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Empfinden von Zuneigung und Sympathie begleitet ist. Dennoch war es völlig verschieden von dem, was mich und Syl verband, mit ihr gab es keinerlei Zweifel, keine Unwägbarkeiten, die Art der Beziehung zu ihr besaß den Vorteil der Klarheit. Die wahre, wirkliche Freundschaft impliziert ein natürliches Vertrauen zueinander, eine Zuverlässigkeit, eine Art Komplizenschaft, die es, wie ich glaube, bei Liebespaaren nicht gibt.

      III

      Was ich eben geschildert habe, ist nicht abhängig von einer Utopie oder einem Traum, im Leben geschehen solche Situationen recht oft und dauern in einigen Fällen länger an. Auch wenn man sich die Frage nicht stellt, ob die Liebe nicht doch die Freundschaft ersetzt, so ist die Letztere immer etwas Verlässlicheres, Beständigeres.

      Es ist wahr, dass es allzu häufig nicht gelingt, die Beziehung vor der Abnutzung durch die Zeit und den Alltag zu retten, sei es durch Nachlässigkeit, durch Bequemlichkeit oder durch andere Umstände.

      Je mehr man gemeinsam erlebt und erträgt, umso stärker entwickelt sich das Band, und umso stärker besteht gleichsam die Gefahr, dass aus der Freundschaft Liebe wird. Ein entscheidender, schicksalhafter Moment, der uns nah an den Bruch wie an den Rand eines Abgrunds bringen kann, der jäh oder aber schleichend erfolgt. Im einen oder anderen Fall wird dies in unterschiedlicher Weise von den Partnern akzeptiert. Was Syl und mich angeht, hatten wir ja schon viele Jahre zusammen verbracht, und obwohl nach außen hin keinerlei Störung in der Beziehung erkennbar war, wussten wir, dass wir uns in einer sehr sensiblen, problematischen Phase befanden, wir scheuten uns auch nicht, dieses Thema anzusprechen. Die Zeit verging, ohne dass unsere Freundschaft irgendeinen Schaden erlitt oder auf die Probe gestellt wurde. Es gab keinerlei Anlass, an diesem Bündnis etwas zu ändern und keine Berechtigung, es zu lösen.

      Die Regelmäßigkeit meiner Besuche bei Thérèse empfand ich als angenehm und stabil, ohne dass sie die freien Tage in meinem Kalender allzu sehr besetzte. Auch hier lag mir jeder Anlass fern, den gewohnten Weg, sozusagen das eingefahrene Gleis, nicht fortzusetzen.

      Inzwischen war es Oktober geworden, die Schule und das Semester hatten wieder begonnen. Syl setzte ihr Studium in Montpellier fort, während Thérèse weiterhin in Nîmes arbeitete. Ich hatte immer noch meine provisorische Stelle und befürchtete, eine obligatorische Arbeit in Deutschland ableisten zu müssen. Ich bereitete mich auf meine Aufnahmeprüfungen vor, allerdings nicht in Medizin, obwohl ich dazu Lust gehabt hätte. Aber irgendetwas Stärkeres hatte mich zurückgehalten. Einen besonderen Geschmack fand ich momentan nicht am Jurastudium, mit dem ich beschäftigt war, eher daran, mich ein wenig gehen zu lassen, und zweifellos am Abenteuer, wenn Letzteres auch nicht klar definiert war. Sport begeisterte mich sehr; Fußball, Tischtennis, Schwimmen, außerdem engagierte ich mich für das Netzwerk der Résistance. Und dann, ich sollte wohl besser sagen: vor allem, waren da die Mädchen. Ich hatte schon immer den Umgang mit dem sogenannten schwachen, aber schönen Geschlecht, geliebt, denn er sorgt für einen notwendigen Ausgleich, der, wie ich meine, ein Gleichgewicht und eine Wechselseitigkeit schafft. Zum einen bereichern sie unsere Kenntnisse und erweitern unseren Horizont: Die Frauen, zumindest die meisten, besitzen die Gabe des Beratens und der Enthüllung aller Art, vor allem über sich selbst. Ihr Talent, etwas zu vermitteln, zu lehren, scheint ausgeprägter als dasjenige vieler Männer. Und wenn sie zusätzlich noch Charme besitzen, kommen sie überirdischen Wesen gleich, dann haftet ihnen geradezu etwas Göttliches an - oder übertreibe ich möglicherweise? Sagen wir lieber: etwas Sublimes. Ich verfügte über Erinnerungen, die nicht weit zurück lagen, ich war sehr jung, als ich eine meiner Mitschülerinnen näher kennen lernte. Leider war die Geschichte von kurzer Dauer, dennoch hatte sie mir die Zeit und die Gelegenheit gewährt, mich alles entdecken zu lassen, was ein weiblicher Körper zu entfesseln fähig ist. Für den bis dahin ahnungslosen Jungen, der ich war, bedeutete dies eine unglaubliche Erfahrung.

      Wir blieben unserer Gewohnheit treu und trafen uns am Abend in der Clique zu unseren zum Ritual gewordenen Spaziergängen. Zu Beginn des Herbstes waren wir weniger zahlreich, aber nun gab es mehr Mädchen; eine „Neue“ war hinzugekommen, die eine Freundin mir vorstellte. Barbara hieß sie, aus Brest gebürtig, und ich konnte nicht umhin, sie mit der Frage zu empfangen, ob es tatsächlich immer auf Brest herabregnete, wie es Jacques Prévert in einem Gedicht formuliert hatte.6 Dies beeindruckte sie nicht besonders, aber ich sah es ihr nach wegen ihrer schönen grünen Augen. An diesem Morgen, in einem leichten Nieselregen, ging ich die Straße zum Platz hinauf, als eine weibliche Stimme mich ansprach: Darf ich Ihnen eine Ecke von meinem Schirm anbieten? Das ist sehr freundlich von Ihnen, antwortete ich, da ich begann, die Feuchtigkeit auf den Schultern zu spüren. Mit den Worten: Ich hatte nicht wie Sie damit gerechnet, dass es regnen würde, flüchtete ich unter das schützende Regendach. Ich stelle fest, sagte die Stimme, dass es auch bei euch regnet, zugegebenermaßen nicht so oft wie in Brest.

      - Ach, Sie sind es, Vanessa! Ich hatte weder ihre Stimme noch ihre Gestalt wiedererkannt.

      - Barbara, berichtigte sie.

      - Entschuldigen Sie bitte meinen Lapsus, gestern Abend in der Gruppe habe ich Ihnen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

      - Das ist normal, antwortete sie, dass man bei der ersten Begegnung etwas zurückhaltend ist.

      In Erinnerung an die seegrünen Augen, die ich unter dem Schirm nicht sah, fügte ich hinzu: Zum Dank für Ihre Gastfreundschaft würde ich Ihnen gern einen Kaffee oder etwas anderes anbieten. Ich war ohnehin auf dem Weg zum Café gewesen, um dort mein frugales Frühstück einzunehmen.

      - Wenn Sie mir ein paar Minuten Gesellschaft leisten wollen.

      - Gern, mit Vergnügen, da können wir uns wenig aufwärmen.

      Wir betraten das Café de la Renaissance und fanden uns einander gegenüber. Wir standen noch, was mir erlaubte, sie besser in Augenschein zu nehmen, während sie es sich bequem machte, den Mantel aufknöpfte, ihr Haar schüttelte, das in einem hellen Kastanienton leuchtete und auf die Schultern herabfiel. Als sie es energisch ergriff und im Nacken befestigte, kam unvermutet ein ovales, ebenmäßiges Gesicht zum Vorschein, mit wahrhaftig smaragdgrünen Augen. Diese Augen! Ich schien darin zu ertrinken, unsere Blicke begegneten sich, was geradezu unvermeidlich ist, wenn man 50 Zentimeter voneinander entfernt sitzt. Ich blieb sprachlos, gebannt. Als ich für einige Sekunden stumm blieb, hörte ich wie in einem Traum: - Ist etwas nicht in Ordnung? - Doch, doch, entschuldigen Sie bitte meine Geistesabwesenheit, ich hatte gerade eine Erscheinung…

      - Ach ja? Was für eine? In diesem Moment wurde unser Kaffee gebracht, und die Serviererin hielt es für wichtig, uns zu informieren, dass es regnete, für den Fall, dass wir es nicht bemerkt hatten. Diese Unterbrechung hinderte mich daran, die Art der besagten Erscheinung genauer zu beschreiben. Ich hätte ihr ein modernes, zeitgemäßes Kompliment machen können, Du hast so schöne Augen, weißt du, aber es passte nicht, wir waren noch nicht so weit. Schon das Duzen wäre unangebracht gewesen. Daher zwang ich mich, das Thema zu wechseln. Wir hatten heute Glück, dass es Kaffee gab, der diese Bezeichnung nahezu verdiente. Oftmals handelte es sich nämlich um Gerstenmalz oder ein anderes mehr oder weniger zweifelhaftes Getreide.

      - Hier fühle ich mich ein bisschen wie zu Hause, sagte ich, dieses Café gehörte fast 25 Jahre lang meinen Großeltern mütterlicherseits. Aber sprechen wir von Ihnen, Barbara, wenn Sie mögen. Erzählen Sie mir, welcher Wind Sie in unser Fischer- und Winzerdorf verschlagen hat!

      - Das ist eine lange Geschichte, aber ich werde mich kurz fassen, begann sie. Meine Familie stammt aus der Bretagne. Mein Vater war Marineoffizier in Brest, bei der Kriegserklärung 1939 ist er in ein U-Boot gestiegen, ein Torpedoboot, das im Jahre 1942 verschollen ist. Mitsamt der Besatzung und den Gütern, unter ungeklärten Umständen…Vor zwei Jahren habe ich also meinen Papa verloren. Meine Mutter ist Lehrerin, aber seit dem Unglück ist sie im einstweiligen Ruhestand. Sie liebt ihren Beruf sehr, aber ich glaube, sie hat noch nicht den Mut, ihre Aktivitäten wieder aufzunehmen. Ich habe mein Studium in Literaturwissenschaft unterbrochen, um bei ihr zu bleiben. Als mein Vater verschwunden war, und auch wegen der dauernden Bombenangriffe auf Brest, sind wir im Oktober 1942 zu einer Tante nach Amélie-les-Bains gezogen. Sie hat uns in ihrem großzügigen Haus bis zu ihrem Tod, Anfang 1944, wohnen lassen. Wir haben einen Teil dieses Anwesens geerbt, einerseits konnten wir es nicht unterhalten, da es

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