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Einschränkungen.“4

      Warum heißt dieses Hören auf den Gotteswillen „Unterscheiden“? Das Wort entstammt der ältesten christlich-spirituellen Weisheit. Zuerst einmal geht es um ein Unterscheiden zwischen dem, was von Gottes gutem Geist kommt und was vom Pseudogeist kommt. Solches Unterscheiden ist immer notwendig, wenn jemand sagt, er oder sie spreche im Namen Gottes. Es könnte ja genauso gut eine Falschprophetie sein. Daher unterstreicht Paulus, dass es eine wichtige Geistesgabe gibt, die „Unterscheidung der Geister“.5 Der Sache nach kennt das Problem auch der Koran. Denn nicht alles, was sich wie die Offenbarungsstimme anhört, ist deswegen schon von Gott. Es könnte auch „böse Einflüsterung“ sein: waswās, wie die letzte Koransure weiß (an-Nās 114:4.5.).

      Paulus nennt das Erkennen von angeblicher und echter prophetischer Verkündigung, wie gesagt, „Unterscheiden“; Johannes fordert, ebenfalls im Neuen Testament, die Christ(inn)en ganz ähnlich dazu auf, die Geister zu „prüfen“.6 Prüfen sollen Christ(inn)en entsprechend überhaupt, was der Wille Gottes ist7; d.h.: Sie müssen herausfinden, was sie im Sinne Gottes tun sollen, wie sie leben und handeln sollen, was das wahrhaft Gute in diesem Augenblick ist. In vielen modernen Sprachen heißt auch dieses hörende Herausfinden des Gotteswillens „Unterscheiden“.8

      Und wie geht es nun, das Unterscheiden? Ich glaube, wir können es am besten an Jesus selbst beobachten. In der Nacht vor Karfreitag ist Jesus klar, dass er verhaftet wird, wenn er jetzt nicht flieht. Das Markusevangelium schildert diesen Augenblick so: „Da ergriff ihn Furcht und Angst“ (Mk 14,33). Eine Stimmung hat Jesus gepackt. Sie scheint ihn zu fesseln. Er betet nämlich jetzt: „Nimm diesen Kelch von mir!“ (Markus 14,3) Mit anderen Worten: bitte keinen Verrat durch einen Freund, keine Gefangennahme, keine Verurteilung, keinen Foltertod. Furcht und Angst haben ihn ergriffen, aber sie haben ihn doch nicht völlig im Griff. Denn Jesus kann auch jetzt noch Gott wie gewohnt ansprechen – als ganz nah: „Abba, Vater“. Und er kann auch jetzt noch von den schöpferischen Überraschungen Gottes sprechen: „Abba, Vater, alles ist dir möglich“ (Mk 14,36). Furcht und Angst scheinen ihm zwar das Herz verschlossen zu haben. Sein Beten wirkt so, also wollte er Gott und dessen Möglichkeiten nur noch zum Selbstschutz nutzen, aber er lässt sich von seiner Beklommenheit nicht festlegen. Er nimmt die Angst nicht als Zustand hin, sondern greift sie als Bewegung auf.

      In diesem Augenblick geschieht etwas Neues. Jesus bleibt nicht bei seinem Gebet „Nimm diesen Kelch von mir!“. Beten ist nämlich nicht: Ich gebe schnell meine Bestellung auf, und dann habe ich ein Recht auf Lieferung. Beten ist keine Bestellung, sondern eine Begegnung; und deshalb eine Bewegung. So kann Beten uns verwandeln. Das war auch bei Jesu Gebet am Ölberg so. Im Beten verwandelt sich sein Gebet. Insgesamt lauten Jesu Gebetsworte – mit der geschehenden Verwandlung – so: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“ (ebd.).

      In seiner schlimmsten Stunde hat Jesus – trotz allem – gespürt: seine Angst will zum Zustand werden, seine Furcht will ihn fesseln. Sie ist ihm aber zur Bewegung geworden, die ihn zum Beten brachte, und so spürte er wieder, wie ihn der Wille und Sinn Gottes aus seinem Eigensinn herausholte. Jesus konnte sich wieder auf Gott verlassen, wie man es im Deutschen treffend sagt; alle Selbstsorge verlassen, auf ihn hin. Jesus war nicht mehr festgelegt von der Angst. Er konnte wieder hinausgreifen in die Freiheit. Das aber bedeutete für ihn gerade nicht die Flucht. Es war keineswegs die Entscheidung für den bequemeren Weg; und es war auch kein heldenhafter Willensakt. Jesus konnte nur noch beten; aber so war die Angst schon zur Bewegung geworden, und er konnte sich wieder anziehen lassen von Gottes Geschichte: Gott siegt durch die Hingabe, die Schwäche, die scheinbare Ausweglosigkeit hindurch. So konnte Jesus spüren, dass Gottes Geschichte, Gottes Plan, Gottes Wille freier und sicherer und besser ist als alles, was ein angstbesetztes Herz sieht, und als alles, was Menschen einander antun können.

      Das ist der Grund unseres Gottvertrauens. Ich kann „mich auf ihn verlassen“. So ist mein Herz wieder frei, zu spüren, was Gott mit mir vorhat; und was ich tun soll, und dass ich es tun kann, weil ich von ihm die Kraft dazu bekomme. So getröstet, getrost9 kann ich seinen Willen unterscheiden – also ihn spüren und mich gelassen auf ihn einlassen. Auch Jesus konnte ja beim Beten in Gethsemani empfinden, dass der Weg Gottes der gute Weg ist, selbst wenn es jetzt erst ein Leidensweg ist.

       Eine Gesellschaft inspirieren

      Das Durcheinander und Miteinander in Deutschland bringt uns einmal besser zusammen, und ein ander Mal auseinander. Der christlich-islamische Dialog ist ein Ort besonderer Verantwortung: Es geht um die Treue zu Gott und um die Gestaltung der Zukunft; und das nicht selten unter Anspannung. Ich erinnere mich, wie ein interreligiöses Podium vom Dialog in die Debatte stürzte und wie ich sauer wurde, weil ich mich von einer muslimischen Diskussionsteilnehmerin ungerecht behandelt fühlte. Viele von Ihnen werden solche Augenblicke kennen. Die Spiritualität meiner Tradition, unsere überlieferte Weisheit sagthier: Empfinden, wie mich jetzt die falsche Kraft packen will; sie ist falsch, weil sie mich festlegen will. Aus der Gefangenschaft kommen wir nur heraus, wenn wir wahrnehmen, dass wir die Stimmung nicht als Zustand hinnehmen müssen, sondern als Bewegung aufgreifen können, um uns neu der Einladung Gottes zu stellen. Er ruft uns zurück in seine gute Geschichte, von der wir ein Teil sind: So können wir uns wieder auf Gott verlassen und gelassen, rücksichtsvoll, umsichtig das Jetzt mitgestalten.

      Als ich mich auf dem erwähnten Podium von der Kollegin angegriffen fühlte und merkte, wie ich innerlich einen sarkastischen Schlagabtausch plante, konnte ich mir plötzlich sagen: Ich bin freier und glücklicher und mehr ich selbst, wenn ich mich nicht provozieren lasse, sondern auch diesen Augenblick als Gottes Geschichte sehe und in seinem Stil weitergehe.

      Etwas Ähnliches hatte ich zuvor bei einem ägyptischen Freund erlebt. In einer heftigen Diskussion als einziger Muslim hatte er den Faden verloren. Nach kurzem aufgeregtem Blick sagte er kaum vernehmbar: bi-smi llāhi r-rahmāni r-rahīm, also „im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers“. Er erinnerte sich daran, dass er im Namen Gottes zu diesem Dialog gekommen war. Das gab ihm die Gelassenheit zurück; und schon hatte er auch seinen Gesprächsfaden wieder. Vielleicht war das etwas Ähnliches wie unsere geistliche Unterscheidung zwischen Steckenbleiben in einer Stimmung und Bewegung zur neuen Bereitschaft für Gottes Plan.

      Dieses geistliche Unterscheiden ist kein Trick für meine Gefühls-Wellness. Es ist eine Möglichkeit, wie ich verantwortlicher leben kann. Solche Schätze überlieferter Weisheit liegen in all unseren Traditionen. Wir müssen sie denen vermitteln, die uns anvertraut sind und die uns vertrauen. Wir müssen diese Schätze auch selbst heute neu entdecken und auf uns wirken lassen; und wir können sie auch einander erklären und miteinander einüben, über die Grenzen hinaus, die zwischen unseren Traditionen zu verlaufen scheinen.

      Ich freue mich, dass mit den Muslimen zu uns auch „der Islam“ mit seinen verschiedenen geistlichen Traditionen gekommen ist. Viele von uns haben schon eindrucksvolle Gläubige und hochspannende Autoren einer fremden Spiritualität kennenlernen dürfen; aber es gibt für uns alle noch viel zu entdecken und zu vermitteln. Es gibt in unseren theologischen, mystischen, asketischen, philosophischen, dichterischen und volksfrommen Traditionen überlieferte Weisheiten, die das Miteinander hierzulande mitprägen können, die das religiöse Denken tragen und weiterentwickeln können, die uns neue Gesichtspunkte in der Ethik aufzeigen können, die neue Ideen für die Wertevermittlung und Lebensgestaltung einbringen können. Ich kann mir ein Deutschland vorstellen, in dem verschiedene Traditionen ausstrahlende Institutionen pflegen, etwa Häuser für geistliche Übungen, Lehrstühle für geistliche Theologie, Lernorte für geistliche Begleiter(innen). Ich kann mir ein Zusammenleben vorstellen, das von geistlichen Zentren verschiedener Religionen inspiriert ist, mit gut ausgebildeten Begleiter(inne)n; ausgebildet, damit sie den empfindlichen Raum des Seelenlebens, des geistlichen Gesprächs, des persönlichen Vertrauens nicht für eigene Zwecke missbrauchen, sich nicht als manipulative Gurus aufspielen, sondern zurückhaltend das persönliche Wachstum der Menschen begleiten, die sich auf die Gottsuche gemacht haben. Ich kann mir eine Gesellschaft vorstellen, in der verschiedene Stile, jüdisch oder christlich oder muslimisch „geistlich“ zu leben, sich gegenseitig herausfordern und beschenken. Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen, brauchen wir das;

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