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      Erzsis Lehrmeister Albert von Schrenck-Notzing, Arzt und Parapsychologe

      Schrenck-Notzing hatte sich mit allen möglichen Aspekten der Medizin befasst, zum Beispiel „heilte“ er Homosexuelle. Die meisten Ärzte hielten Homosexualität damals für eine heilbare „Störung“ und Schrenck-Notzing hatte den Ruf, diese „Störung“ beheben zu können. Überhaupt war er in sexuellen Fragen eher rückschrittlich. So erwähnte er etwa Erzsis Lebensgefährten Leopold Petznek, den sie später heiratete, in seinen Briefen kein einziges Mal. Nach ihren vier Kindern aus erster Ehe und deren Wohlergehen erkundigte er sich aber regelmäßig. Vermutlich hat er Petznek nie getroffen, obwohl er jahrelang bei Erzsi zu Gast gewesen ist. „Wilde Ehen“ lehnte der aus einer vornehmen Familie stammende Doktor ab. Trotz dieser Bedenken gehörte zu seinem „kosmischen“ Freundeskreis nicht nur die wenig moralinsaure Kronprinzentochter, sondern auch die Münchner Skandalgräfin Franziska zu Reventlow. Diese hatte einen Sohn, dessen Vater sie zeitlebens verschwieg, und verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit Sexarbeit, schnorrte Geld gegen kleine „Liebesdienste“ oder spielte Theater. So gesehen war Schrenck-Notzing die neue, emanzipierte Generation höherer Töchter nicht wirklich fremd.

      Albert von Schrenck-Notzing war weit über München hinaus als Hypnosearzt bekannt, da er über die Erfolge der Hypnosetherapie promoviert hatte. Dass er selbst fähig war, andere zu hypnotisieren, hatte er bereits während seiner Studienzeit entdeckt. Im Krankenhaus wendete er die Suggestionstherapie an. Seine eigene parapsychologische Zeitschrift, die er sich aufgrund einer finanziell einträglichen Heirat leisten konnte, förderte zusätzlich seinen Bekanntheitsgrad und seinen Ruhm. So hatte etwa der Schriftsteller Thomas Mann die Praxisadresse Schrenck-Notzings seit 1899 in seinem Notizbuch stehen, nahm jedoch erst im Winter 1922/23 an einigen seiner okkultistischen Sitzungen teil. Die miterlebten Taschentuch-Elevationen und sogar eine teleplastische Materialisation begeisterten Thomas Mann und brachten ihn dazu, die Karriere des „Geisterbarons“ weiter zu verfolgen. Auch nach dessen Tod 1929 ging er ihm nicht aus dem Kopf. In der Novelle „Mario und der Zauberer“ (1930) beschwört Mann Erzsis Séancen-Lehrmeister posthum noch einmal herauf. Die Figur des unheimlichen Hypnotiseurs Cipolla, der auf einem Jahrmarkt (!) seine Kunststückchen zum Besten gibt – Schrenck-Notzing hätte dies als „Gaukeleien“ abgetan –, ist von dem berühmten Münchner Arzt inspiriert.

      Sophie Charlotte, Schwester der Kaiserin Elisabeth, um 1867

      Wie viele seiner Zeitgenossen kam Schrenck-Notzing mit der Hypnose zum ersten Mal in einem Varieté in Berührung. Damals grassierte in Europa das „Hansen-Fieber“, ausgelöst durch den dänischen Scharlatan Carl Hansen, dessen Hypnose-Darbietungen Schrenck-Notzing und sogar Sigmund Freud faszinierten. Freud beschrieb ein Hansen-Spektakel so:

      „Noch als Student hatte ich einer öffentlichen Vorstellung des Magnetiseurs Hansen beigewohnt und bemerkt, daß eine der Versuchspersonen totenbleich wurde, als sie in kataleptische Starre geriet und während der ganzen Dauer des Zustandes so verharrte. Damit war meine Überzeugung von der Echtheit der hypnotischen Phänomene fest begründet.“

      Seine „hypnotischen“ Demonstrationen führte der Show-Magnetiseur Hansen auch im Wiener Ringtheater vor, das 1881 abbrannte. Zu Beginn ließ Hansen seine „Patienten“ ein Stück Glas fixieren und strich ihnen über die Stirn. Er schloss ihnen Mund und Augen. Meist ließ er dann die „Patienten“ stocksteif zwischen zwei Stühlen liegen und stellte sich auf deren Körper. Viele Wissenschaftler und Ärzte fanden diese Phänomene, die auf Versuche des Magnetiseurs Franz Anton Mesmer im 18. Jahrhundert zurückgehen, durchaus bemerkenswert, wie etwa der Sexualarzt Richard von Krafft-Ebing. Er war mindestens so bekannt wie Schrenck-Notzing und befasste sich mit ähnlichen Dingen. In der Nähe von Graz führte er ein Institut, das auf die Heilung sexueller „Anomalien“ spezialisiert war. Vorwiegend behandelte er „hysterische“ Frauen, die ihren gleichgültigen, gefühlskalten, trinkenden, fremdgehenden oder gewalttätigen Ehemännern mit einem Liebhaber davongelaufen waren. Auch eine Großtante Erzsis, eine der Schwestern von Kaiserin Elisabeth, wurde zu Krafft-Ebing eingeliefert, als sie ihrem Ehegefängnis entfliehen wollte.

      Esoterische Netzwerke

      Hypnose-Versuche fanden nur in ganz bestimmten Arztpraxen oder Spitälern statt, da sie weder allgemein toleriert wurden geschweige denn weitgehend anerkannt waren. Auch Privathäuser wie Erzsis Schloss in Schönau wurden für solche Zwecke herangezogen. Freuds weltberühmte Theorie des Unbewussten fußt in weiten Teilen auf den erwähnten Denkgebäuden: Auf dem Mesmerismus, dem Hypnotismus und dem Somnambulismus, also der Lehre vom Schlafwandeln, die zur Zeit Mesmers noch Mondsucht („Lunatismus“) geheißen hat. Es ging in den Debatten nicht immer um den Wahrheitsgehalt dieser Theorien, sondern vielmehr standen Machtkämpfe im Vordergrund, Netzwerke von Freunden und Feinden, die für die Durchsetzung einer Idee oft wichtiger waren als deren Realitätsgehalt. Schrenck-Notzing agierte meisterhaft auf diesem heiklen Parkett und obwohl er häufig von Skeptikern angegriffen wurde, gelang es ihm, seinen wissenschaftlichen Ruf zu retten. Bekannte Unterstützer waren unabdingbar, wie etwa der Münchner Malerstar Gabriel von Max. Seine Gemälde zeigen eine intensive Auseinandersetzung mit Forschungsfeldern wie der „Hysterie“, der Hypnose, der Parapsychologie und mit dem Spiritismus. Eine höchstwohlgeborene Habsburgerin konnte in diesem Umfeld nicht schaden.

      Das Ehepaar Schrenck-Notzing lebte auf großem Fuß in einem repräsentativen Neubau in einer noblen Münchner Gegend. Man fuhr ein nagelneues Automobil. Überhaupt liebte Herr Dr. Schrenck-Notzing den Autosport und sammelte auch selbst Kunst. Da sich unter seinen Freunden genügend berühmte Maler wie der schon erwähnte Gabriel von Max, aber auch etwa Albert von Keller, der spiritistische Sitzungen in Gemälden festhielt, tummelten, saß er gewissermaßen an der Quelle. Gemeinsam studierten die Herren Ärzte und Künstler die „Nervenrätsel kataleptischer oder ekstatischer“ (Justinus Kerner) Frauen. Diese tauchten später in den Bildern der Maler als Modelle wieder auf. Gerne lud Schrenck-Notzing zu okkulten Abenden und formulierte dort seine Thesen. Bei ausgewählten Terminen waren Presseleute anwesend, die einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Popularisierung des Okkulten leisteten.

      Man sah den Hypnotiseur Schrenck-Notzing auch als Bonvivant in Paris, im Frühjahr am Lido in Venedig, im Sommer auf Sizilien und im Winter in Nizza. Kurz, einige Mitglieder der Hautevolee befanden sich zu allen Jahreszeiten genau dort, wo sie von Schrenck-Notzing kuriert werden konnten. Auch Erzsi war im Winter fast immer am Meer und in diversen Kurorten anzutreffen.

      Durch seine Beschäftigung mit dem Hypnotismus hatte Schrenck-Notzing mehrere Personen kennengelernt, die einen Ruf als Medium erlangt hatten. Diese meist jungen Mädchen und Burschen wurden zu verschiedenen Zwecken hypnotisiert, entweder von Schrenck-Notzing selbst oder anderen Ärzten. Manche Medien bevorzugten Selbsthypnose. Sobald sie den Zustand der Trance erreicht hatten, konnten ihnen Fragen gestellt oder sie um bestimmte Handlungen gebeten werden. Diese „Arbeit“ mit den Medien streifte die Grenze zum Okkultismus, denn es konnte unter anderem darum gehen, dass das Medium Kontakt mit Toten aufnehmen sollte. Doch auch dem „Geisterbaron“ waren die Geister nicht immer hold, denn dass sich tatsächlich ein Geist zeigte, war äußerst selten. Ein einziges Mal erwähnte Schrenck-Notzing in einem Brief an Erzsi, dass dieses Phänomen aufgetreten sei. Er beschrieb die Manifestation „eines ganzen Phantoms, und zwar einen deutschen Offizier in Grand tenue.“ „Grand tenue“ bedeutet, dass der Militär eine Festtagsuniform trug. Die Erscheinung wurde fotografisch festgehalten. Schrenck-Notzing lehnte an sich den Spiritismus als „Schwarmgeisterei“ ab, doch konzentrierte er seine Forschungen sehr wohl auf den Grenzbereich zwischen Geist und Materie, was dem Okkultismus sehr nahekommt.

      Esoterisches zog Erzsi an; es war zu ihrer Zeit aber auch kaum möglich, dem Hype zu entkommen. Man las zwischen 1848 und dem Ende der 1920er-Jahre viel darüber, unzählige Bücher, Broschüren und Zeitungsartikel behandelten das Thema – kurz: Erzsi befasste sich mit einem sehr zeitgeistigen Bereich, der eine Hochblüte in der Publikumsgunst erlebte. Zusätzlich verbrachte sie viel Zeit an Orten, die auch Albert von Schrenck-Notzing frequentierte. Außerdem war ihr erster Ehemann, Otto zu Windisch-Graetz,

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