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selbst bewies dabei eindrucksvoll, dass für einen Politiker gelegentlich andere Maßstäbe gelten als für jene Menschen, die von ihren Gesetzen betroffen sind. Er verliebte sich in eine Frau namens Aspasia, die aus Milet stammte. Sie war eine Griechin, aber nach den von den Athenern aufgestellten Regeln eine Fremde. Als er sie kennenlernte, war Perikles verheiratet – ordnungsgemäß mit einer Athenerin. Wie der Biograf Plutarch lapidar mitteilt, waren sie aber nicht glücklich miteinander, und Perikles überließ sie großzügig einem anderen Mann. Wahrscheinlich war der wirkliche Grund der Trennung das Erscheinen der Aspasia, die dem um gut 25 Jahre älteren Perikles den Kopf verdreht hatte. Über den rechtlichen Status der Verbindung sind in der modernen Forschung viele Diskussionen geführt worden. Eine reguläre Ehe führten Perikles und Aspasia vermutlich nicht, denn mit einer offiziellen Heirat hätte er gegen die Prinzipien seiner eigenen Bürgerrechtspolitik verstoßen, die ihm bei der athenischen Bevölkerung viele Sympathien eingebracht hatte. Der Sohn, den Aspasia bald zur Welt brachte und dem die Eltern den Namen Perikles gaben, wurde demzufolge von den Gegnern des Perikles in der Diktion wenig freundlich, in der Sache aber durchaus zutreffend als »Bastard« bezeichnet. Nach rechtlichen Kategorien war die Verbindung zwischen Perikles und Aspasia also so etwas wie ein Konkubinat. Da half es auch nicht, dass Perikles, wenn er morgens zur Arbeit ging, seine Aspasia vor der Haustür zum Abschied »zärtlich küsste«, wie professionelle Voyeure zu bezeugen wussten.

      Perikles war ein kluger Politiker, doch die Umsetzung der neuen Verordnung hatte er sich wahrscheinlich einfacher vorgestellt. Denn nun erhob sich eine wichtige Frage: Ab wann sollte das Gesetz Gültigkeit haben? Waren Athenerinnen oder Athener, die nur über einen aus Athen stammenden Elternteil verfügten, nun plötzlich keine Athenerinnen und Athener mehr? Mussten sie sofort aus den Listen der Bürger gestrichen werden? Die Nagelprobe folgte auf dem Fuß. Ein auswärtiger Potentat – die Rede ist vom »König von Ägypten«, das damals allerdings unter persischer Herrschaft stand – vermachte dem Volk von Athen, wie Plutarch (Per. 37) berichtet, ein Geschenk von 40 000 Scheffel Weizen. Dem »Volk von Athen«? Das konnten nur die Bürger sein. Aber wer war nach dem Gesetz des Perikles nun plötzlich kein Bürger mehr?

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      Porträtbüste der Aspasia, Gefährtin des Perikles, 5. Jh. v. Chr., Vatikanische Museen, Rom

      »Als das Getreide unter die Bürger verteilt werden sollte, gab es infolge dieses Gesetzes plötzlich eine Menge von Prozessen gegen die nicht vollbürtigen Athener, die bis dahin unbemerkt geblieben und übersehen worden waren. Mancher fiel auch falscher Anklage zum Opfer. Gegen 5000 wurden auf diese Weise überführt und in die Sklaverei verkauft. Die Zahl derer, die aufgrund der Prüfung das Bürgerrecht behielten und als Athener bestätigt wurden, betrug 14 040.«

      In die Sklaverei verkauft – das war ein merkwürdiges, sogar tragisches Schicksal. Eben noch fühlten sich die Betroffenen als athenische Bürger, gut aufgehoben in jenem Staat, den sie als den ihrigen ansahen. Und nun waren sie auf einen Schlag rechtlose Fremde in einem anderen Staat, wohin man sie als Sklaven verkauft hatte.

       imageErfolgreiche Fremde

      Politisch und rechtlich waren die dauerhaft in Athen lebenden Fremden den Bürgern nicht gleichgestellt. Trotzdem machten einige von ihnen Karriere, indem sie die von ihnen erwarteten wirtschaftlichen Aktivitäten besonders erfolgreich gestalteten. Allerdings handelte es sich dabei in der Regel um Fremde griechischer Herkunft – vergleichbare Erfolgsgeschichten von »barbarischen« Fremden sind nicht bekannt. Einer, der es besonders weit brachte, war Kephalos, der aus Syrakus auf Sizilien stammte und über den Plutarch Erstaunliches zu berichten weiß (Moralia 835c):

      »Kephalos war von Geburt an ein Syrakusaner, ging aber nach Athen, weil er in dieser Stadt leben wollte und auch, weil Perikles ihn dazu überredet hatte, da er ein persönlicher Freund des Perikles war und beide durch gegenseitige Gastfreundschaft verbunden waren, und er war ein sehr wohlhabender Mann.«

      Nicht jeder Fremde war Freund eines prominenten Politikers, und die Quelle lässt deutlich durchblicken, dass bei der Migration und der Integration des Kephalos sein alter Freund Perikles die Hände im Spiel hatte. Möglicherweise gab es deswegen Ärger. Perikles war zwar beim Volk populär, hatte aber, auch und gerade deswegen, viele innenpolitische Gegner. Um diese zu beruhigen, wurde eine andere Begründung für die Übersiedlung des Kephalos lanciert:

      »Einige sagen, dass er nach Athen ging, weil er aus Syrakus verbannt worden war unter der Tyrannenherrschaft des Gelon.«

      Das hörte sich natürlich überzeugender an: Kephalos war vor einem Tyrannen geflohen. Wie auch immer: Athen durfte sich auf einen reichen Unternehmer und Investor freuen, Kephalos auf eine neue Heimat, die ihm beste Rahmenbedingungen für seine Aktivitäten bot. Sein Geld machte er mit einer florierenden Fabrik, die sich auf die Herstellung von Waffenschilden spezialisiert hatte – eine dauerhaft einträgliche Quelle, wurde doch immer irgendwo in Griechenland Krieg geführt. In die athenische Gesellschaft war er allem Anschein nach gut integriert. Platon wählte Kephalos als Gastgeber des Auftakt-Dialogs in seiner berühmten Politeia, ohne dass dort in irgendeiner Weise auf seinen Status als Fremder Bezug genommen wird.

      Sein Sohn Lysias, der vom Vater das Unternehmen erbte, machte es sogar noch besser als der Vater. Er war, wie es in einer Quelle (Papyrus Oxyrrhynchus XIII 1606) heißt, »der Reichste der Metoikoi«. Zur Belohnung für seinen Eifer kam er in den Genuss eines Privilegs, das der athenische Staat erfolgreichen Metoikoi gewährte. So durfte sich Lysias über die isoteleia freuen, die Befreiung von Steuern und anderen Abgaben, die Fremde sonst zu zahlen hatten. Im Nebenberuf betätigte sich der umtriebige Wirtschaftsmann als Logograf. So nannten die Athener die Verfasser von Gerichtsreden. Jeder Bürger musste in Athen seine Sache vor Gericht persönlich vertreten. Viele ließen sich von kundigen Schreibern Reden anfertigen, die sie auswendig lernten und während des Prozesses vortrugen. Eine interessante Konstellation: Der Fremde Lysias schrieb für athenische Bürger Reden, während die Fremden sonst vor Gericht einen einheimischen Anwalt präsentieren mussten, der ihren Fall vortrug. Später geriet er in den Strudel innenpolitischer Auseinandersetzungen, als nach dem Peloponnesischen Krieg die Demokratie ausgehebelt und ein oligarchisches System installiert wurde. Lysias, der als Freund der Demokratie galt, musste Athen verlassen, sein Bruder wurde ermordet. Aus dem Exil in Megara unterstützte er die Demokraten. Als wenig später die demokratische Ordnung wiederhergestellt wurde, wollte man ihn für sein beherztes Eintreten mit dem Bürgerrecht belohnen, was aber am Widerstand einflussreicher Kreise in Athen scheiterte.

       Berufe, die Fremde in Athen ausübten (Liste von 400 v. Chr.)

Koch Gärtner Brotverkäufer
Zimmermann Eseltreiber Tuchwalker
Maultiertreiber Ölhändler Bildhauer
Architekt Nusshändler Lohnarbeiter

       Zusammengestellt nach M. N. Tod, Greek Historical Inscriptions 2,100

       Mehr Fremde!

       Der Historiker und Publizist Xenophon unterbreitet in einer Schrift Vorschläge zur Verbesserung der Staatseinkünfte (5. Jh. v.

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