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      CARLA DEL PONTE

      IM NAMEN DER

      OPFER

      CARLA DEL PONTE

      mit Roland Schäfli

      IM NAMEN DER

      OPFER

      Das Versagen der UNO

      und der internationalen Politik

      in Syrien

      1. Auflage 2018

      © Giger Verlag GmbH, CH-8852 Altendorf

      Telefon 0041 55 442 68 48

      www.gigerverlag.ch

      Lektorat: Monika Rohde, Leipzig

      Umschlaggestaltung:

      Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

      Umschlagfoto: Markus Senn

      Layout und Satz: Roland Poferl Print-Design, Köln

      e-Book: mbassador GmbH, Basel

      Printed in Germany

      ISBN 978-3-906872-53-7

      eISBN 978-3-906872-80-3

      Inhalt

       Karte: Syrien und angrenzende Länder

       Der Anruf

       Im Auftrag des UNHRC

       Mord und Totschlag werden Alltag

       Der erste Bericht vor der UNO

       Zwischenspiel in Argentinien

       Ein Flüchtlingsjunge im Königreich

       Verletzte Ärzte

       Ausgebombt

       Vertrieben aus dem Land der Gottlosen

       Leben unter der schwarzen Fahne

       Die Vernichtung der Yazidi

       Die NGOs, unsere Augen und Ohren in Syrien

       »Wollt ihr sie haben?«

       Wer trug die Schuld am Luftangriff?

       Vergiftete Politik

       Syriens Herz versagt

       Alles umsonst?

       Dank

      Der Anruf

      Solche Anrufe kommen immer aus heiterem Himmel. Sie kündigen sich nicht an. Es gab keine Vorzeichen, nicht die kleinste Andeutung. Ich stand gerade am Abschlag des Golfplatzes von Ascona, und da die Clubregeln Mobiltelefone auf dem Rasen untersagen, nahm ich den Anruf am Rand des Courts entgegen. Es war das EDA, Jean Daniel Ruch. Weil solche Telefonate überraschend kommen, werden sie von Personen geführt, denen man vertraut, und Ruch kannte ich gut. Er war auf dem Balkan mein politischer Berater gewesen. Die Schweiz wolle mich als Kandidatin für die UNO-Untersuchungskommission aufstellen. »Wo? ... Syrien?« Ruch – er ist heute unser Botschafter in Israel – wusste besser als ich über Syrien Bescheid, zu diesem Zeitpunkt war er als Repräsentant der Schweiz im Nahen Osten eingesetzt.

      Der März 2011 war in zweierlei Hinsicht ein wichtiges Datum für mich. Im März war ich aus Buenos Aires in meine Heimat zurückgekehrt, ins Tessin, wo der Golfplatz mich magnetisch anzog. Der Geruch des frisch gemähten Rasens, die Konzentration auf das Wesentliche, dann das Geräusch des Balls beim Abschlag. Von hier reichte der Blick bis in die Berge mit ihren Schneekappen. Meine verchromten Golfschläger waren blank poliert, und ich machte guten Gebrauch von ihnen. Seit meiner Rückkehr hatte ich mich zu jedem Turnier von hier bis Losone gemeldet, mit wachsender Zuversicht, mein Handicap endlich unter 20 zu bringen. Mit anderen Worten: Ohne mich als Rentnerin zu fühlen, genoss ich diesen neuen Lebensabschnitt. Der März 2011 markierte jedoch auch ein unrühmliches Kapitel in unserer jüngeren Geschichte: den Ausbruch der bewaffneten Feindseligkeiten in Syrien. »Sie sind schließlich keine Unerfahrene in der internationalen Verbrecherjagd«, sagte Ruch am anderen Ende der Leitung, »darum sind Sie die Einzige in der Schweiz, die für diese Kommission infrage kommt.« Ruch verstand es, die richtigen Knöpfe zu drücken. Aber sicherlich übertrieb er. Was wusste ich schon von Syrien? Nicht mehr als jeder interessierte Zeitungsleser.

      Die Welle des »Arabischen Frühlings«, eine Serie von Protesten und Aufständen in der Arabischen Welt, begann in Tunesien und erreicht schließlich Syrien. Am 4. Februar initiiert die regimekritische Opposition mit wenig Resonanz ihren »Tag des Zornes«. Doch am 15. März verhaften Sicherheitskräfte in der südsyrischen Stadt Daraa Schulkinder – weil sie regimekritische Graffitis auf Hauswände gemalt haben. Einige der Kinder landen im Folterkeller. Zwei Tage danach werden friedliche Demonstrationen in Daraa mit Gewalt unterbunden und der Syrienkonflikt zählt seine ersten fünf Todesopfer (man wird Daraa künftig die »Wiege der Revolution« nennen). Die weiterhin friedlichen Kundgebungen greifen in den nächsten Tagen auf andere Landesteile über. Da beträgt der Blutzoll der Opposition schon über 100 Menschenleben.

      Noch im selben Monat jedoch gibt der Präsident, Baschar al-Assad, Anlass zur Hoffnung auf eine friedliche Beilegung. Er kündigt die Freilassung der verhafteten Demonstranten an. Assad beauftragt den neuen Ministerpräsidenten mit der Bildung einer neuen Regierung, ja er hebt sogar den seit 1963 geltenden Ausnahmezustand auf, womit er eine der wichtigsten Forderungen seiner Gegner erfüllt. Doch nur Tage darauf gehen seine Sicherheitskräfte mit äußerster Brutalität gegen Demonstranten vor, die zu Dutzenden tot auf den Straßen liegen bleiben. Dann lässt der Machthaber Daraa abriegeln. Am 29. April setzt US-Präsident Barack Obama Sanktionen gegen syrische Regierungsmitglieder in Kraft. Gleichzeitig rufen die in London ansässigen syrischen Muslimbrüder zum Widerstand gegen Assad auf. Die großen Player des größten Stellvertreterkriegs der Neuzeit bringen sich in Position. Am selben Tag verurteilt der Menschenrechtsrat der UN* erstmals die Gewaltanwendung des Regimes, verbunden mit der Forderung einer Untersuchung. Was ist mit dem 13-jährigen Jungen geschehen, der bei der Demonstration in Daraa festgenommen wurde? Seine verstümmelte Leiche wird der Familie zurückgegeben. Er ist augenscheinlich zu Tode gefoltert worden. Menschenrechte scheinen in dem Staat mit seinen 21 Millionen Einwohnern nicht mehr viel zu gelten. So viel war der Welt bekannt, und mehr wusste ich auch nicht.

      Schon als mein Ruhestand noch weit weg schien, war ich dem Golfclub beigetreten; selbst die Wohnung im Appartementhaus an der Straße zum Monte

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