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und die Eingeweide hingen ihm heraus. Von dem Wolf war nichts mehr zu sehen. Den beiden Beamten war völlig klar, dass es für beide Hunde keine Rettung mehr gab. Mit Tränen in den Augen hoben sie ihre Pistolen und erlösten Rex und Sascha von ihren Leiden. Hasenstamm wurde nicht gesehen.

      Später kamen die Ermittler niemals mehr so nahe an Hasenstamm und seinen Wolfshund heran.

      Im Prozess kam natürlich auch der tragische Tod von Wolfgang Hasenstamms Freundin zur Sprache. Anna Drescher war eine Waise, die von der Landwirtsfamilie Karl-Heinz und Doris Lederer aus Wiesmühl mit zehn Jahren adoptiert worden war. Die Eltern des Mädchens, die als Entwicklungshelfer in Afrika gearbeitet hatten, waren bei einem Flugzeugabsturz in Kenia ums Leben gekommen. Doris Lederer war die Schwester der verunglückten Yvonne Drescher und hatte das Kind später mit ihrem Mann zu sich geholt. Anna war ein rebellisches Kind. Von Afrika her ein sehr eigenständiges, von Zwängen weitgehend freies Leben gewöhnt, ordnete sie sich nur mühsam in den Haushalt der sehr konservativen, stark religiös geprägten Adoptiveltern ein. Da sie in Afrika von ihren Eltern unterrichtet worden war, empfand sie die Schule in Deutschland als einengend und den Lehrstoff als wenig sinnvoll. Entsprechend unkooperativ verhielt sie sich. Nach einer Ehrenrunde schaffte sie mit Ach und Krach dann doch das Abitur.

      Letztlich ließ sich nicht mehr genau ermitteln, wie die junge Frau und Hasenstamm zusammengekommen waren. Vermutlich verliebte sich Anna in den unabhängigen, jungen Mann, weil er ein Leben führte, das sie an ihre ungezwungene, freie Jugend in Afrika erinnerte. Es konnte damals nicht festgestellt werden, ob sie an den Straftaten Hasenstamms in irgendeiner Form beteiligt gewesen war. Hasenstamm verneinte dies, schwieg sich im Übrigen aber beharrlich aus. Jedenfalls half sie ihm auf der Flucht, wobei sie dann tödlich verunglückt war. Als dieser Punkt im Strafverfahren zur Sprache kam, konnte man bei Wolfgang Hasenstamm erstmals eine emotionale Regung erkennen. Bei der Bestätigung Kerners, dass er als Staatsanwalt den Schießbefehl auf das Fluchtauto empfohlen hatte, sprang Hasenstamm wutentbrannt auf und musste vom Justizwachtmeister mit Gewalt auf seinen Platz zurückgedrückt werden.

      Brunner würde niemals das Verhalten von Vater und Sohn Hasenstamm beim weiteren Prozessfortgang vergessen. Lange Zeit waren beide wie versteinerte Monumente vor ihren Richtern gesessen und hatten geschwiegen. Simon Kerner gelang es nicht, das Schweigen der Männer zu brechen.

      Von einem Tag auf den anderen änderte sich diese Haltung der Angeklagten. Sehr zur Überraschung der Prozessbeteiligten erklärten die Verteidiger der beiden am zweiten Verhandlungstag, dass Wolfgang Hasenstamm eine Aussage machen wolle. Mit dürren Worten gestand er, auf den Förster Wohlfahrt einen Pfeil abgeschossen zu haben, weil dieser mit seinem Gewehr auf ihn geschossen hatte. Der Wolfshund habe ihn bedroht gesehen und darauf den Förster aus eigenem Antrieb angefallen. Sein Vater sei zwar an gemeinsam begangener Jagdwilderei beteiligt gewesen, habe mit dem Tod des Forstbeamten aber nichts zu tun. Richard Hasenstamm bestätigte die Aussage seines Sohnes.

      Aufgrund dieser beiden Aussagen kam das Gericht zu der Überzeugung, dass Wolfgang Hasenstamm des Totschlags und der schweren Jagdwilderei überführt sei. Zur Aburteilung wegen Mordes reichten die Beweise nicht. So wurde er zu dreizehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil nahm Wolfgang Hasenstamm wortlos und mit undurchdringlicher Miene an.

      Richard Hasenstamm wurde vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen, jedoch wegen schwerer Jagdwilderei zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

      Wie es der Anwalt Hasenstamms geschafft hatte, ihm zur Beerdigung seines Vaters einen bewachten Ausgang zu verschaffen, war Brunner rätselhaft. Brunner vermutete, dass sich Hasenstamm in der Haft ordentlich geführt hatte und der Gefängnispsychologe dadurch zu der Überzeugung gekommen war, diese Aktion verantworten zu können. Eine folgenreiche Fehlentscheidung! Hasenstamm hatte alle getäuscht. Die Umstände seiner Befreiungsaktion bewiesen, zu welcher Brutalität dieser Mann fähig war.

      Während Brunner auf dem Friedhof die Umstände der Tat untersuchte, sorgte Kauswitz dafür, dass sämtliche denkbaren Stellen, die Hasenstamm nach seiner Flucht anlaufen konnte, überwacht wurden. Dazu gehörte insbesondere die heimische Mühle. Außerdem forderte er mehrere Hundeführer an, die die Spur des Geflüchteten verfolgen sollten, solange sie noch warm war. Die Hunde verloren jedoch schon nach wenigen Kilometern die Spur des Flüchtigen, da er offenbar längere Zeit in einem Bach gelaufen war. Die Suchtrupps mussten mit Einbruch der Dunkelheit die Verfolgung aufgeben. Am nächsten Tag veranlasste Eberhard Brunner eine Polizeiaktion, wie sie der Spessart, insbesondere die Gegend um Wiesmühl, noch nicht erlebt hatte.

      Noch am Abend rief Eberhard Brunner seinen Freund Simon Kerner zuhause in Partenstein an und berichtete ihm von der geglückten Flucht Wolfgang Hasenstamms. Er verschwieg ihm auch die brutalen Umstände des Ausbruchs nicht. Kerner war sofort alarmiert. Er konnte sich noch sehr gut an den Prozess mit den beiden schweigsamen Angeklagten erinnern. Wolfgang Hasenstamm hatte ihn stundenlang mit brennenden Augen angestarrt. Für Kerner war sofort klar, dass in erster Linie der Wunsch nach Vergeltung für den Tod seiner Freundin die Triebfeder seiner Flucht war.

      Die Leitung der Justizvollzugsanstalt, in der Hasenstamm eingesessen war, wurde von der Kriminalpolizei umgehend vom Entkommen des Verbrechers und vom Tod des einen und der Verletzung des anderen Beamten unterrichtet. Die Nachricht von der erfolgreichen Flucht Hasenstamms und deren Umständen verbreiteten sich unter den Strafgefangenen wie ein Lauffeuer. Es gab nur zwei Gefangene, die mit Hasenstamm näheren Kontakt hatten, da sie, getrennt voneinander, eine Zeit lang die Zelle mit ihm geteilt hatten. Einer der beiden stand den Ermittlern am nächsten Tag im Zimmer des Gefängnisdirektors Rede und Antwort. Für seine Kooperationsbereitschaft versprach er sich Vorteile bei der gerichtlichen Prüfung des Erlasses seiner Restfreiheitsstrafe auf Bewährung. Er beschrieb Hasenstamm als ausgesprochenen Einzelgänger, der von allen Gefangenen respektiert wurde. Kurz nach dem Strafantritt Hasenstamms hatte sich ein Vorfall ereignet, der ermittlungstechnisch nie aufgeklärt werden konnte. Der Strafgefangene Dimitri Bulganov, wegen mehrfachen Totschlags zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt, war im Knast der unangefochtene Anführer einer Russengang. Wegen seiner Brutalität, insbesondere gegenüber Neuzugängen unter den Gefängnisinsassen, war er gefürchtet. Was alle Gefangenen mit Spannung erwarteten, ereignete sich zwei Tage nach Hasenstamms Strafantritt beim morgendlichen Duschen. Die Vollzugsbeamten hatten sich auf einen Wink Bulganovs vor den Duschraum zurückgezogen. Es gab im Knast nun einmal eine Hierarchie, die sie stillschweigend duldeten, solange die Ordnung in der Anstalt dadurch nicht gestört wurde. Als die anderen Insassen mitbekamen, was sich da zusammenbraute, verschwanden sie schleunigst aus der Dusche. Lediglich zwei Männer aus Bulganovs Gang blieben zurück.

      Was sich im Detail im Duschraum wirklich abspielte, wurde nie aufgeklärt, da alle Beteiligten schwiegen. Letztlich hatte keiner der Männer ein gesteigertes Interesse daran, die Angelegenheit aufzuwühlen. Die Vollzugsbeamten sagten im Rahmen eines Dienstaufsichtsverfahrens aus, sie hätten aus der Dusche klatschende Geräusche gehört, dann einen unterdrückten Schrei. Sie seien von einer harmlosen Rangelei unter Gefangenen ausgegangen. Kurz darauf verließ zu ihrer Verwunderung Hasenstamm völlig gelassen den Raum und nickte den beiden Beamten mit einem merkwürdigen Lächeln zu. Es sollte einer der wenigen Momente gewesen sein, dass man den Gefangenen Hasenstamm lächeln sah. Die Beamten sahen daraufhin in der Dusche nach und fanden zu ihrer Überraschung die Gangmitglieder Bulganovs vor, deren Köpfe ziemlich malträtiert aussahen. Dem einen blutete die Nase, dem anderen schwoll bereits ein Auge zu. Bulganov selbst hatte es aber am härtesten getroffen. Das Handtuch, das sich der Russe aufs Gesicht drückte, war bereits blutgetränkt. Die Beamten bemerkten zu ihrem Entsetzen, dass aus dem linken Auge des Russen ein Fremdkörper herausstand. Die beiden Gangmitglieder des Russen behaupteten stur und steif, dass es sich um einen Unfall handele. Sie hätten unter der Dusche spaßeshalber etwas herumgecatcht, um den Neuen ein wenig zu testen. Dabei sei Bulganov auf den nassen Kacheln ausgerutscht und mit dem Gesicht gegen die Wand der Dusche geknallt. Dabei sei eine Fliese gebrochen und ein Fragment in Bulganovs Auge gedrungen. Das Auge des Russen konnte nicht gerettet werden. Bei der nachfolgenden Untersuchung stießen die Ermittler auf die berühmte Mauer des Schweigens. Die Russen blieben bei ihrer Version der Geschichte und Hasenstamms Kommentar bestand in einem Schulterzucken. Bulganov trug fortan eine schwarze Augenklappe und ging Hasenstamm aus dem Weg. Der Burgfrieden wurde nie gebrochen. Es drang nie nach außen, dass

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