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Jenseits des Spessarts. Günter Huth
Читать онлайн.Название Jenseits des Spessarts
Год выпуска 0
isbn 9783429064822
Автор произведения Günter Huth
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ohne Kommentar folgte Kerner dem Mann, der rückwärts vor ihm herging, dabei musterte er seinen Revolver. Ein größeres Kaliber mit Schalldämpfer, wie er sehen konnte. Wie es aussah, war der Kerl ein Profi. Er gab sich keine Blöße, die Kerner hätte nutzen können.
„Stehen bleiben!“, verlangte er, dann ging er weiter rückwärts zur Verandatür und öffnete sie. Dabei ließ er Kerner keine Sekunde aus den Augen. Einen Augenblick später kam ein zweiter Mann herein, ebenfalls maskiert, gleichfalls mit einem schallgedämpften Revolver bewaffnet. Seinem Verhalten entnahm Kerner, dass er nicht so routiniert war wie sein Partner. Er zögerte verschiedentlich und sah seinen Kumpan fragend an, weil er offenbar nicht genau wusste, wie er sich verhalten sollte. Er bekam von seinem Anführer ein paar Anweisungen in arabischer Sprache, wie Kerner erkannte.
„Umdrehen, Hände auf den Rücken“, befahl er wieder auf Deutsch.
Offenbar sollte sein Kumpel ihm die Hände auf den Rücken fesseln, denn er zog einen Kabelbinder aus der Oberschenkeltasche seiner Hose. Um dieses Vorhaben zu realisieren, benötigte er allerdings beide Hände, was bedeutete, dass er seinen Revolver ablegen musste. Das war Kerners Chance, denn mit gefesselten Händen würde ein Gegenschlag schwierig werden.
Der Maskierte näherte sich Kerner von hinten. Es sprach für seine Unerfahrenheit, dass er dabei seinem Kollegen direkt in die Schussbahn trat. Der bemerkte dies auch sofort und schrie ihn auf Arabisch an. Dadurch war der Angerufene irritiert, zögerte und ließ seine Waffe etwas sinken. Die Chance für Simon Kerner. Er explodierte regelrecht! Herumwirbeln und die Waffenhand seines Gegners fassen war eine flüssige Bewegung. Kerner entriss ihm den Revolver. Dabei achtete er darauf, dass der Mann zwischen ihm und dem anderen Angreifer stand. Der war total geschockt und riss seinen Revolver in die Höhe. Die beiden Schüsse fielen fast gleichzeitig, so dass sie sich zu einem gemeinsamen Plopp vereinigten. Der Gegner, den Kerner als Schild benutzt hatte, zuckte zusammen und knickte mit einem heiseren Schrei nach vorne ein. Kerner war jetzt schutzlos. Sein Schuss hatte den anderen Mann nicht erkennbar getroffen. Er hatte keine Zeit zum Zielen gehabt. Sein Gegner registrierte, dass er statt Kerner seinen Kumpel getroffen hatte, und zögerte einen Moment.
„Waffe weg!“, brüllte Kerner.
Mit einem wütenden Schrei riss der Maskierte den Revolver wieder in die Höhe, um erneut zu schießen. Kerner blieb Zeit, die Waffe mit beiden Händen zu fassen. Er beugte sich leicht nach vorne und schoss. Sein Angreifer kam nicht mehr dazu, abzudrücken. Das Projektil aus Kerners Waffe traf ihn mitten in die Stirn. Tödlich getroffen brach er zusammen.
Ganz langsam richtete sich Kerner wieder auf und atmete hörbar aus. Das war knapp gewesen! Sofort beugte er sich über den Mann, der stöhnend vor ihm auf dem Boden lag. Auf der Brust seines Hemdes bildete sich auf der rechten Seite ein roter Fleck, der sich rasant vergrößerte. Obwohl sich Kerner vergewissert hatte, dass von dem anderen Gegner keine Gefahr mehr ausging, schob er dessen Revolver mit dem Fuß außer Reichweite. Er beugte sich über den Verwundeten und zog ihm die Maske vom Kopf. Jetzt konnte er sehen, wie jung sein Gegner war.
„Bleib ganz ruhig“, versuchte er auf ihn einzuwirken, während er zum Telefon griff und die Notrufzentrale anwählte. „Es ist gleich Hilfe unterwegs!“
Nachdem er den Notruf abgesetzt hatte, wählte er sofort die Nummer von Eberhard Brunner.
„Eberhard, ich wurde in deiner Wohnung angegriffen“, rief er ins Handy. „Einen der Kerle habe ich in Notwehr erschossen, der andere wurde von seinem eigenen Mann schwer verletzt. Was soll ich machen? Soll ich die Mordkommission verständigen? Das muss ja polizeilich aufgenommen werden.“
Brunner brauchte einen Augenblick, um die Nachricht zu verdauen, dann erwiderte er: „Das ist ja Wahnsinn! Bist du in Ordnung?“ Kerner beruhigte ihn. „Bleib einfach vor Ort“, fuhr Brunner dann fort, „ich werde alles Weitere veranlassen.“
Der Notarzt war zuerst da. Ihm folgte im kurzen Abstand ein Rettungswagen. Da Lebensgefahr bestand, wurde der überlebende Angreifer sofort in die Notaufnahme des Zentrums für Innere Medizin des Universitätsklinikums eingeliefert. Wenig später folgte die alarmierte Mordkommission unter KHK Kauswitz, in deren Gefolge die Spurensicherung und die Rechtsmedizin. Die Straße rund um die Wohnung Brunners war total verstopft, zwei Streifenwagenbesatzungen leiteten den Verkehr um.
Kauswitz saß mit Kerner in der Küche von Brunners Wohnung und führte die erste Vernehmung. Kerner war ihm kein Unbekannter. Kauswitz war damals bei den Ermittlungen um den Tod von Steffi, Kerners damaliger Lebensgefährtin, beteiligt gewesen. Kerner hatte die Dönerbox zur Seite geräumt. Während der Aussage von Kerner kam Brunner herein.
„Ist mit dir alles in Ordnung?“, wollte er besorgt wissen. Kerner beruhigte ihn. Nachdem er den gesamten Ablauf nochmals in allen Einzelheiten geschildert hatte, gab es für Brunner nur einen Schluss.
„Dieser Überfall galt mir. Davon bin ich überzeugt. Wenn vielleicht nicht direkt meiner Person, dann doch zumindest indirekt als Botschaft an mich.“ Er stand auf und sah durch die Tür ins Wohnzimmer hinaus. „Es ist dir klar, dass du in den nächsten Tagen hier nicht wohnen kannst, das ist ein Tatort und wird versiegelt werden, bis die Kollegen fertig sind.“
Simon Kerner sah Kauswitz an. „Wie lange wird die Wohnung nicht betretbar sein?“
„Ich denke, drei Tage, dann können wir sie wieder freigeben.“
„Dann gehst du so lange in ein Hotel“, erklärte Brunner. „Ich werde das organisieren.“
„Wir benötigen dann auch noch ein offizielles Protokoll“, stellte Kauswitz fest. „Es ist zwar offensichtlich, dass es sich hier um Notwehr handelt, trotzdem müssen wir eine Anzeige aufnehmen.“
Kerner nickte. Er war Jurist und das Prozedere war ihm bekannt.
*
Safar ibn Abdallah al-Hilabar lief außer sich vor Wut in seinem Arbeitszimmer auf und ab und tobte. Er hatte diese Aktion in der Sanderau angeordnet und war sich dabei sehr raffiniert vorgekommen. Eine deutliche Botschaft als Beginn eines Drohpotentials, das man bei Bedarf, Stück für Stück sich steigernd, abspielen konnte. Stattdessen jetzt dieses Desaster! Omar tot, sein Sohn schwer angeschossen. Einer der Sanitäter des Rettungswagens zeigte sich gegen ein kleines Honorar sehr redefreudig. Offenbar hatten sie diesen Kerner total unterschätzt. Oder seine beiden Sendboten hatten sich angestellt wie die letzten Anfänger. Omar war tot. Das war bedauerlich und würde zur gegebenen Zeit gerächt werden. Das Problem war Karim. Der Junge war zwar schwer verletzt, aber seine Mutter hatte die Auskunft erhalten, dass er die Operation wohl überleben würde. Es war ein Fehler gewesen, dass Omar ohne seine Zustimmung den Jungen zu dieser Aktion mitgenommen hatte. Er hatte seine Zweifel, ob Karim der trickreichen Vernehmung durch erfahrene Kriminalbeamte standhalten würde. Die Frage, wie viel Informationen Omar seinem Sohn weitergegeben hatte, war im Augenblick nicht zu beantworten. Safar pflegte derartige Probleme rational anzugehen. Für solche Probleme gab es Achmed. Achmed hatte längere Zeit für eine Spezialeinheit im Irak gekämpft und war mit allen Mitteln der Problembeseitigung vertraut. Safar hatte ihn aufgenommen, weil er trotz seines Saubermannimages, das er sich in den letzten Jahren angeeignet hatte, hin und wieder doch einen Mann fürs Schmutzige benötigte.
Der fensterlose Raum hatte ungefähr fünfundzwanzig Quadratmeter, war rechteckig und einschließlich Boden völlig weiß gekachelt. In der Mitte des Bodens konnte man einen versenkten Ablauf in einen Kanal erkennen. An der Decke hing eine Klimaanlage, die auch als Absaugeinrichtung fungieren konnte. An einer Längsseite stand ein durchgehender Metalltisch. Über dem Tisch verbreitete eine Reihe Neonröhren ein fast blendendes Licht.
Fast lautlos öffnete sich eine Tür an der einen Schmalseite und ein kräftiger Mann mittleren Alters mit kurzen schwarzen Haaren und Vollbart trat ein. Der Bärtige hatte einen stabilen Holzstuhl mit Lehne dabei, den er über den Gully in der Mitte stellte. Die Sitzgelegenheit war eine Spezialanfertigung, beste Schreinerarbeit. An den Armauflagen, den Beinen und der Lehne befanden sich stabile Gurte mit Metallschließen. Wie