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Rahmen einer Dissertation schlicht sprengen und die Absicht der hier eingebrachten Forschung ist wesentlich bescheidener. Es kann nur das Ziel sein, Aspekte einzelner Fachdisziplinen, der Bibelwissenschaft, der philosophisch-ethischen und juristischen Tradition sowie der theologisch-ethischen Auseinandersetzung zu benennen, die den zuvor genannten, lebensweltlichen Einsichten des ersten Teils der Arbeit korrespondieren und sie spekulativ vertiefen. Es geht in diesem zweiten Teil also um eine Tiefenhermeneutik, welche die Erfahrungsebene in die theoretisch-systematische Reflexion hebt.

      In diesem Zusammenhang wird der Einfluss der Eltern, ihre Motivation und Initiative noch einmal im Hinblick auf die Bemühungen um die Veränderungen im Diskurs untersucht. Dazu ist auch ein erneuter Blick auf die konkreten Wandlungen der praktischen und lebensweltlichen Erfahrungen zu werfen, die diesen elterlichen Einfluss verstärken. Das heißt etwa ein Blick auf die Fortschritte der medizinischen und medizinisch-technischen Möglichkeiten (Techniken der pränatalen Diagnostik und Bildgebung!) besonders im Kontext der Beziehung und Beziehungsstiftung der Eltern mit dem vorgeburtlichen Kind vor dem Hintergrund der gesetzlich existierenden, unterschiedlichen personenstandsrechtlichen Rücksichten.

      Für diese Untersuchung ebenfalls wichtig erscheint schließlich die Darstellung der mit den vorangegangenen Einsichten korrespondierenden Veränderungen im Trauer- und Verlustempfinden der Eltern. Dabei werden verschiedene Aspekte fokussiert: der Widerhall der elterlichen Emotionen in ihrem näheren und erweiterten sozialen Umfeld, in den Angeboten des Internets sowie den jeweils damit verbundenen Potenzialen und Gefahren. Damit soll eine Verbindung geschaffen werden zwischen der oben benannten gleichsam „intuitiv-objektiv“ als Vorgegebenheit erlebten Würde des Kindes, auch schon in der Zeit der Schwangerschaft, und der bleibenden Verwiesenheit auf die soziale Akzeptanz der Bedeutung des vorgeburtlichen Menschen selbst nach dem möglichen intrauterinen Tod (wie auch der Trauer der Eltern gegenüber in diesem Fall). Grundlage dafür sind die zuvor beschriebene Grundintuition sowie die damit verbundenen normativen Implikationen.

      Der dritte Teil der Arbeit schließt unmittelbar an die gewonnenen Einsichten an und versucht theologisch-ethische Konsequenzen für die Seelsorge an verwaisten Eltern zu formulieren. Dem muss eine Darstellung der Veränderungen besonders im beziehungsweltlichen Kontext und auf emotionaler Ebene vorangehen, um Aufgaben und Handlungsfelder zu identifizieren, wobei zunächst eher allgemeine Aspekte des seelsorglichen Gesprächs zu nennen sind, um Ansätze der spezifischen, notwendigen Begleitung zu finden. Dies bedenkend sollen drei Konkretionen besondere Berücksichtigung finden: die Konfrontation mit Schuldgefühlen und Versagensängsten, der Wunsch der Eltern nach der Taufe für ihr totes Kind sowie die Bedeutung und die Möglichkeiten einer kirchlichen Begräbnisfeier auch in frühen Stadien der Schwangerschaft. In jeder der drei Konkretionen werden direkte Bezüge zu den zuvor gewonnenen Einsichten im Kontext des Diskurses um die Anerkennung des vorgeburtlichen Menschen, insbesondere seiner Beanspruchung und Angewiesenheit den Eltern gegenüber hergestellt. Hier geht es im Besonderen auch um die Vergewisserung des Status des Kindes vor Gott durch die Eltern.

      Ein vierter Punkt soll schließlich das Gesamtergebnis der Arbeit formulieren. Was ist der Mensch in seiner Entwicklungszeit, die zwischen seiner Zeugung durch die Eltern und seiner Geburt liegt: Ist er biologisch gesprochen eine heranreifende Leibesfrucht? Existenziell gesehen Ziel der Hoffnungen und Sehnsüchte der Eltern? Darin aber auch noch unwirkliche und vorläufige Projektion oder schon Partner von lebendiger Wertschätzung und dialogischer Bindung? Gesellschaftlich gesehen eine in einem zur (personenstands-)rechtlichen Erfassung hin rechtsfreien Raum sich entwickelnde unfassbare menschliche Wirklichkeit? Verpflichtet sie trotzdem seine Eltern, seine Verwandten, ja die Gesellschaft (etwa Geburtshilfe, Klinik oder auch das Friedhofswesen) auf eine Anerkennung, die mit dem moralischen Standard menschlicher Würde verbunden ist?

      Die mit diesen Ausdrucksweisen aufgerufenen naturwissenschaftlichen und persönlich-existenziellen Dimensionen sowie ethischen und juristisch-normativen Horizonte eröffnen ein von der Wirklichkeit her gegebenes Spannungsfeld. Es ist Grundlage der tastenden und suchenden Diskurse, die sich im konkreten alltagsweltlichen Umgang der Eltern, in den gesellschaftlichen institutionellen juristischen und praktischen Regelungs- und Handlungsformen spiegeln. Und diese Diskurse haben eine eminente Auswirkung auf das Leben von Eltern, auf soziale Bewusstseinslagen und Reaktionsmuster.

      Die Analyse möchte eine konkrete lebensweltlich angestoßene Entwicklung institutioneller Regelungsformen innerhalb Deutschlands für die ethisch-normative Ausrichtung im Umgang mit dem vorgeburtlichen Menschen untersuchen. Es geht darum, eine faktische Entwicklung in ihrer konkreten Bedeutung für das moralische Bewusstsein deutlich zu machen. Noch vor jeder voraussetzungsreichen (theologisch-)ethischen Argumentation soll damit ein existentielles Faktum als wirksames Element der Diskussion über den moralischen Status des Ungeborenen bewusst gemacht werden. Allein in dieser Bewusstmachung – nicht mehr und nicht weniger – liegt das Ziel dieser Untersuchung. Sie kann freilich zu einer (sich vielleicht vor aller weltanschaulichen Differenz aufdrängenden) mitentscheidenden Grundlage der ethischen und juristischen Auseinandersetzung in diesem so umstrittenen Feld werden.

      Eine prononcierte wissenschaftlich-ethische Thematisierung der Frage nach der Anerkennung des vorgeburtlichen Menschen vor dem Hintergrund seines pränatalen Todes und der Trauer verwaister Eltern liegt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in dieser Form noch nicht vor. Auch die Art des Vorgehens, das heißt, die elterlichen Initiativen in Verbindung mit der in der Vergangenheit geltenden Rechtsgestaltung zum Ausgangspunkt der Untersuchungen zu nehmen, ist so noch nicht in der Literatur zu finden.

      Es ist dennoch durchaus sinnvoll, kurz auf die ausgewerteten Quellen und den Stand der Forschung einzugehen. Denn hinsichtlich der Quellen muss qualitativ und quantitativ differenziert werden. So ist eine klare Unterscheidung vorzunehmen zwischen Beiträgen wissenschaftlicher Fachliteratur verschiedener Bereiche (besonders der Gynäkologie und Psychologie) einerseits und nichtwissenschaftlichen Veröffentlichungen besonders von Betroffenen, etwa in Form von Erfahrungsberichten oder Ratgebern, andererseits. Bereits zu Beginn dieser Einleitung ist deutlich geworden, dass das Reflektieren besonders dieser Texte einen wichtigen Beitrag zur Forschung bilden kann, gerade um den Inhalt und die Intention der elterlichen Initiativen besser verstehen und nachvollziehen zu können. Die wissenschaftliche Literatur, auf die in dieser Arbeit eingegangen wird, ist den Fachbereichen der Bindungs-, Entwicklungs- und Trauerpsychologie, der Philosophie, den Rechtswissenschaften, der Medizin, insbesondere der Gynäkologie, der Theologie, hier im Besonderen der Bibelwissenschaften, der christlichen Sozialethik, der Pastoral- und Moraltheologie sowie der Liturgiewissenschaft entnommen. Mit Ausnahme der Quellen zur DDR sind die meisten Quellen jüngeren Datums, das heißt aus der vergangenen Dekade. Die Erfahrungsberichte und Veröffentlichungen der Initiativen und Betroffenen sind jedoch über mehrere Jahrzehnte hinweg entstanden. Hinsichtlich der Art der Quellen fällt besonders auf, dass etwa ein Drittel der Quellen Internetquellen sind. Neben diesen Quellen und der veröffentlichten Literatur wurden außerdem verschiedene Normensammlungen und Einzelnormen, Drucksachen und ungedruckte Quellen des Bundesarchivs für die Erstellung der vorliegenden Arbeit verwendet.

      Im Zentrum dieser Arbeit steht eine umfassende Diskursanalyse. Neben dem vorgeburtlichen Kind, sozusagen passiver Diskurspartner, stehen dabei vor allem die betroffenen Eltern, der Staat als Gesetzgeber (für den ersten Teil dieser Arbeit muss es korrekt heißen: die beiden deutschen Staaten als Gesetzgeber), die Bundesländer als Gesetzgeber, Mediziner und die Kirchen als Akteure im Mittelpunkt der Betrachtung.

      Dabei kann im Blick auf die Entwicklungsdynamik der für diese Untersuchung relevanten gesetzlichen Veränderungen eine grobe Einteilung geltend gemacht werden: Zunächst gab es in Folge gesetzlicher Neudefinitionen in der DDR, die den vorgeburtlichen verstorbenen Menschen betrafen, und der Liberalisierung der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch in der DDR wie auch in der BRD einige wenige Aufsätze von Medizinern, die sich ernsthaft mit dem Status des vorgeburtlichen Menschen beschäftigen. Hinweise auf einen öffentlichen Diskurs oder Diskursteilnehmer anderer Bereiche sind für den Raum der DDR nicht zu finden. In der Bundesrepublik der damaligen Zeit stellt sich das anders dar. Ebenfalls ausgehend von der Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch aber auch der konkreten Rechtsgestaltung hinsichtlich fehl- und totgeborener Kinder etwa in Bezug auf personenstandsrechtliche Festlegungen

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