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sie zu begleiten, mehr aus Angst davor, alleine auf Entdeckungsreise zu gehen, als wegen irgendwelcher Hintergedanken. Franck äußerte nichts in diese Richtung, als er im Laufe ihres Spaziergangs davon erfuhr. In seinem Innersten hätte er sie gerne begleitet, die Idee war ihm sogar durch den Kopf gegangen. Nur, dass er es sich finanziell nicht wirklich leisten konnte. Außerdem hatte ihn ein weiterer Zwang daran gehindert, diesmal ein beruflicher. Die Planung erwies sich als unvereinbar. Es war unnötig, länger darüber nachzudenken.

      Franck hatte ihr vorgeschlagen, ihren Ausflug in Richtung des Buttes Chaumont Parks fortzusetzen, was sie gerne angenommen hatte.

      Die Strecke hatte sie eine gute Stunde gekostete. Franck hatte die Zeit unterschätzt, die sie brauchen würden, um von der Basilika dorthin zu gelangen. Auf dem Weg hatten sie weiterhin Bruchstücke aus ihren Leben ausgetauscht. Franck hatte ihr von seinen Fotoarbeiten erzählt. Svetlana hatte sehr viel Interesse daran gezeigt. Für sie war die Fotografie eine wunderbare Form des künstlerischen Ausdrucks. Sie hatte auf die Tatsache hingewiesen, dass er keinen Fotoapparat mitgebracht hatte, um ihr Treffen zu verewigen. Sie zog ihn damit auf…

      „Weil ich keinen habe … Ich leihe mir einen, wenn ich ihn für eine Reportage oder ein Foto-Shooting brauche“, hatte er ihr erklärt.

      Das hatte sie überrascht. Sie hatte nicht erwartet, dass eine Profi-Ausrüstung, vor allem Objektive, so teuer wäre. Franck benutzte die Ausrüstung meistens nur während eines Zeitraums von ein oder zwei Tagen am Stück. Die Vermietung unter Privatpersonen erschien ihm als die beste Lösung. Eine Lösung, die ihn vor einem Verbraucherkredit bewahrte, den er nur mit Mühe hätte zurückzahlen können und der seine sowieso schon prekäre Lage noch verschlimmert hätte. In diesem Augenblick sah sich Franck nur als ein Tourist, der sein Handy benutzte. Svetlana hielt sich für eine sehr schlechte Fotografin. Sie schaute sich Fotos lieber an. Aber ihre Eltern wünschten sich, dass sie einige Bilder mitbrachte. Sie hatten nie die Gelegenheit gehabt, Europa zu bereisen.

      Die Unterhaltung zwischen ihnen verlief ohne zu stocken. Franck fing an, sie zu mögen, und zwar nicht nur ein bisschen. Von Zeit zu Zeit korrigierte er einige ihrer Fehler im Französischen. Sie war begeistert, sobald er das tat. Allerdings hätte sie sich von einem Franzosen, der die Sprache beherrschte mehr erhofft. Svetlana hätte sich gewünscht, dass Franck sie bei jedem ihrer Fehler unterbrochen und dass er ihren Satzbau verbesserte hätte.

      Der Aufenthalt in Frankreich hatte bei Svetlana einen großen Kulturschock verursacht. Das Leben und die Menschen erschienen ihr so anders als bei ihr zu Hause. Sie fühlte sich nicht wohl, wenn sie überall Gespräche auf Französisch hörte. Sie hatte den Eindruck, dass sie sich sehr schlecht ausdrückte. Ihre Kolleginnen, die von sich selber dachten, dass ihre Kenntnisse nicht ausreichten, um ein anständiges Gespräch auf Französisch zu führen, versuchten, sie zu beruhigen. Aber im Gegensatz zu Svetlana, waren sie zufrieden, wenn sie es schafften, sich verständlich zu machen.

      Franck fand es normal, dass Svetlana mit Problemen konfrontiert wurde, schließlich war sie zum aller ersten Mal in Frankreich. Sie war nicht an den Klang der Sprache gewöhnt. Svetlana war übrigens erstaunt, dass es Franck gelang, sich alles zusammenzureimen, was sie sagte. Sie überrascht stellte sie fest, dass sie jedes einzelne Wort von Franck verstand. Im Laden hatte sie Probleme mit Dialekten, wenn sie das Kauderwelsch einiger Kunden entschlüsseln musste, die dabei doch gebürtige Franzosen waren. Deswegen gefiel ihr der flüssige Austausch zwischen ihnen. Die reibungslose Verständigung ermöglichte es ihnen, sich kennenzulernen.

      Dass Franck Svetlana nicht immer verbesserte, lag daran, dass ihm die Fehler minimal erschienen. Vor allem, weil er es gewöhnt war ausländische Frauen zu treffen und in manchen Fällen abenteuerliche Satzkonstruktionen zu entschlüsseln. Da Franck nicht auf alle Fehler achtete, wurde er etwas von Svetlana überrumpelt, als sie selber feststellte, dass sie sich vertan hatte. Franck versuchte, sie zu beruhigen: es handelte sich nur um kleine Fehltritte bei der Konjugation oder bei der Satzstellung. Nichts schlimmes, seiner Meinung nach. Für sie kamen solche Fehler dem Weltuntergang gleich. Sie schämte sich dafür, hielt sich für eine Versagerin. Sie wollte die Sprache perfekt sprechen.

      Um zum Park zu gelangen, hatten sie einen großen Teil des 19. Arrondissements durchquert, wo es einige der trostlosesten Ecken von Paris gab, die alle um die Goldmedaille für den Niedergang der Wohnviertel in Frankreich konkurrieren könnten. Und dieser Niedergang war ein gutes Geschäft, der Quadratmeterpreis war hier höher als in den sonnigen Gegenden im Süden. Svetlana hatte den Eindruck, bei sich zu Hause zu sein. Das lag an den Gebäuden, den Geschäften, am hässlichen und dreckigen Anblick, der sie an die Stadt erinnerten, aus der sie kam. Es waren in keinster Weise touristische Viertel, in denen die Besucher lange verweilten, um sie zu besichtigen. Hier durchquerten sie einen Bereich, der das Gegenteil von dem Paris war, das sich auf den Postkarten verkaufte. Und dennoch verbargen sich an diesen Orten die größten menschlichen Werte, weit entfernt von der Falschheit und Affektiertheit der Bourgeoisie.

      Als sie im Park angekommen waren, waren sie zur Insel Belvédère gegangen, zum Sybillen Tempel. An diesem Tag hatte man dort eine Seilrutsche aufgebaut. Sie spannte sich über den See und erreichte 30 Meter tiefer wieder festen Boden. Ein Verein machte Jugendliche mit dem Nervenkitzel beim Klettern in einem Hochseilgarten vertraut. Nach der Rutschpartie lud man sie ein, die anderen Aktivitäten eines Erlebnisparks im Pariser Umland zu entdecken. Eine Art Marketingvorführung, in Zusammenarbeit mit der Pariser Stadtverwaltung bei der auch alles ausprobiert werden konnte. Franck und Svetlana hatten einigen Jugendlichen beim Sprung ins Leere zugeschaut. Auch wenn die Anlage auf den ersten Blick beeindruckend war, war die Geschwindigkeit letztendlich nicht so hoch. Die Landung war sanft, jemand nahm sie in Empfang. Sie hatten hier einige Fotos gemacht. Franck verewigte Svetlana erneut aus verschiedenen Blickwinkeln.

      Als sie das Panorama betrachteten, hatten sie das ganze Ausmaß der Strecke ermessen können, die sie zurückgelegt hatten. Sacré-Cœur erschien weit entfernt und klein. Als er sich den Fotoapparat ausgeliehen hatte, hatten sich ihre Körper leicht berührt, absichtlich und sanft. Da man auf diesem Felsen nichts anderes machen konnte, als den Jugendlichen dabei zuzusehen, wie sie sich an ein Seil hängten, waren sie in Richtung Hängebrücke aufgebrochen. Auch hier stellte sich der Verein vor. Dieses Mal bot er Kindern eine Einführung in den Klettersport an. Es war eher ein Abseilen, das sie 8 Meter nach unten beförderte. Auf das Geländer gestützt hatten sie sich hier lange aufgehalten. Die Zeit war bei ihrer unerschöpflichen Unterhaltung wie im Flug vergangen.

      Svetlana hatte ihm von ihrer Familie erzählt. Ihre Mutter kam aus der Ukraine und ihr Vater war gebürtiger Russe. Ihre Schwester fehlte ihr sehr. Sie vertrauten sich die kleinsten Kleinigkeiten an, wie zwei sehr gute Freundinnen. Svetlana lebte 200 Kilometer von ihrer Familie entfernt. Sie besuchte sie nur in den Schulferien. Die restliche Zeit wohnte sie in einem Studentenwohnheim in der Innenstadt von Irkutsk, das 10 Minuten von ihrer Schule entfernt war. Einer ihrer Kunstlehrer war ein junger Franzose von nicht mal 30 Jahren, den sie sehr attraktiv fand. Es hätte sie nicht gestört, wenn sich zwischen ihnen etwas in einem anderen Kontext abgespielt hätte. Franck nahm an, dass sie ihm diese Information anvertraute, um die Richtung anzudeuten, in der es weitergehen sollte. Es war an ihm das Verhalten eines Mannes an den Tag zu legen, der eine Frau begehrte. Auf jeden Fall hatten sie sich amüsiert. Ihre Hände streiften sich immer häufiger.

      Franck hatte seine Hand sanft auf Svetlanas Hand gelegt, die neben seiner lag. Sie hatte sich nicht dagegen gewehrt, was Francks Überlegung bestätigte. Von diesem Moment an war ihm bewusst, dass sich ihr Treffen weiterentwickeln würde. Die junge Frau war genauso durcheinander wie er. Er durfte jetzt nicht nachlassen und musste im richtigen Moment seine Kühnheit unter Beweis stellen, um die nächste Grenze zu überschreiten.

      Nachdem sie sehr lange an dieser Stelle verweilt hatten, hatten sie beschlossen, ihren Spaziergang fortzusetzen. Francks rechter Zeigefinger hatte Svetlana zurückgehalten, die bereits dabei war umzukehren. Im Umdrehen hatte er ihren linken Zeigefinger wie mit einem Haken erwischt. Sie konnten sich beide jederzeit davon lösen. Die Berührung fühlte sich sehr schön an. Sie wussten beide, dass sie nicht nach einem Abenteuer suchten, sondern nach einer Verbindung ihrer Herzen. Die Fingergliedern ineinander verschlungenen, hatte Franck ihr vorgeschlagen, die Brücke ganz zu überqueren, um an einen Wasserfall zu kommen.

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