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Das letzte Sandkorn. Bernhard Giersche
Читать онлайн.Название Das letzte Sandkorn
Год выпуска 0
isbn 9783943795745
Автор произведения Bernhard Giersche
Жанр Контркультура
Издательство Автор
Keine Sorge, ich spreche jetzt so wie du sprichst, damit du mich verstehen kannst. Das ist wie im wahren Leben, meine Lieben. Auf den Inhalt kommt es an, nicht auf die Sprache. Du solltest wissen, dass genau jetzt in dieser Sekunde in jedem menschlichen Hirn auf diesem Planeten dasselbe passiert. In Australien, in Afrika auf den Bahamas und im tiefsten Dschungel des Kongo. Es gibt keinen Menschen auf diesem Planeten, in dessen Hirn jetzt etwas anderes dominiert als meine Worte. Nehmt es hin, nimm du es hin und akzeptiere es.
Die Sätze trafen mich wie ein Hammerschlag direkt auf den Hinterkopf. Ich dachte, mein Hirn würde zerspringen und ich war geschockt und wie gelähmt.
Diese Stimme war absolut präsent, laut wie eine donnernde Rede in einer Kathedrale und glasklar und irgendwie ohne Stimme ... ich konnte nicht sagen, ob sie männlich oder weiblich war ... welche Stimme haben die Gedanken die wir denken?
Ich stand in der Küche und war gerade dabei, mir einen Tee zu kochen, als diese Worte in meinem Hirn explodierten. Sofort, als die Stimme verstummte, war ich davon überzeugt, dass ich völlig den Verstand verloren hatte.
Ich hatte schon oft von Leuten gehört, die Stimmen hören, welche ihnen irgendwelche Teufeleien einflüstern, und die dann wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit nach einem dann angerichteten Blutbad freigesprochen und in die Nervenheilanstalt gebracht wurden. Aber das, was ich erlebte in dieser schrecklichen Minute ... Sekunde ... Millisekunde, war mit dem, was ich über »Stimmen hören« zu wissen glaubte, nicht vereinbar. DIESE Stimme war für mich ein Zeichen meines völligen geistigen Zusammenbruchs.
Dabei gab es für mich keinerlei Symptome vorher, ich war ein ganz normaler Mittvierziger aus dem Mittelstand, geschieden und solo, beruflich erfolgreich und auf keinen Fall geisteskrank, und doch ... hallten die Worte noch nach, als es wieder losging.
Wie ich erkenne, kannst du nicht glauben, dass dies hier wirklich geschieht. Das erstaunt mich nicht, denn es gibt nichts, was nicht sein darf in Deinem Denken. Dabei birgt diese Sekunde für dich eine große Offenbarung, denn nun ist bewiesen, dass es jedem Menschen auf dieser Welt, ganz gleich wo, wann und wie er lebt, genauso geht.
Ihr könnt einfach nicht akzeptieren, dass etwas geschieht, was mit eurer sogenannten Vernunft und Logik nichts zu tun hat. Selbst meine größten Geschenke und Gaben habt ihr erst dann akzeptiert, als ihr sie mit Euren Geräten messen und sie beweisen konntet. Erst hat mich das amüsiert, aber jetzt nicht mehr.
Ihr erfahrt jetzt ... du erfährst jetzt, warum ich zu dir spreche.
Das menschliche Hirn ist doch ein wirklich sonderbares Organ. Nach diesem zweiten Angriff auf meinen Verstand hatte ich es einfach begriffen.
Na klar, da spricht Gott zu mir, und er hat das jetzt nicht, wie sonst zu früheren Gelegenheiten bei irgendwelchen Hirten oder jungfräulichen Bauerstöchtern als Exklusivauftritt gebracht, sondern er hat, schwuppdiwupp, alle Menschen auf Empfang geschaltet.
Er wollte das ganz große Publikum, und ich schätze, kraft seines Amtes, hat er es auch bekommen.
Was wohl in Putins oder Obamas Kopf gerade passierte? Oder im Verstand eines Atheisten? Wie gingen der Papst und die Ayatollahs damit um und wie der Eingeborene im Dschungel von Borneo? Und was war mit den ganzen Piloten und Autofahrern, Ärzten und Polizisten, den ganzen Soldaten, die überall auf der Welt gerade aufeinander schossen?
So einem Banker und Aktienjongleur muss doch der Zeitpunkt für so eine göttliche Durchsage unter Umständen eher unpassend erscheinen, während er gerade in Tokio, Frankfurt oder New York seine Milliarden umschichtete.
Und wie bringt Gott es fertig, dass all jene ihm zuhören, die gerade schlafen oder im Koma liegen, vielleicht gerade eine Narkose haben, weil sie gerade auf dem Operationstisch lagen, Schläuche in den Armen und eine Sauerstoffmaske vor dem Gesicht?
Die Frage kann man sich selbst beantworten. Er ist Gott ... oder eben Allah, Manitou und Jahwe. Wenn der das nicht kann, wer dann? Warum leckt sich der Hund an den Eiern? Weil er es kann.
Klare Sache.
Was mich bei diesen Gedankengängen am meisten wurmte, war die Tatsache, dass ich machtlos war, gezwungen war, zuzuhören. Man kann sich seine Ohren zuhalten oder die Stereoanlage voll aufdrehen, gegen Stimmen im Kopf ist allerdings kein Kraut gewachsen. Gott setzte seine Durchsage fort:
Stell dir das kleinste Tier auf der Welt vor und stell dir vor, es würde auf die Idee kommen, innerhalb einer Sekunde einen Elefanten aufzufressen. Stell dir eine Ameise vor, die meint, sie könne alleine eine Brücke zum Mond bauen. Denk an eine Amöbe, die die Ozeane der Welt leertrinken möchte. So seid ihr Menschen. So bist du. Ihr habt die Welt, die ich euch zur Verfügung gestellt habe ...(ich schwöre, dass hat er wirklich so gesagt) ... völlig aus den Fugen gebracht. Ihr habt meine Geschenke zerstört, meine wahren Tempel entweiht, ihr habt es gewagt, meine Gedanken und Hoffnungen, meine Wünsche und meinen Willen zu interpretieren und für euren Vorteil umzuformulieren. Ihr tretet alles, was mich als Wesenheit ausmacht, mit euren Füßen und ihr werdet nicht müde, Neues zu ersinnen, um noch mehr Unheil zu stiften.
Ich schäme mich dafür, jenen Handlungsstrang begonnen zu haben, der euch entstehen ließ. Ihr betet mich an? Ihr seid bigott und falsch. Ihr maßt euch an zu wissen, was ich will? Ihr seid Amöben, Ameisen und das kleinste Tier der Welt. Ich habe mich nun lange genug über euch gegrämt. Ich mache dem jetzt ein Ende. Du hast zehn Tage Zeit, die Welt zu retten, bevor ich sie zertrete mit allem Gewürm darauf. Zehn Tage und Nächte gebe ich dir, dir alleine, um die Welt zu retten. Nutze sie oder vergehe zusammen mit allen anderen Deiner Art.
Das war mal eine Ansage. Als ich die Augen wieder öffnete, fand ich mich am Boden meiner Küche wieder. In der Hand hielt ich, völlig albern, drei Teebeutel Rooibos-Vanille, und die Beutel schienen mich anzugrinsen, als wollten sie sagen, dass mehr Verstand in ihnen steckte als in meinem Schädel. Nicht nur, dass ich völlig benommen vor der Spülmaschine kauerte, irgendetwas wirklich ELEMENTARES war anders als noch vor einer Minute.
Kennen Sie das? Sie wachen des Nachts auf – schweißgebadet – und der Traum, den Sie gerade hatten, ist so unheimlich präsent, dass er noch realer wirkte, als die Realität selbst. Es dauert einige Minuten, bis Sie begriffen haben, dass Sie nicht soeben mit brennendem Arsch aus dem 376. Stock eines futuristischen Wolkenkratzers gestürzt sind, ein flamingo-rosa-farbenes Kleidchen an, während Darth Vader Ihnen hinterherbrüllte, Sie seien ja gar nicht sein Vater und er würde das alles seiner Mama erzählen ...
So ungefähr ging es mir, als ich da auf dem Küchenboden saß.
Zwar hallten die Worte noch nach, aber wie bei einem Traum schien sich das Erlebte wie feiner Nebel zu verflüchtigen und machte der Vernunft Platz.
Ich rappelte mich auf und es gelang mir, die Teebeutel in die Kanne zu hängen und den Wasserkocher anzustellen. Was zum Geier war das eben? Wäre ich jetzt irgendein drogenabhängiger Freak, dann wäre das Geschehene erklärbar. Und wenn ich mir regelmäßig schöne Gefühle mittels Jack Daniels oder anderer Kumpels verschaffen würde, dann könnte es durchaus auch passieren, dass mein Hirn plötzlich selbstständig so einen Dünnpfiff produzieren würde. Das alles traf allerdings nicht auf mich zu. Klar, bei manchen Gelegenheiten schlug ich auch schon mal über die Stränge, aber ganz gewiss nicht so krass, dass mein Hirn davon erweichen würde.
Also ein Gehirntumor. Kein Zweifel. Irgendwo in meinem Kopf wuchs so ein blumenkohlartiges Gebilde heran, verseuchte meine Gedanken und drückte wichtige Regionen zusammen, und ich würde demnächst als sabbernder Pflegefall von göttlicher Verdammnis faseln, während mich ein Weißkittel in die Zwangsjacke wickelt.
Immer noch besser, als würde Gott wirklich in Erscheinung treten und das Ende der Welt verkünden. Das steht erst mal fest.
Ich goss kochendes Wasser über die Teebeutel und ging ins Bad. Der Blick in den Spiegel wies keine Besonderheiten auf. Blaue Augen, gepflegter Vollbart und nackenlange, braune, gewellte Haare.
Keine auffälligen Flecken im Gesicht, bis auf die Lachfalten und leichten Krähenfüße um die Augen herum auch keine neuen Verfalls-erscheinungen.