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Yülan und werde dich ein Stück begleiten. Los, Grossmann, gib Gas, ich habe es eilig!“ Auffordernd sah er Marschmann an, dabei lächelte er.

      Verdammt, das war Yülan, der Boss, persönlich, schoss es Marschmann durch den Kopf. Aber was hatte der Mann für eine Stimme! Marschmann hatte erhebliche Mühe, sich sein Erstaunen über deren extrem hohen Klang nicht anmerken zu lassen. Was seine Stimmbänder erzeugten, war reinstes Falsett! Diese hohen Töne standen im krassen Gegensatz zur Figur des Mannes. Yülan war sicher über einsneunzig groß, kräftig und durchtrainiert. Unter dem linken Ärmel seines teuren Jacketts war eine eindeutige Ausbeulung zu erkennen. Der Typ war bewaffnet!

      „Verdammt, Grossmann, jetzt mach schon! Oder hast du ein Problem?“ Seine Augen bekamen einen harten Glanz, als er Marschmanns Zögern bemerkte. Das Lächeln blieb dabei jedoch in seinem Gesicht wie eingemeißelt stehen.

      Marschmann wusste natürlich, wie Yülan in der Organisation genannt wurde. Er riss sich zusammen, ignorierte die Stimme und das Lächeln und startete den Motor. Viel mehr beschäftigte ihn die Frage, wieso sich der Boss, der sich, wie er wusste, normalerweise immer im Hintergrund hielt, in sein Fahrzeug gesetzt hatte. War etwa seine Tarnung aufgeflogen? Marschmann merkte, wie seine Handflächen feucht wurden. War er jetzt womöglich auf dem Weg zu seiner eigenen Hinrichtung?

      Bei Heidingsfeld fuhren sie auf die A 3 und Marschmann alias Grossmann gab Gas. Auf der Fahrt bis Marktheidenfeld sprach Yülan kein Wort. Marschmann hatte den Eindruck, dass er tief in Gedanken versunken war. Die Anspannung des verdeckten Ermittlers stieg fast ins Unerträgliche. Wenn Yülan bei der Kontrolle mit im Auto saß, würde der ganze Plan auffliegen. Marschmanns Schusswaffe war mit Platzpatronen geladen, so dass er schießen konnte, ohne jemanden zu verletzen. Von den kontrollierenden Beamten waren drei bestimmt, die ebenfalls mit Platzpatronen auf den flüchtigen Grossmann schießen sollten. Marschmann war klar, dass Yülan im Ernstfall von seiner scharfen Waffe Gebrauch machen würde. Für die völlig überraschten Kollegen bestand Lebensgefahr! Marschmann musste den Einsatz unbedingt stoppen! Er beschloss, bei der Raststätte Spessart einen kurzen Stopp einzulegen. Ihm war klar, dass sein Boss etwas dagegen haben würde. Die Hohlräume seines Fahrzeugs waren mit Heroin vollgestopft, das für den Frankfurter Markt bestimmt war. Mit so einer brisanten Fracht machte man normalerweise keine Pause.

      „Es tut mir leid, Herr Yülan“, begann Marschmann wenige Kilometer vor der Raststätte und verzog das Gesicht, „aber ich muss mal dringend zur Toilette.“

      Der Lächler sah seinen Fahrer mit zusammengekniffenen Augen an. „Was soll der Unsinn? Du kannst mit dem Zeug im Wagen nicht anhalten.“

      „Ich weiß“, gab Marschmann zurück, „aber ich habe gestern Sushi gegessen und ich fürchte, ich habe das Zeug nicht richtig vertragen. Jedenfalls habe ich echte Verdauungsprobleme.“

      Yülan gab ein Knurren von sich. „Okay, dann fahr den nächsten Parkplatz an. Ich werde hier im Wagen bleiben.“

      „In ein paar Minuten sind wir an der Raststätte Spessart“, erklärte Grossmann erleichtert.

      „Keine Raststätte!“ Das Fauchen seiner Stimme strafte sein Lächeln Lügen. „Nimm den nächsten Parkplatz, dort gibt es auch eine Toilette.“

      Marschmann fluchte innerlich. „Hoffentlich halte ich noch so lange durch“, stöhnte er mit verkniffener Miene und drückte das Gaspedal weiter durch.

      Yülan holte ein Handy aus seinem Jackett. Er wählte eine Nummer und sprach einige Sätze in türkischer Sprache in das Telefon. Danach steckte er das Telefon wieder ein. Marschmann hatte kein Wort verstanden.

      Dank der hohen Geschwindigkeit passierten sie zehn Minuten später den Rastplatz Spessart. Um sein dringendes Bedürfnis zu demonstrieren, gab Marschmann hin und wieder ein gepresstes Schnaufen von sich. Es dauerte fast zwanzig Minuten, ehe das erlösende Schild auftauchte, das auf einen Parkplatz in zwei Kilometern Entfernung hinwies. Yülan deutete nur wortlos darauf.

      Auf dem Platz, dicht beim WC, stand lediglich eine große Limousine. Etwas entfernt stand ein Camper, dessen Insassen auf einer Bank saßen und aßen. Dahinter parkte ein Geländewagen mit Anhänger. Der Fahrer war nicht zu sehen. Sonst war der Parkplatz leer. Grossmann fuhr bis dicht vor das Toilettenhaus, dann machte er den Motor aus und sprang aus dem Fahrzeug.

      „Halt! Dein Handy!“, rief Yülan und hielt ihm auffordernd die Hand hin.

      „Ich verstehe nicht?“, erwiderte Grossmann.

      „Reine Vorsichtsmaßnahme“, lächelte Yülan.

      Marschmann stieß innerlich einen Fluch aus, griff in die Tasche und reichte dem Türken hastig sein Mobiltelefon. Yülan war wirklich extrem misstrauisch. Dann wandte er sich ab und eilte zur Toilette.

      Kaum hatte er eine der Kabinen hinter sich verriegelt, als er auch schon ein zweites Handy aus der Tasche zog. Das Mobiltelefon, das er dem Drogenboss übergeben hatte, war präpariert. Es befanden sich nur harmlose Kontakte darauf, die jederzeit einer Überprüfung durch die Organisation standhalten würden. Er schrieb hastig eine kurze SMS, mit der er den Einsatz abblies, und sandte sie an eine Kontaktnummer, die nur er kannte und die nur ihm zur Verfügung stand. Er steckte das Telefon wieder ein. Einer inneren Eingebung folgend, zog er seine Pistole aus dem Schulterholster. Es handelte sich hierbei natürlich nicht um eine Dienstwaffe, sondern um eine unregistrierte Beretta, Kaliber 9 mm Parabellum, vom Frankfurter Schwarzmarkt. Die Spezialisten vom LKA hatten sie ihm aus dem hauseigenen Waffenarsenal besorgt. Er entfernte das Magazin mit den Platzpatronen und führte das Reservemagazin mit der scharfen Munition ein. Gerade als das Magazin im Griffstück einrastete, hörte er Schritte. Dem Klang nach handelte es sich um mehrere Personen.

      „Hey, Grossmann, komm raus!“, hörte er da auch schon die tiefe Stimme eines Mannes. Die Stimme kannte er nicht. Er hörte, wie die Türen neben ihm der Reihe nach ruckartig geöffnet wurden. Hart knallten die Türgriffe gegen die dünnen Seitenwände der Kabinen. Wie es aussah, hatte Yülan unterwegs Verstärkung angefordert, nachdem klar war, welchen Parkplatz sie ansteuern würden. Damit stand für Marschmann aber auch fest, dass er aufgeflogen war. Jetzt ging es für ihn nur noch darum, seine Haut zu retten. Sein Blick irrte in der engen Kabine umher. Das war eine schier ausweglose Situation!

      „Schieb deine Knarre unter der Tür durch und komm heraus!“, forderte der Mann erneut. „Ansonsten werden wir durch die Tür schießen! Ich zähle bis drei …“

      Marschmann zweifelte keine Sekunde an der Ernsthaftigkeit dieser Drohung. Während der Typ zu zählen begann, stieg Marschmann blitzschnell auf die Kloschüssel. Vom oberen Rand der Kabine bis zur Decke waren es ungefähr 25 Zentimeter Luft – das musste reichen. Marschmann schob seine Waffe in den Hosenbund, dann stellte er sich mit dem Rücken gegen die eine Seitenwand, griff nach oben, hielt sich am oberen Kabinenrand fest, drückte seinen Rücken gegen die Wand und marschierte mit den Sohlen seiner Turnschuhe an der gegenüberliegenden Wand empor, so dass er Sekunden später knapp unter der Decke zwischen den beiden Kabinenwänden eingeklemmt war. Er zog seine Waffe. Gerade rechtzeitig, denn der Typ vor der Tür war bei drei angekommen.

      „Du hast es nicht anders gewollt!“, schrie er, gleichzeitig wurde der Raum der Autobahntoilette von den ohrenbetäubenden Explosionen mehrerer Schüsse erfüllt. Die Projektile schlugen scheppernd in die Metallarmaturen der Toilette ein. Eine Sekunde später wurde die Tür von Grossmanns Kabine eingetreten und zwei Männer in sprungbereiter Haltung starrten verblüfft mit vorgehaltenen Pistolen in die scheinbar leere Kabine.

      Marschmann verlor keine Zeit. Ehe Yülans Männer kapierten, was Sache war, gab der verdeckte Ermittler von oben zwei gezielte Schüsse auf sie ab. In beiden Fällen traf er die Schulter der Männer. Ihre Hände fielen kraftlos nach unten. Das Schmerzgebrüll der beiden hallte von den Toilettenwänden wider. Die Wucht der Einschläge schleuderte sie gegen die Toilettenwand, an der sie langsam in eine sitzende Haltung rutschten. Ehe sich die Männer von ihrem Schock erholen konnten, löste sich Marschmann aus seiner eingeklemmten Haltung und stieg herunter. Dabei ließ er die beiden keine Sekunde aus den Augen.

      „Waffen wegschieben!“, fauchte der verdeckte Ermittler sie an. Sein Herz raste wie verrückt.

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