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der Zug das Tor passiert hatte, öffnete sich den Männern rechter Hand der Blick auf die Feste Marienberg, wo hoch über dem Main der Fürstbischof residierte.

      „Dass Sie einen von Wolfenstein auch auf den Scheiterhaufen schicken, das wundert mich schon sehr“, flüsterte Ida Krüglein ihrer Nachbarin Magdalena Röhrig ins Ohr. Die beiden Frauen waren auf dem Weg zum Markt gewesen, als ihnen der Henkerskarren entgegenkam. Aus Neugierde schlossen sie sich dem Tross der Schaulustigen an. Hinrichtungen hatten auch immer einen gewissen Unterhaltungswert.

      „Er soll dem hochwürdigsten Herrn den Wein verhext haben. Der gnädige Herr soll tagelang nicht mehr vom Abort heruntergekommen sein“, erwiderte Magdalena ebenso leise. „Nur durch Gebete und eine Besprechung durch seinen Beichtvater soll der Teufel vertrieben worden sein.“ Ihr Mann war als Büttel bei der Stadt angestellt und häufig bei Gerichtsverhandlungen dabei. Daher war sie immer bestens informiert.

      „Wenn es danach ginge, müssten wohl einige Winzer auf dem Scheiterhaufen landen. Wir haben letztes Jahr einen Wein gekauft, der meinem Mann und mir erhebliche Leibschmerzen verursacht hat. Weiß der Teufel …“ Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Niemand hatte sie gehört. „… weiß der Himmel, was da alles reingepanscht war.“ Sie winkte ab, dann wechselte sie wieder das Thema: „Warum brennen sie ihn eigentlich auf dem Sanderrasen und nicht vor der Marienkapelle?“

      Magdalena fühlte sich sehr wichtig und gab gern Auskunft. „Der Rat hat angeordnet, dass während der herrschenden Trockenheit nur noch vor der Stadt gebrannt werden darf. Sie wollen damit verhindern, dass durch den Funkenflug ein Feuer ausbricht.“

      Ida nickte. Vor Feuer hatten die Menschen in den Städten großen Respekt. Eine Feuersbrunst konnte innerhalb kürzester Zeit eine ganze Stadt vernichten.

      Mittlerweile hatte der Zug die Hinrichtungsstätte erreicht. Schon aus einiger Entfernung konnte die stark angewachsene Menschenmenge den vorbereiteten Scheiterhaufen sehen. Daneben waren schwarze Aschehaufen, die Überreste früherer Verbrennungen, zu erkennen.

      Wie auf einen geheimen Befehl blieb die Menge in einiger Entfernung stehen, während der Henkerskarren weiterrollte. Als er zum Stillstand kam und die Henkersknechte den Mann vom Karren zerrten, ging ein Raunen durch die Zuschauer. Sie waren enttäuscht, dass das Geschehen ganz unspektakulär und ohne Widerstände des Hinzurichtenden vonstatten ging. Unter der Aufsicht des Scharfrichters wurde Gunther von Wolfenstein von den Gehilfen auf den Scheiterhaufen geschleppt und mit Ketten an einem Pfahl festgebunden. Noch immer zeigte er keine Reaktion.

      Der Scharfrichter gab seinen Gesellen einen Wink, dann erkletterte er ebenfalls den Scheiterhaufen. Er schien die Ketten zu prüfen, mit denen der Mann am Pfahl befestigt war. Da auch die Knechte noch herumstanden, konnten die Schaulustigen nicht richtig erkennen, was genau er tat. Als die Männer dann der Reihe nach von dem Holzstoß herunterstiegen, hing der Verurteilte merkwürdig schlaff in den Ketten. Offensichtlich hatte er das Bewusstsein verloren. Nur der Henker und seine Knechte wussten, dass der Bruder des Verurteilten nach inständigem Bitten beim Fürstbischof doch noch einen kleinen Gnadenerweis erwirkt hatte. Mitten in der Nacht, damit er nicht gesehen wurde, hatte er daraufhin den Scharfrichter aufgesucht und ihm einen Beutel mit Münzen in die Hand gedrückt. Verbunden mit der Bitte, seinem Bruder die Qualen einer Verbrennung zu ersparen. Der Betrag war zufriedenstellend, so dass der Scharfrichter, als er so tat, als würde er die Ketten des Verurteilten kontrollieren, dem Mann mit einem gekonnten Griff das Genick gebrochen hatte.

      Der mit Pech getränkte Scheiterhaufen fing schnell Feuer und schon nach wenigen Augenblicken war der Körper des Verurteilten in dichte Rauchwolken eingehüllt, so dass nichts mehr zu erkennen war. Kurz darauf schlugen die rotgelben Flammen hoch über Gunther von Wolfenstein zusammen und taten ihr vernichtendes Werk.

      Auf dem Platz herrschte eine gespenstische Stille. Nur das laute Knacken der brennenden Holzscheite war zu hören und trieb den Zuschauern eiskalte Schauer über den Rücken.

      Da es nun nichts mehr zu sehen gab, verlief sich die Menschenmenge schnell und die schaulustigen Bürger von Würzburg gingen wieder ihrer Arbeit nach, begleitet von der unterschwelligen Angst, dass der Antichrist ständig unter ihnen weilte. Über der Stadt am Main lasteten die dunklen Wolken des Hexenwahns und der Teufelsangst.

      IN DIESEN TAGEN

      Der Mann setzte sich auf seine Kawasaki und verließ den Hof seines Kumpels Richard, von allen nur Richie genannt, und fuhr in Richtung Retzstadt. Richie hatte ein Verschrottungsunternehmen und handelte außerdem mit Gebrauchtwagen. Der Deal, den der Motorradfahrer gerade mit Richie abgeschlossen hatte, würde diesem ein ordentliches Zubrot einbringen. Sein Plan war nahezu genial. Er musste grinsen. Als die Bundesregierung die Abwrackprämie für Altautos beschlossen hatte, war bestimmt keinem der Befürworter in den Sinn gekommen, dass sie auch auf ganz andere Weise genutzt werden konnte. Richie hatte nicht lange nachgefragt, als der Mann von ihm wissen wollte, ob er sich eines der abgemeldeten Fahrzeuge ausleihen könne. Für einen Umschlag mit Euroscheinen hätte Richie noch ganz andere Dinge verliehen.

      Der Motorradfahrer fuhr zügig durch die Ortschaft, bis er nach dem Ortsschild auf den Hof eines Anwesens abbog, wo er die Maschine unterstellte, wenn er sie nicht benötigte. Dieses Motorrad, das er erst vor kurzem gekauft hatte, war nur für spezielle Zwecke bestimmt und sollte daher nicht für jeden erkennbar draußen stehen. Wenn alles vorüber war, würde er es wieder abstoßen. Er schob die Maschine in die muffige, baufällige Scheune, bockte sie auf, zog seine Motorradkluft aus und steckte sie in einen Rucksack. Dann schlüpfte er in einen sportlichen Radfahrerdress. An der Scheunenwand lehnte ein Mountainbike. Er prüfte den Luftdruck der Reifen, denn am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang wollte er damit in den Wald fahren, wo er sich nach Durchführung seines Planes mit Richie treffen wollte. Mit den Reifen war alles in Ordnung. Er setzte den Rucksack auf und schwang sich auf den Sattel. Nach kurzer Fahrt kam er auf die asphaltierte Straße und trat dort kräftig in die Pedale.

      Obwohl er gerade dabei war, den Tod eines Menschen zu planen, war er erstaunlich ruhig. Diese Abgeklärtheit rührte daher, dass er einige Jahre lang als Söldner an den Kriegsschauplätzen dieser Welt gekämpft hatte.

      Kurze Zeit später bog der Mann in einen Feldweg ein. Von hier aus führte ein leicht gewundener Weg ständig bergauf. Als er die Anhöhe mit dem großen Kreuz erreicht hatte, ging sein Atem etwas schneller, doch war er keineswegs atemlos. Der Rest des Weges verlief durch Weinberge ständig bergab. Eine halbe Stunde später erreichte er das Haus seiner Mutter.

      Innerlich beglückwünschte er sich zu seinem Plan. Er hatte ihn fast ein Dutzend Mal durchdacht. Es konnte einfach nichts schiefgehen.

      Einige Tage darauf kam der alleinstehende Rentner Axel Fuller aus dem Weindorf Retzstadt in Unterfranken bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben. Fuller war Winzer und Besitzer einiger Weinberge, die er bis auf einen verpachtet hatte. Mit dem Weinberg, den er noch selbst bewirtschaftete, hatte es eine besondere Bewandtnis. Obwohl in diesem Wengert nur wenige Zeilen in steiler Hanglage wuchsen, war er mehr wert als seine übrigen Weinberge zusammen. Durch Zufall hatte er vor Jahren herausgefunden, dass dieser Weinberg ein Geheimnis barg, das er nur wenigen Männern im Dorf anvertraut hatte. Die Winzer hatten die Besonderheit dieses Weinbergs erkannt und in Gedenken an den Weingott Bacchus, dem sie ihrer Meinung nach dieses Geschenk verdankten, den Bund der Bacchus-Brüder gegründet. Sie hatten sich geschworen, das Geheimnis des Weinbergs unter allen Umständen zu wahren. Doch schon nach kurzer Zeit war bei einigen Mitgliedern der Bruderschaft der Wunsch nach einer kommerziellen Nutzung des Gottesgeschenks aufgekommen. Das hatte zum Streit geführt, infolgedessen sich jene Winzer vom ideellen Zweig der Bruderschaft abspalteten und sich fortan Retschter Bacchus-Bruderschaft nannten.

      Fuller saß nun zwischen zwei Stühlen. Einerseits wollte er das wunderbare Geheimnis wahren, auf der anderen Seite sah er aber auch ein, dass man ein solches Geschenk des Bacchus allen Menschen kostenlos zur Verfügung stellen sollte. So traf er in seinem Testament eine Regelung, die er allerdings für sich behielt. Wenn er darauf angesprochen wurde, wie er sich die Zukunft seines besonderen Weinbergs vorstellte, erklärte er nur, dass er eine für

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