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Das letzte Schwurgericht. Günter Huth
Читать онлайн.Название Das letzte Schwurgericht
Год выпуска 0
isbn 9783429061586
Автор произведения Günter Huth
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
In der Leitung herrschte Stille. Brunner benötigte einen Moment, um diese Nachricht zu verdauen, dann erwiderte er: »Was ist geschehen? Wurde jemand verletzt?« Er zweifelte keine Sekunde an der Ernsthaftigkeit von Kerners Aussage.
Simon Kerner beruhigte seinen Freund und schilderte ihm kurz, was passiert war.
»Gott sei Dank wurden wir nicht verletzt. Ich habe zwar keinen Schuss gehört, aber so wie dieser Blumentopf zersplittert ist, gibt es eigentlich keine andere Erklärung. Ein Sprengkörper hätte eine wesentlich heftigere Wirkung gehabt, mal abgesehen vom Explosionsknall. Dann wäre uns der Topf sicher richtig um die Ohren geflogen. Wir saßen nur ein paar Meter davon entfernt. Außer dem Schrecken ist uns nichts passiert. Steffi ist natürlich sehr verstört.«
»Alles klar, Simon«, gab Brunner kurz zurück. »Ich werde ein paar Experten zusammentrommeln, dann kommen wir sofort nach Partenstein. Am besten bleibt ihr beiden so lange im Haus. Und bitte, lasst alles so, wie es ist.«
Kerner bestätigte, dann legte er auf. Anschließend ging er in sein Jagdzimmer und öffnete den Waffenschrank. Er nahm seinen Revolver heraus, lud die Waffe und legte sie in eine Schublade seines Schreibtisches, so dass er schnell auf sie zugreifen konnte. Kerner wollte sie nicht am Körper tragen, weil er dadurch Steffi noch mehr beunruhigt hätte. Da er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und in Verbindung mit dem Emolino-Fall nach wie vor als gefährdete Person eingestuft war, hatte er noch immer einen dienstlichen Waffenschein. Sicher war eine Schusswaffe keine Lösung, aber nachdem sie ihm einmal das Leben gerettet hatte, hielt er es für angebracht, nach den Geschichten mit den Krähen und diesem Anschlag jetzt, sie rein vorsorglich griffbereit zu haben.
Steffi hatte die traumatischen Erlebnisse ihrer Entführung durch den Emolino-Klan vor Jahren noch immer nicht ganz verwunden. Sie war eine intelligente, junge Frau und ihr war klar: Dieses Ereignis heute Abend war kein Scherz. Da gab es auch nichts zu beschönigen. So wie der Schorf einer Wunde bei falscher Bewegung wieder aufbrechen konnte, brach die Erinnerung an die damaligen traumatischen Erlebnisse in diesem Moment plötzlich wieder voll durch. Steffi setzte sich zitternd in eine Ecke der Couch und schlang schützend die Arme um ihren Oberkörper.
»Ist das denn niemals vorbei?«, flüsterte sie leise, als Kerner wieder den Raum betrat.
Schnell setzte er sich neben sie und legte seinen Arm um ihre Schultern.
»Du musst keine Angst haben«, versuchte er, sie zu beruhigen, »Eberhard wird bald da sein. Wahrscheinlich wollte mich nur jemand erschrecken. Als Strafrichter macht man sich nur selten Freunde.«
Sie wusste natürlich, dass er sie nur trösten wollte. »Kann das mit der …, mit der Mafiasache von damals zu tun haben?«
Kerner wusste natürlich, was sie meinte. Sein erster Gedanke, als er die toten Krähen gefunden hatte, war auch in diese Richtung gegangen. Konnte dies eine Botschaft der Mafiafamilie sein, zu deren Ende er maßgeblich beigetragen hatte? Auch wenn das Landeskriminalamt die Strukturen der Main-Spessart-Familie angeblich zerschlagen hatte, gab es vielleicht immer noch einzelne Familienmitglieder, die nicht vergessen konnten, wem sie ihren Untergang zu verdanken hatten. Sein Gefühl sagte ihm aber, dass die Ursache anderswo lag.
»Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen«, gab Kerner daher zurück. So saßen sie fast eine Stunde. Kerner hielt seine Freundin im Arm und versuchte, ihr die Angst zu nehmen.
Sie atmeten beide auf, als sie vor dem Haus endlich den Motor eines Autos hörten, das vor dem Eingang des Grundstücks stoppte. Kerner ließ Steffi los und eilte zur Haustür.
»Danke, dass du so schnell gekommen bist«, begrüßte er seinen Freund.
Hinter Brunner standen zwei Männer mit Metallkoffern, in denen sich, wie Kerner wusste, die Ausrüstung für die Spurensicherung befand.
»Die Kollegen Meuser und Feser«, stellte Brunner die beiden Beamten kurz vor, die mit ihm die Wohnung betraten.
Brunner begrüßte Steffi, die sich sichtlich erleichtert von der Couch erhob, dann ging er zur Verandatür. Er war schon des Öfteren bei Kerner zu Besuch gewesen, daher kannte er sich aus. Der Kriminalbeamte öffnete die Jalousie mit der Kurbel und betätigte den Schalter für die Außenbeleuchtung. Mit einem Schlag wurde die Veranda in helles Licht getaucht. Er schob die Glastür auf und trat hinaus. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte er den zerstörten Blumentopf. Nachdem Kerner noch einmal den Tatablauf geschildert hatte, machten sich die Spurenexperten an die Arbeit.
Sehr schnell war unter den zahlreichen Tonscherben diejenige gefunden, die den Einschuss aufwies. Von dieser Stelle ausgehend, war der Blumentopf massiv zersplittert.
»… und es war tatsächlich kein Schuss zu hören?«, wollte Brunner wissen.
Steffi, die ja auf der Hollywoodschaukel nicht geschlafen hatte, schüttelte heftig den Kopf. »Es gab einen lauten Knall, aber der stammte von dem auseinanderfliegenden Blumentopf. Ich weiß, wie ein Schuss klingt. Schließlich war ich schon oft genug mit Simon auf der Jagd.«
Als einer der Beamten die buschige Pflanze hochhob, die, nachdem sie den Halt des Tontopfes verloren hatte, einfach zur Seite gekippt war, gab er einen überraschten Laut von sich.
»Was ist denn das?«, wunderte er sich und holte zwischen den Blättern einen toten, schwarzen Vogel hervor. Brunner und Kerner traten einen Schritt näher.
»Ich fasse es nicht!«, stieß Kerner betroffen aus. »Das ist eine Rabenkrähe.« Er machte dem Beamten ein Zeichen. »Halten Sie sie doch bitte mal an den Flügeln hoch.«
Der Mann fasste den Vogel an den Schwingen, zog diese auseinander und hielt ihn so vor sich, dass die anderen die Brustseite sehen konnten.
»Verdammt noch mal, das ist die Krähe, von der ich dir bei unserem letzten Treffen erzählt habe! Die man mir an die Tür der Toilette meiner Jagdhütte genagelt hatte.«
Brunner zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe. »Wie kannst du da so sicher sein?«
Kerner trat näher heran und betrachtete das Tier genauer. »Nein, ich irre mich. Das ist nicht derselbe Vogel.« Er zeigte mit dem Finger auf den Kopf. »Diesem Tier hat man zwar auch die Augen ausgestochen, aber das Blut ist noch ziemlich frisch.« Er ging nahe heran und zog die Luft ein. »Es riecht auch noch nicht. Das andere Exemplar hat schon nach Verwesung gestunken.« Kerner suchte das Brustgefieder ab. »Hier ist ein Einschuss.« Er gab dem Beamten ein Zeichen, die Krähe umzudrehen. »… und hier der Ausschuss.« Er wies auf das kleine blutige Loch.
Brunner sah sich die Krähe genauer an. »Total pervers!«, murmelte er.
»Das kannst du laut sagen! Da macht sich offenbar jemand viel Mühe, mich einzuschüchtern«, stellte Kerner fest. »Dieser Vogel ist vor noch nicht langer Zeit getötet worden.«
Brunner bat seinen Kollegen, den Vogel einzutüten und als Beweisstück später einzufrieren. Nachdem Brunner und Kerner wieder im Wohnzimmer waren, meinte der Kriminalbeamte nachdenklich: »Simon, so wie es aussieht, hat heute jemand im Laufe des Tages dein Grundstück betreten und diesen Vogel dort in dem Blumentopf versteckt. Dann hat er hier in der Nähe gewartet. Als ihr es euch auf der Veranda gemütlich gemacht habt, hat er auf den Blumentopf geschossen. Wahrscheinlich hat er ein Projektil verwendet, das eine stark zerstörerische Wirkung hat, damit der Topf auch richtig auseinander fliegt.« Brunner zeigte in die Dunkelheit, wo sich der Waldrand befand. »Der Schuss muss von dort abgegeben worden sein. Nachdem ihr keinen Knall gehört habt, wahrscheinlich mit einem schallgedämpften Gewehr.«
»Du meinst, er wollte uns erschießen?« Steffis Stimme zitterte, als sie diese Frage stellte.
Brunner schüttelte entschieden den Kopf. »Das glaube ich nicht. So wie ihr mir gesagt habt, seid ihr beide auf der Hollywoodschaukel gesessen, ein ganzes Stück von dem Blumentopf entfernt. Selbst ein mittelmäßiger Schütze hätte euch da leicht treffen können. Nein, ich denke, dass dies eine ganz bewusste Provokation war. Auf den Blumentopf wurde ganz gezielt geschossen. Der Kerl wollte euch klarmachen, dass er euch hätte töten können, wenn er gewollt hätte. Ich würde das als Psychoterror