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      Leo Trotzki

      Die wirkliche Lage in Rußland

      Impressum

      Texte: © Copyright by Leo Trotzki

      Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

      Verlag:

      Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

      Gunter Pirntke

      Mühlsdorfer Weg 25

      01257 Dresden

      [email protected]

      Inhalt

       Erster Teil: Die Furcht vor unserem Programm

       Zweiter Teil: Die wirkliche Lage in Rußland

       Dritter Teil: Stalin fälscht Geschichte

       Dokumente

      Meine Verteidigung vor dem Zentralausschuß

      Mein Antrag, die Untersuchungen über den Wrangeloffizier und die militärische Verschwörung unverzüglich durchzuführen, wurde niedergestimmt. Ich erhob vor allem die Frage, warum, wie und durch wen die Partei getäuscht worden ist, als man ihr erzählte, die mit der Opposition verbundenen Kommunisten nähmen an einer gegenrevolutionären Organisation teil. Um nun noch einmal zu zeigen, was Sie unter einer Diskussion verstehen, beschlossen Sie, meine kurze Rede über den unechten Wrangeloffizier aus dem Bericht zu streichen – das heißt, ihn vor der Partei zu verheimlichen. Bucharin hat uns hier auf der Grundlage dieser Dokumente der G. P. U., der politischen Polizei, die überhaupt keine Beziehungen weder zu der beschlagnahmten Druckerpresse, noch zu der Opposition haben, mit dem Phantasiebild einer Thermidorischen Verschwörung beschenkt. Was wir aber wollen, sind nicht Bucharins billige Phantasien, sondern Tatsachen. Es sind keine Tatsachen vorhanden. Darum war das Hineinwerfen dieser ganzen Fragen in die Diskussion über die Opposition nur ein Winkelzug. Ihre Rücksichtslosigkeit und Unehrlichkeit sind auf der Stufe verbrecherischen Verrats angelangt. Alle die von Menschinski verlesenen Dokumente sprechen unzweideutig gegen den augenblicklichen politischen Kurs – man braucht sie nur mit einer marxistischen Analyse zu beleuchten. Aber ich habe dafür keine Zeit. Ich kann nur die wesentliche Frage erheben: Wie und warum hielt es die augenblicklich herrschende Gruppe für nötig, die Partei zu täuschen, indem sie einen Agenten der G. P. U. für einen Wrangeloffizier ausgab, und diese Bruchstücke einer unbeendeten Untersuchung aus dem Zusammenhang herausriß, um die Partei durch die falsche Nachricht von einer Verbindung der Oppositionsleute mit einer gegenrevolutionären Organisation zu beunruhigen? Woher kommt dies alles? Wohin soll es führen? Nur diese Frage hat politische Bedeutung. Alles andere geht uns erst in zweiter oder in zehnter Linie an.

      Zunächst aber zwei Worte über den sog. »Trotzkismus«. Jeder Opportunist versucht, seine Schande mit diesem Worte zu decken. Die Fälschungsfabrik arbeitet Tag und Nacht in zwei Schichten, um »Trotzkismus« zu fabrizieren. Ich schrieb vor nicht langer Zeit über dieses Thema einen Brief an das Bureau für Parteigeschichte. Er enthielt über fünfzig Zitate und Dokumente, die die jetzt herrschende theoretische und historische Schule der Fälschung, Verdrehung und Unterschlagung von Tatsachen und Dokumenten und der Entstellung Lenins überführte – alles zum Besten des sog. Kampfes gegen den »Trotzkismus«. Ich verlangte, daß mein Brief den Mitgliedern in einer Plenarsitzung vorgelegt würde. Dies geschah nicht, obgleich mein Brief fast ausschließlich aus Dokumenten und Zitaten bestand. Ich werde ihn an das Diskussionsblatt der Prawda senden, obgleich ich glaube, daß sie ihn dort ebenso vor der Partei verheimlichen werden, denn die Tatsachen und Dokumente, die ich beifüge, sind zu vernichtend für die Stalinsche Schule.

      In unserer Julierklärung vom vergangenen Jahr haben wir mit vollständiger Genauigkeit alle die Stufen vorausgesagt, durch die die Zerstörung der Leninistischen Parteiführung gehen würde, und auch ihre zeitweilige Ersetzung durch eine Stalinistische Führerschaft. Ich sage, durch eine zeitweilige Ersetzung, denn je mehr »Siege« die gegenwärtig herrschende Gruppe gewinnt, desto schwächer wird sie werden. Unserer Julivoraussage vom vergangenen Jahr können wir nun folgende Schlußfolgerung hinzufügen: Stalins augenblicklicher Sieg in der Organisation wird seinen politischen Schiffbruch zur Folge haben. Dieser ist völlig unvermeidlich; und er wird – gerade durch die Auswirkungen des Stalinschen Regimes – sofort seinen Anfang nehmen. Es wird die grundlegende Aufgabe der Opposition sein, darauf zu sehen, daß die Folgen der verderblichen Politik der jetzigen Führung unserer Partei und ihrer Verbindung mit den Massen möglichst geringe Verluste bringen.

      Sie wollen uns aus dem Zentralausschuß entfernen. Wir geben zu, daß dieser Schritt im vollen Einklang ist mit der gegenwärtigen Politik auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Entwicklung oder vielmehr ihres Niedergangs. Diese herrschende Gruppe, die aus der Partei Hunderte und Tausende ihrer besten Mitglieder, ihrer standhaftesten Arbeiterbolschewisten, hinaustreibt – diese bureaukratische Clique, die es wagt, solche Bolschewisten wie Mrachkowski, Serebriakow, Preobraschenski, Scharow und Sarkis auszuschließen, Genossen, die allein ein Parteisekretariat schaffen könnten, ein unendlich einflußreicheres, tüchtigeres, mehr leninistisches als das jetzige Sekretariat – diese Stalin-Bucharin-Clique, die in dem geheimen Gefängnis der G.P.U. ergebene und bewundernswerte Männer wie Nechaew, Stikhold, Vasiliew, Schmidt, Fischelew und viele andere gefangen hält –, diese Gruppe von Beamten, die sich durch Gewalt, durch Erstickung des parteilichen Denkens, durch Zerrüttung der proletarischen Avantgarde nicht nur in Rußland, sondern in der ganzen Welt auf ihren Plätzen an der Spitze festhält – diese durch und durch opportunistische Sippschaft, an deren Schweif in diesen letzten Jahren marschieren Chang Kai-schek, Feng Yuschang, Wan Tin-wei, Purcell, Hicks, Ben Tillett, die Kusinens, die Schmerals, die Peppers, die Heinz-Neumanns, die Rafieses, die Martinows, die Kondratiews und Ustrialows –, diese Gesellschaft kann unsere Anwesenheit im Zentralausschuß selbst einen Monat vor dem Parteikongreß nicht ertragen. Wir verstehen das.

      Rücksichtslosigkeit und Unehrlichkeit gehen Hand in Hand mit Feigheit. Sie haben unser Programm unterschlagen – oder vielmehr, sie haben versucht, es zu unterschlagen. Was bedeutet Furcht vor einem Programm? Jedermann weiß es: Furcht vor einem Programm ist Furcht vor den Massen.

      Wir kündigten Ihnen am achten September an, daß wir trotz aller entgegenstehenden Erlasse unser Programm zur Kenntnis der Partei bringen würden. Wir haben dies begonnen, und wir werden unser Unternehmen auch bis zum Ende durchführen. Die Genossen Mrachkowski, Fischelew und alle die andern, die unser Programm druckten und verteilten, sie haben gehandelt und handeln auch jetzt noch in voller Solidarität mit uns. Als oppositionelle Mitglieder des Zentralausschusses und des Zentralkontrollausschusses nehmen wir sowohl in politischer Hinsicht wie für die Organisation die volle Verantwortung für ihr Handeln auf uns.

      Die Rücksichtslosigkeit und Unehrlichkeit, von der Lenin schrieb, sind nicht länger Merkmale einer bestimmten Persönlichkeit. Sie sind Charaktereigenschaften der herrschenden Gruppe, sowohl in ihrer eigentlichen Politik, wie in ihrer Leitung der Organisation. Es handelt sich nicht mehr um die Frage äußerlicher Umgangsformen. Die wesentliche Eigenschaft unseres gegenwärtigen Führertums ist der Glaube an die Allmacht von Gewaltmethoden – auch gegenüber der eigenen Partei. Aus der Oktoberrevolution hat die Partei ein starkes System von Zwangsmaßnahmen geerbt, ohne die eine Diktatur des Proletariats undenkbar ist. Der Brennpunkt dieser Diktatur war der Zentralausschuß unserer Partei. Zu Lenins Zeit – bei einem Leninistischen Zentralausschuß – unterstand das Organisationssystem der Partei einer international eingestellten, revolutionären Klassenpolitik. Es ist wahr, daß Stalin von dem ersten Tage seiner Erwählung zum Generalsekretär Lenin Besorgnis eingeflößt hat. »Dieser Koch wird uns ein gepfeffertes Gericht vorsetzen!« sagte Lenin zu vertrauten Genossen in der Zeit des zehnten Kongresses. Aber unter Lenins Führerschaft, unter einem Leninistischen Stab im politischen Bureau, spielte der Generalsekretär eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle. Die

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