas verloren?

       Kapitel 2 Aus der Wurst lesen

       Kapitel 3 Die Gemüsebedrohung

       Kapitel 4 Fasten Seatbelts

       Kapitel 5 Putzwagen-Squaredance

       Kapitel 6 Höllenpforte

       Kapitel 7 Tanz und Dissonanz

       Kapitel 8 Klinische Studien

       Kapitel 9 Zurück in die Zukunft

       Kapitel 10 What happens in Vegas ….

       Kapitel 11 Private Krankenverunsicherung

       Status Quo

       Impressum neobooks

      Kapitel 1 Haben Sie etwas verloren?

      "Haben Sie etwas verloren?" Ich lenkte meinen Blick vom Boden zu dem freundlichen Herrn, der mir plötzlich, wie aus dem Nichts, gegenüber stand. Wie oft hatte ich diesen Satz bereits gehört? Ich kenne ihn in allen Variationen, von ernsthaft besorgt und hilfsbereit, bis spöttisch lächerlich. Ähnlich variantenreich wurden im Laufe der Jahre auch meine Antworten. Den spöttisch lächerlichen Fragestellern antworte ich gerne entsprechend mit Sätzen wie "Ja, ich vermisse meine Motivation", oder "Ja, den Glauben an die Menschheit", was diese Personen doch meist etwas irritiert zurücklässt. Den besorgt Hilfsbereiten lüge ich netterweise meist vor, ich hätte einen Schlüsselanhänger oder etwas ähnliches verloren. Das wiederum bleibt aber auch meist nicht ungestraft, da ich dann oft das Problem habe, diese Leute von der Mithilfe bei dieser völlig sinnlosen Suche abzuhalten, während ich mich doch viel lieber ungestört und allein der Untersuchung des umliegenden Bürgersteigs gewidmet hätte.

      Mit der wahrheitsgemäßen Antwort halte ich es wie ein ehemaliger Bundesinnenminister: "Ich bin davon überzeugt, dass eine wahrheitsgemäße Antwort große Teile der Bevölkerung nur verunsichern könnte". So zum Beispiel den besorgten Mitbürger, der jetzt auf einmal vor mir stand und sich offensichtlich fragte, warum dieser dicke Mann schon seit etwa 15 Minuten mit gesenktem Kopf und starrem Blick auf den Gehweg vor seinem Haus herumläuft. Würde ich dem wahrheitsgemäß sagen "Ach wissen Sie, ich schaue hier nur nach Blut und Speichelflecken sowie nach benutzten Spritzen, Nadeln und anderen spitzen Gegenständen, die mein Fuß berührt haben könnte“, so könnte ich einen - vorsichtig ausgedrückt - etwas verunsicherten Gesichtsausdruck als gesichert voraussetzen.

      Da ich aber überhaupt keine Lust habe, dem guten Mann zu erklären, dass hier keine versteckte Kamera ist und ich schon rein körperlich doch keine Ähnlichkeit mit dem Moderator der Sendung habe und auch ebenso wenig Interesse daran habe, dass er gleich die Sanitäter ruft und ihnen sagt, sie sollten eine Zwangsjacke in Übergröße mitbringen, bekommt er die Geschichte vom verlorenen Schlüsselanhänger zu hören.

      Viel weiter bringt mich dies allerdings meist auch nicht, da im Falle des hilfsbereiten Typen anschließend gleich zwei Leute mit gesenktem Haupt und starrem Blick auf den Boden vor dem Haus herumlaufen und einen imaginären Schlüsselanhänger suchen. So kommt es bisweilen für mich zum “Quasi Super-Gau“, wenn dann noch ein ebenso hilfsbereiter Nachbar hinzu stößt, der sich wiederum gefragt hat, warum Nachbar Erwin plötzlich gesenkten Hauptes mit einem Wildfremden vor seinem Haus herumläuft. Wenn dieser sich nach kurzer Erklärung höflichkeitshalber veranlasst sieht, auch noch mit zu suchen, ist dies ein zusätzliches Problem, deshalb, weil ich mich in Menschenansammlungen grundsätzlich nicht wohl fühle. Aber das werde ich später noch näher erklären. Für mich sind mehr als zwei Personen aber definitiv eine Gruppe! In solchen Situationen stelle ich mir darüber hinaus manchmal die Frage, wer eigentlich die Verantwortung für etwaige Auffahrunfälle trägt, da selbst Autofahrer beim Passieren einer solchen Szene gerne mal deutlich abbremsen, um zu sehen was dort los ist.

      Aber auch eine erklärende Antwort würde mir nicht aus dem Dilemma helfen. Würde ich den hilfsbereiten Mitmenschen wahrheitsgemäß erklären, dass ich an einer massiven Angst- und Zwangsstörung mit besonderem Schwerpunkt auf Infektionsängsten sowie einer hypochondrischen Störung und diversen anderen Störungen, die das Psychologielehrbuch so hergibt, leide, so würde sicher die Hilfe beim Absuchen des Gehwegs ausbleiben. Gleichzeitig käme aber sicherlich sofort wieder die Frage nach der versteckten Kamera auf. So oder so, es hält mich nur auf. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, in der nächsten halben Stunde schon weitere 100 m Gehweg auf dem Weg zu meinem Auto abgesucht zu haben. Und wer weiß, wie oft mir auf dieser Strecke noch die Frage begegnet ob ich etwas verloren habe!

      Sie fragen sich jetzt, wie man an einen solch bunten Strauß von Neurosen und Störungen kommt? Nach inzwischen vielen Jahren Therapie habe ich da zwar schon die eine oder andere Idee, aber ich will hier keine medizinische Abhandlung schreiben, sondern nur erzählen, wie das Leben an der Wahnsinnsgrenze im allgemeinen und im besonderen so ist. Fest steht jedenfalls, dass ich lange Zeit in verantwortungsvoller und nicht eben stressfreier Position gearbeitet habe und ich längere Zeit zunächst auf eine sogenannte Belastungsreaktion behandelt wurde. Der plötzliche Tod meines besten Freundes, der inzwischen auch schon einige Jahre zurückliegt, hatte mich dann aber sozusagen "über die Kante geschubst" und mein Leben an die Wahnsinnsgrenze herangeführt.

      Nur zum besseren Verständnis sei vielleicht noch erwähnt, dass es zu meinem Krankheitsbild gehört, durchaus um die Unsinnigkeit der Ängste und Zwänge auf der einen Seite zu wissen, was aber noch lange nicht heißt, dass ich sie deswegen kontrollieren könnte. Aber wie gesagt geht es hier nicht um die medizinische Sichtweise, sondern darum, was diese Störungen in meinem Leben bewirken.

      Sie möchten trotzdem wissen, wie das alles anfing? Nun ja, der Gedanke an Blut, Spritzen und dergleichen war bei mir eigentlich schon immer eher negativ besetzt. Warum auch immer. Wenn es ein Kindheitstrauma war, muss es ein sehr frühes gewesen sein. Ich erinnere mich an eine Situation im zarten Alter von etwa sechs Jahren, in der ich dem Zahnarzt zwar großzügig erlaubte, mich zu behandeln, aber auf gar keinen Fall mit einer Spritze! Diese Art von Heldenhaftigkeit beim Zahnarzt hatte sich dann zwar mit dieser Sitzung auch ein für alle Mal erledigt, aber sie offenbarte schon sehr früh mein spezielles Verhältnis zu Spritzen. Sie erklärt vielleicht auch, warum mir die Berufsgruppe der Zahnärzte bis heute generell suspekt ist. Auch bei Blutabnahmen war es bei mir immer schon sinnvoll, diese besser gleich im Liegen vorzunehmen, da die horizontale Position während des Abnahmevorgangs ohnehin eingetreten wäre. Aber immerhin war ich im weiteren Verlauf meines Lebens in der Lage, regelmäßig Ärzte und Zahnärzte aufzusuchen. OK, Zahnärzte vielleicht mehr oder weniger regelmäßig, aber immerhin habe

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