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Weg am Deichfuß nicht. Die Steine, die sie oberhalb gesetzt haben, sacken teilweise schon weg. Nur an wenigen Stellen, aber immerhin. Das kann doch nicht sein, das ist ein echter Witz! Selbst bei einem zehn, zwanzig Jahre alten Deich nicht, und dieser ist ja noch nicht mal ein Jahr alt!«

      »Genau dasselbe wie bei uns«, Wiard sah August an.

      »Ja, so langsam wird’s mir auch klar.«

      »Also, war doch erfolgreich. Lass uns bei Lübbert noch ’ne schöne Tasse Tee trinken, und dann ab nach Hause. Wir müssen uns überlegen, wie es weitergehen soll.«

      »Ich fahre sofort nach Hause, ich bin nass, und mir wird langsam kalt«, winkte August ab. »Außerdem habe ich meinem Vater gesagt, dass ich wahrscheinlich rechtzeitig zum Melken da sein werde, was ich schon nicht mehr halten kann, und Henrike, dass ich auf jeden Fall zum Abendessen zurück bin, was knapp würde, wenn wir noch Tee trinken«, beeilte er sich zu erklären. »Sauwetter!«, fügte er noch hinten an.

      »Ist gut, dann trinken Lübbert und ich eben allein Tee, wenn du nichts dagegen hast.« Wiard wandte sich Lübbert zu.

      »Nee, nee, komm man mit«, stimmte Lübbert zu, und August meinte: »Dann überlegt euch was Schlaues, das man nun tun kann, mir fällt im Moment nichts Rechtes ein.«

      Lasst uns zusehen, dass wir von diesem Deich herunterkommen, besser kann man sich dem Nordwest und dem Regen ja nicht präsentieren.«

      In diesem Augenblick übertönte ein peitschender Knall das Rauschen des Windes und das Prasseln des Regens.

      »Jäger – jetzt?« August traute seinen Ohren nicht.

      »Hörte sich an wie ein Schuss …« Wiard schaute sich ungläubig um.

      »Auf Jagd ist jetzt sicher niemand, bei dem Mistwetter, außerdem ist es hier auch verboten«, entgegnete August.

      Sie wandten sich Lübbert Sieken zu, der nicht nur über den Fischfang im Wattenmeer, sondern auch über die Entenjagd im Heller gut Bescheid wusste. Lübbert antwortete nicht. Er verdrehte nur die Augen und sackte langsam in sich zusammen.

      »Schwein hat er gehabt, verdammt viel Schwein«, urteilte Dr. Meissner, den Wiard und August sofort alarmiert hatten, nachdem sie Lübbert von der Deichkrone zum Auto und dann nach Hause geschafft hatten. Lübbert trug einen Verband, der aber blutrot gefärbt war. Schussverletzung, am späten Nachmittag, bei Sturm und Regen, wobei sich August, Wiard und Lübbert rein zufällig an diesem Tag und zu dieser Uhrzeit getroffen hatten. Es konnte also niemand von ihrer Verabredung gewusst haben. Oder etwa doch? Die drei Männer waren immer noch völlig verstört.

      Der Schuss hatte Lübbert – Gott oder wem auch immer sei Dank – nur gestreift, recht tief und vermutlich eine lange Narbe verursachend zwar, doch eben am Arm, auch knapp am Knochen vorbei. August und Wiard hatten ihm einen behelfsmäßigen Notverband angelegt, als sich im Schulterbereich blitzartig ein großer Blutfleck gebildet hatte. Lübbert war, nachdem August und Wiard ihn zum Deichfuß bugsiert und ins Auto geschleppt hatten, zeitweise wieder zu sich gekommen. Er hatte große Schmerzen und drohte zu verbluten, war darüber hinaus regelrecht verwirrt.

      »Ich glaub’s nicht, ich glaub’s nicht«, stammelte er jetzt immerzu. Weiter nichts.

      »Wäre der Schuss etwas gezielter gewesen, er hätte glatt durchs Herz oder die Lunge gehen können, dann wär’s das gewesen mit Lübbert Sieken«, fügte der Doktor hinzu, und noch mal: »Schwein gehabt, bannig viel Schwein!«

      »Ein Schuss, ich fass es nicht!«, Wiard war aufgewühlt.

      »Ganz klar. Und ganz übel. Verstehen kann ich es allerdings nicht. Gewöhnlich verwendet man auf der Entenjagd Schrot, das hier war aber eine Kugel. Ob das ein Jäger war? Es sieht fast so aus, als wollte dich jemand umbringen!« Dr. Meissner war für seine direkte Art bekannt und fuhr an August und Wiard gewandt fort: »Ich denke, ich rufe einen Krankenwagen. Es ist zwar nicht lebensbedrohlich, nur ein Streifschuss, aber die im Kreiskrankenhaus können ihn besser versorgen.«

      »Das is’n Ding«, sagte August und dachte gleich darauf: Wat ’ne blöde Bemerkung!

      »Ja, ist es wohl. Was habt ihr bei dem Sauwetter überhaupt auf dem Deich gemacht?«, fragte Meissner, den jeder im Polder kannte. Seit fast 20 Jahren war er hier der allgemeine Hausarzt.

      »Wir haben uns mal alles angesehen. Wenn man im Polder lebt, will man doch den neuen Deich mal genau begutachten, der da vor einem aufgebaut wurde, Doktor, das werden Sie doch verstehen?«

      »Ja, sicher, scheint aber inzwischen nicht mehr ungefährlich zu sein«, meinte Meissner nur.

      »Nee, wohl nicht«, röchelte Lübbert, der den ersten Schock überwunden hatte und nun auf seinem Sofa mit einem professionellen Verband lag.

      »Ihr solltet die Polizei verständigen«, riet Meissner.

      »Die Polizei?«, fragte August verwirrt – ihm fiel ein, dass er unbedingt zu Hause Bescheid geben musste, warum er noch nicht da war und dass es auch noch etwas später werden würde.

      »Ja, natürlich die Polizei, oder findest du das normal, wenn man beim Deichspaziergang angeschossen wird?«, fragte Meissner spöttisch.

      »Nein, nein, sicher nicht«, August war nicht ganz bei der Sache, aber so etwas hatte er auch noch nie erlebt – Schüsse bei Sturm und Regen, und dann noch auf dem Deich.

      »Ich übernehme das.« Wiard ging zu Lübberts Telefon und wählte die 110.

      »Da tut sich nichts!«

      »Die haben mir die Leitung abgestellt«, stöhnte Lübbert vom Sofa aus, »habe die Rechnung nicht bezahlt, und mir war’s egal.« Er verzog vor Schmerzen das Gesicht und röchelte erneut.

      »Na prima. Hat jemand eines von diesen mobilen Wunderdingern? Ich jedenfalls nicht.«

      »Hier ist mein Handy«, der Arzt reichte es Wiard.

      Kurze Zeit später hörten die drei anderen Männer Wiard sprechen.

      »Moin, Wiard Lüpkes hier. Holger, bist du das?« Holger Janssen, der örtliche Polizist, stammte aus dem Polder, und natürlich war auch hier das gemeinsame Leben im Polder Ursache dafür, dass sich alle duzten. »Holger, Lübbert Sieken ist angeschossen worden, du musst kommen, vielleicht auch noch ein anderer von eurer Truppe«, berichtete Wiard. Nach einer kurzen Pause fügte er an: »Nein ich will dich nicht verarschen – es ist wirklich wahr! Der Doktor ist schon da, er hat Lübbert verarztet, meint aber, er müsse noch ins Krankenhaus, damit sie die Verletzung richtig behandeln können. Vielleicht ist etwas vom Knochen abgesplittert, oder was weiß ich. Außerdem nimmt Lübbert blutverdünnende Mittel – da ist es besser, wenn sie ihn noch mal richtig unter die Lupe nehmen.« Es entstand wieder eine Pause, dann hörten sie Wiard schon etwas unruhiger sagen: »Nein, ich bin nicht besoffen! – Mensch Holger, mach hinne, setz dich in deine Minna und komm zu Lübbert Sieken, du musst den Fall aufnehmen!«

      Die drei sahen Wiard erwartungsvoll an. Der verdrehte die Augen, um den anderen klarzumachen, dass Holger Janssen ihm nicht recht glauben wollte. Jetzt setzte er wieder an: »Holger, es ist Sauwetter, ich weiß, und du hast Feierabend, weiß ich auch. Aber es stimmt, was ich gesagt habe, und da muss die Polizei ran. Und die Polizei im Polder, das bist du. Also komm her, wenn’s nicht stimmt, gebe ich dir das ganze Jahr jeden Abend ein Pils und einen Kurzen aus.« Wiard hoffte, dass sein Angebot den Polizisten am anderen Ende der Leitung überzeugen würde. Doch der wusste wohl immer noch nicht, ob er glauben sollte, was er da hörte, oder ob man ihm einen Bären aufbinden wollte.

      Wie Wiard das denn bitte finanzieren wolle, fragte Janssen unnötigerweise.

      »Über das Geld dazu mach dir mal keine Sorgen, im Notfall nehme ich einen Kredit auf – Mensch Holger, ich sage die Wahrheit!«

      Jetzt kam Dr. Meissner heran, nahm Wiard das Handy aus der Hand und sagte kurz und knapp: »Meissner hier. Moin, Herr Janssen. Doktor Meissner. Was Herr Lüpkes gesagt hat, ist tatsächlich wahr. Herr Sieken liegt

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