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der im Schatten des Seitenportals stand und sie beobachtete. Robertos hasserfüllter Blick fiel auf den Stein, den sie unbeholfen und verwirrt umklammerte.

      »Was für eine Verschwendung«, sagte er, dann wanderte sein Blick weiter zur unvollendeten Kuppel. »Jeder Gulden, der in diesen Bau wandert, ist mit Blut befleckt. Ihr macht Euch mitschuldig, wenn Ihr das nicht begreift, dummes Ding. Wärt Ihr mein Weib, ich wüsste, auf welche Weise ich Euch zur Vernunft bringe!«

      *

      Ein kalter Schauer lief Juliana über den Rücken. Verwirrt schaute sie auf den rötlich schimmernden Backstein in ihren Händen – ein Stein aus dem Cupolone! Neidvolle Blicke trafen sie. Hastig verbarg sie den Stein unter ihrem Arm und hielt nach ihrem Vater Ausschau. Der notario stand wenige Schritte von der Basilika entfernt und trank vor den Augen des Herrn, ohne sich zu mäßigen. Nur mühsam hielt er sich auf den Beinen und torkelte zur Freude der Handwerker, die ihm immer wieder den Beutel antrugen. Besorgt neigte sie sich über ihren Vater, der in diesem Moment auf die Knie gesunken war und nur mühsam seine Tränen zurückhielt.

      »Es ist ein Fluch, glaubt mir!«

      »Vater! Steht auf! Wenn jemand vom Rat Euch so sieht!« Hatten ihm gar die Arbeiter so übel mitgespielt in ihrer Trunkenheit?

      »Zum Teufel mit diesem Verräter!«, schrie ihr Vater von Sinnen und schleuderte den halb leeren Beutel von sich.

      Beschämt, weil der sonst so auf seinen Ruf bedachte Mann dem Wein so eifrig zugesprochen hatte und sich die gehässigen Rufe der Zuschauer mehrten, wandte sich Juliana ab. Ekel überkam sie vor dem eigenen Vater, dem der Trunk aus dem Mund quoll. Er war unfähig, auch nur ein klares Wort über die Lippen zu bringen. Warum hatte er sich in der kurzen Zeit, die sie in der Kirche gewesen war, dermaßen betrunken? Sie entriss dem Arbeiter, der ihr am nächsten stand, einen weiteren Weinbeutel. »Wie könnt ihr meinem Vater das antun?« Sie zitterte vor Zorn, hakte sich bei ihrem Vater unter und versuchte, ihn aus dem Blickfeld der hämischen Leute zu schaffen. Manche spuckten vor ihnen auf den Weg oder warfen ihnen Steine nach. Was war mit diesen Menschen los? Es sollte ein Tag der Freude, des Triumphes werden für alle Florentiner, auch für sie. Die eben empfundene Freude über Brunelleschis Modell rückte in weite Ferne. Nichts war geblieben von ihrer Aufregung, das Modell endlich gesehen zu haben. Nur die Erinnerung an eine schmerzvolle Begegnung mit zwei Männern, die sie verachteten – jeder auf seine Weise. Tränen brannten in Julianas Augen. Mehr als einmal segelte ein Stein nur knapp an ihr vorbei und sie wollte sich umdrehen, um den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Was hatte sie getan oder ihr Vater, dass sie Derartiges über sich ergehen lassen musste? Schwer atmend hing der notario an ihrem Arm und stieß unflätige Flüche aus. Sie musste ihm beistehen und fragte sich, was in den wenigen Minuten, in denen sie in der Santa Maria del Fiore das Modell bewundert hatte, geschehen war. Vom einst stolzen notario zu einem gebrochenen Mann wegen ein paar Schlucken Wein?

      »Sie werden sich dafür verantworten, jeder Einzelne, nicht wahr, Vater? Niemand behandelt notario Serrati so.«

      »Es ist zu spät, Kind. Ich habe in des Teufels Antlitz gesehen.«

      Juliana verstand sein Gestammel kaum. Ihr Vater schwankte, gebärdete sich, als sei er ein weinerliches Kind, und wurde aufbrausend, weil sie versuchte, ihn auf den Heimweg zu bringen. Ein übler Gestank entströmte seinem Wams und seiner Hose. Endlich erreichten sie das Ende der Piazza. Juliana hob den Kopf, hoffte auf ein bekanntes Gesicht, jemanden, der ihnen half, das letzte Stück des Weges nach Hause leichter zu bewältigen. Inzwischen dämmerte ihr, dass der Gestank nicht vom Wein herrührte, sondern dass er sich beschmutzt hatte. Sie war plötzlich Mutter und musste sich um ihren sonst so starken, kämpferischen Vater kümmern, als wäre er ein Kind. Scham entflammte ihre Wangen. Was die Leute wohl über das sonderbare Vater-Tochter-Gespann dachten?

      Plötzlich drückte ihr Vater sie an sich. »Ich würde alles für dich tun, alles, hörst du? Glaube ihm nichts. Nichts, was er dir erzählt, ist wahr!«, zischte er und stieß sie unsanft beiseite.

      »Geh jetzt heim, lauf, Kind, bevor es zu spät ist!«

      Verwirrt starrte Juliana ihren Vater an. Hatte er vollends den Verstand verloren? Er wirkte, als hätte er einen Geist gesehen. Ihr Vater bedrängte sie weiter, ihn allein zurückzulassen, und sah fieberhaft um sich. »Geh, nur zu!« Dann erstarrte er, wurde kreidebleich im Gesicht und umklammerte Julianas Hand. »Hast du das Modell gesehen, ja?«

      »Geht ruhig, ich kümmere mich um Euren Mann. Gewiss bekommt ihm die Hitze nicht«, bot jemand an und griff ihrem Vater unter die Arme.

      Juliana wollte sich für die diskrete Hilfe bedanken, dann erkannte sie den Mann. Zorn flammte in ihr auf. »Ihr?«

      Roberto Mazarettos Lächeln glich einer Maske. Er tat, als erkenne er sie nicht, und packte ihren Vater am Oberarm, bevor dieser zu Boden stürzen konnte. »Wir sollten ihn an einen ruhigeren Ort bringen, meint Ihr nicht auch?«

      Doch ihr Vater gebärdete sich wie wild, wollte sich losreißen.

      »Lasst mein Weib, Ihr …«

      Kapitel 3

      Der Backstein war nicht besonders. Einer von unzähligen Steinen, die unweit der Stadt zu Hunderten und Aberhunderten gebrannt wurden. Dieser Stein hatte ein ungewöhnliches Zuhause gefunden. Am Boden einer Truhe in Julianas Kammer lag er. Stummer Zeuge einer Begegnung, von der ihr sonst allwissender Vater nichts ahnte. Kein Wort war beim Morgenmahl über den gestrigen Tag und den sonderbaren Mann gefallen, dem sie den Stein verdankte. In einigen Momenten, in denen sich ihr Vater unbeobachtet gewähnt hatte, war ein dunkler Schatten über ihn geglitten, den auch Mutters Fürsorge nicht vertreiben konnte. Wie hatte sie es nur geschafft, ihren Vater nach Hause zu bringen? Die überraschende Hilfe von Darios Widersacher, diesem Roberto, verunsicherte sie. Immer wieder brannte die Erinnerung an diese schrecklichen Stunden des vergangenen Tages schmerzhaft in ihr auf. Robertos schamlose Blicke hatten sie erzürnt. Fand er Gefallen an dieser peinlichen Situation, in der sie und ihr Vater gänzlich von seiner Unterstützung abhängig gewesen waren? Er hatte die stillen Seitengassen gemieden und sie damit gezwungen, sich den hämischen Blicken der Nachbarn auszusetzen. Auf der Piazza della Signoria hatte er sich besonders viel Zeit gelassen, während Juliana gebetet hatte, dass Vaters Freunde und die meisten der Ratsmitglieder sich in die kühlen Räume des Palazzo zurückgezogen hatten und von dem ungewöhnlichen Schauspiel nichts bemerkten.

      »Sie haben mit Steinen nach uns geworfen, Assunita. Mit Steinen«, flüsterte sie und schmiegte sich an die Freundin. Erleichtert, sich endlich jemandem anvertrauen zu können.

      Assunita strich über Julianas Kopf, küsste sie sanft auf die Stirn. »Es sind Dummköpfe. Sie geben deinem Vater, dem notario, die Schuld für die Not.« Assunita konnte niemandem böse sein. In allem und jedem sah sie Gutes. Wäre ihr Haar hell wie Flachs und nicht dunkel, hätte man glauben können, sie wäre ein Engel. Reinen Herzens und voller Verständnis.

      »Von wem sprichst du?« Juliana sah verwirrt zu ihrer Freundin hoch.

      »Die Arbeiter bekommen Schuldscheine, die sie später einlösen können, wenn die cupola vollendet ist. Nicht alle Patrizier unterstützen diese Idee.«

      »Die Patrizier, Mitglieder des Rats meinst du?«

      »Dummchen, du kennst es nicht anders. Nicht jeder kann es sich wie dein Vater leisten, eine Büste anzufertigen, die mehr kostet, wie ein eifriger Anwalt in einem einzigen Jahr verdient. Oder in einem solch prachtvollen Haus zu wohnen.«

      Juliana seufzte. Warum hatte sie ihrer Freundin bloß von dieser dummen Büste erzählt, die ein Künstler aus der Dombauhütte von ihrer Mutter anfertigen sollte? Unschlüssig hob sie die Schultern und lächelte traurig. Was verstand sie von Geld oder dem, warum Vater diese Büste anfertigen ließ? Diese Büsten und Statuen wurden zu Ehren wichtiger Persönlichkeiten geschaffen, vergeblich suchte sie nach deren Sinn. Die Aufregung um Vaters Etablissement der Künste, einen großen Saal voller Skulpturen und Statuen, die außer ihm niemand sehen durfte, verstand Juliana auch nicht. Selbst die feinsten Patrizier ließ er nicht in dieses Reich. Stundenlang verweilte er darin und trug den Schlüssel dafür an einer Kette um seinen Hals.

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