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schlurfte zu seinem Schreibtisch, wo über der Stuhllehne seine Jeans und sein Pullover hingen, doch statt in beides hineinzuschlüpfen, pflanzte er sich auf den Stuhl. Er musste pinkeln und kniff nervös die Oberschenkel zusammen. Mit geübter Schnelligkeit rutschten seine Finger über das Display; diese Geschicklichkeit ließ Jimmys Vater an seinem eigenen Handy wie einen Grobmotoriker aussehen. Sein Vater hatte ihm das alte Smartphone geschenkt, nachdem er sich selbst ein neues gekauft hatte. Auch wenn Jimmy keine Karte zum Telefonieren besaß, konnte er wenigstens das WLAN benutzen und so die Spiele zocken, die er sich mit Erlaubnis seiner Eltern runterladen durfte.

      Das Frühwarnsystem in seinen Ohren registrierte die Schritte seiner Mutter hinauf zu seinem Zimmer. Sogleich legten seine Finger einen Gang zu: Feuer löschen, Notruf empfangen, mit dem Einsatzwagen losfahren, das neue Feuer löschen, dem nächsten Notruf folgen, das Drücken der Türklinke ignorieren, Muttis Blick und Muttis Seufzen.

      »Jetzt hab ich die Faxen dicke.«

      Bevor sie ihm das Telefon aus der Hand hätte schnappen können, schob er es auf den Schreibtisch und beschwichtigte sie mit einer Salve von Entschuldigungen. Gern hätte er in Nullkommanichts seine Sachen angezogen, aber die Geschicklichkeit, die Jimmy auf dem Smartphone bewies, fehlte ihm in seinen Beinen. Er streifte sich umständlich die Hose über, danach den Pullover – und das alles unter den wachsamen Augen seiner Mutter.

      »Vielleicht sollte Papa das Handy wieder einkassieren.«

      »Ihr habt gesagt, solange ich meine Pflichten erledige …«

      »Ich hab dich vor zehn Minuten gerufen.«

      »Ich wusste nicht, dass Essen zu meinen Pflichten gehört.«

      »Am Wochenende frühstücken wir zusammen. Wir sind keine Assis.«

      »Und Papa?«

      »Was ist mit Papa?«

      »Der baut am Haus und kommt eh nicht.«

      »Der macht wenigstens was.«

      Er half seinem Vater gern, besonders, wenn er an eine der schweren Maschinen durfte. Das wiederum wollte seine Mutter nicht, weshalb er von seinem Vater nur die dümmsten Helferjobs aufgedrückt bekam. Wasser holen, um den Beton anzumischen. Ein Loch für einen Pfeiler ausheben. Irgendein Material abschleifen, allerdings mit Sandpapier und nicht mit dem Deltaschleifer. Und sobald sein Vater bei einer Zigarette pausierte, hing er genauso am Handy wie Jimmy sonst auch. Er zuckte mit den Schultern, schnappte sich das Telefon und rannte hinunter aufs Klo.

      Noch vor der Morgenwäsche schrieb er Liane eine Nachricht. Dann schob er die Zahnbürste einmal in die linke Backe, einmal in die rechte, zum Schluss über die Vorderzähne und fertig. Mit einer Handvoll Wasser befeuchtete er sein Haar und kämmte sich den Pony zurecht. Lianes Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Komm vorbei, schrieb sie kurz und knapp. Wir zocken.

      Er setzte sich auf den Toilettendeckel und betrachtete sein Smartphone, fixierte ihre Nachricht in der Hoffnung, es würde eine zweite folgen. Ein einziger Satz hätte ihm genügt: Wir können auch was anderes machen. Oder: Lass uns durch die Gegend streifen. Nein, verbesserte er sich. Liane würde nie durch die Gegend streifen sagen. Das waren die Worte seines Vaters gewesen, als er ihm hatte erklären wollen, was er in Jimmys Alter so getrieben habe. Durch die Gegend streifen. Unterstände errichten. Auf der Lauer liegen. Jimmy hatte das an die Scharfschützen aus seinem Lieblingsspiel erinnert. Sniper, die getarnt und regungslos verharren, um den Feind auszuschalten. Das hatte ihm gefallen.

      Die Tür zum Badezimmer flog auf und seine Mutter trat ein, die Hand bereits ausgestreckt. Er wusste, was das bedeutete. Er sollte ihr das Telefon aushändigen. »Eine Nachricht noch«, bettelte er, und seine Mutter antwortete lediglich, dass sich sein Vater über jede Hilfe freuen würde.

      Wie er erwartet hatte, standen nur die Margarine und das Glas Billignutella auf dem Tisch. Der Platz, wo sonst sein Vater saß, war natürlich leer. So viel zum Thema Wochenende. Von wegen die ganze Familie frühstückt gemeinsam. Alle schön beisammen, während im Ofen die Aufbackbrötchen dampfen. Sein Vater war bereits draußen und werkelte am Haus, seine Mutter strich in einem Prospekt die Schnäppchen an und statt der Brötchen gab es labbrigen Toast.

      Jimmy rückte an den Tisch und klatschte sich die Schokocreme aufs Brot. Als er seinen Pfefferminztee süßen wollte, ermahnte ihn seine Mutter, und er stellte den Zucker zurück.

      »Und was machst du heute?«, fragte sie ihn.

      »Keine Ahnung.«

      »Du kannst ja Papa helfen.«

      »Ich bin mit Liane verabredet.«

      Seine Mutter rollte mit den Augen, und Jimmy wusste nicht, ob ihre Reaktion den Schnäppchen im Netto galt oder seiner Verabredung. Sie leckte den Finger an, blätterte eine Seite um und sagte, ohne aufzuschauen: »Aber nicht wieder die ganze Zeit zocken.«

      Liane, das einzige andere Kind im Dorf, besuchte wie er das Kant-Gymnasium und irgendwann hatten sie sich auf dem gemeinsamen Schulweg angefreundet. Liane besaß eine Playstation 4 – also nicht ihre Familie oder ihre junge Mutter, nicht einer der Brüder, die sie glücklicherweise nicht hatte, und auch kein gleichaltriger Freund, der ebenso wenig in ihrem Leben existierte. Liane besaß eine Playstation, nur für sich allein, und das verwandelte ein Mädchen aus der Nachbarschaft in ein wirklich cooles Mädchen.

      »Wir zocken nicht. Wir wollen draußen spielen.« Er fand das Wort spielen peinlich, glaubte jedoch, dass es bei seiner Mutter den Argwohn zerstreuen würde.

      »Willst du mich veräppeln?«

      »Nein, will ich nicht.«

      »Ich rufe bei Lianes Mutter an.«

      Ja, das würde seine Mutter fertigbringen. Er biss von seinem Toast ab und grübelte, wie er wieder an sein Smartphone kommen könnte. Da öffnete sich die Tür und sein Vater stapfte herein. Er hatte die Arbeitsschuhe draußen abgestreift – Mutter hasste es, wenn er in dreckigen Botten das Haus betrat –, wuschelte im Vorbeigehen Jimmys Haar und zog schließlich die Kanne aus der Kaffeemaschine.

      »Und? Kommst du voran?«, erkundigte sich seine Mutter.

      »Geht so«, antwortete sein Vater.

      »Jimmy hilft dir bestimmt.«

      Sein Vater lehnte an der Anrichte und wischte mit dem Daumen über sein eigenes Smartphone. Fußball – das interessierte Jimmy kaum, es sei denn, es ging um die Millionenbeträge, die ein Spieler bei einem Vereinswechsel kostete.

      Nachdem weder sein Vater noch er auf die Bemerkung seiner Mutter angesprungen waren, sagte sie:

      »Und, Jimmy? Ein bisschen mit anpacken?«

      »Papa baut den ganzen Tag.« Er blickte zu seinem Vater auf. »Oder?«

      Sein Vater stierte auf sein Smartphone und zeigte keinerlei Reaktion.

      »Zocken bei Liane fällt jedenfalls aus«, bekräftigte seine Mutter. »Hast du mich verstanden?«

      »Ja klar«, sagte Jimmy besonders laut. »Wir wollen eh durch die Gegend streifen.«

      9.35 Uhr

      Willy hatte drei Tassen auf den Küchentisch gestellt, dazu eine Kanne Kaffee und ein Päckchen Milch. Er stemmte einen Arm gegen die Tischkante und neigte sich zurück, sodass die Stuhllehne knarzte. Unter seiner Weste raste noch immer sein Herz, und wenn Anna und Anhang ihn nicht überrascht hätten, wäre er vollends explodiert – zumindest glaubte er das.

      »Und?«, fragte sie ihn.

      »Was und?«

      »Na, was ist da eben passiert?«

      »Kleine Entrümpelung«, sagte er und nippte an seinem Kaffee. »Willst du uns nicht bekannt machen?«

      Anna zeigte auf den Mann. »Das ist Mike.« Sie richtete den Finger auf ihn. »Und das ist Willy.«

      Darauf erhob sich der Fremde, streckte ihm die offene

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