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Populismus, Hegemonie, Globalisierung. Stuart Hall
Читать онлайн.Название Populismus, Hegemonie, Globalisierung
Год выпуска 0
isbn 9783867548564
Автор произведения Stuart Hall
Жанр Журналы
Издательство Автор
Im 16. Jahrhundert besiegelte Jean Bodin diese Entwicklung mit der Doktrin vom »göttlichen Recht der Könige«. Partnerschaftliche Herrschaft zwischen Monarch und Volk, eingeschrieben in die Ständeordnung im späten Feudalismus, verwelkte unter dem Absolutismus. In Frankreich wurden die Generalstände zwischen 1614 und 1789 nicht einbestellt, und ihre Einberufung löste den Prozess aus, der in die Französischen Revolution mündete. In England führten die Herrschaftsweisen der Stuart-Könige und ihre Steuererhebungen ohne Einwilligung des Parlaments zur Englischen Revolution der 1640er Jahre.
Verfassungsstaat oder Vertragsstaat
Gerade weil er jedes Element der Herrschaft innerhalb eines säkularen Zentrums vereinigte und konzentrierte und auch Anspruch auf eine absolute Herrschaft erhob, die säkular und national war, half der Absolutismus einen Pfad zum ›bürgerlichen‹ Verfassungsstaat zu bahnen oder einen Weg dorthin vorzubereiten. In England (wo der wesentliche Konflikt im 17. Jahrhundert aufbrach) und Frankreich (später, am Ende des 18. Jahrhunderts) wurden Teile des niederen Landadels neben entstehenden Händler-Klassen, städtischen Handwerkern und Arbeiterklassen in einen ›vermischten‹ Streit gegen die Ansprüche des Absolutismus, die Macht des Hofes und die Starrheit des Merkantilismus hineingezogen. Die Expansion des Handels dieser neuen ›Nationalstaaten‹ untergrub den Absolutismus. Als Folge der Aufstände gegen dieses Ancien Régime beschleunigte sich die moderne bürgerliche Entwicklung. Am Ende des 18. Jahrhunderts veränderte sich die britische Ökonomie durch das Anwachsen der marktförmigen Landwirtschaft und Lohnarbeit, das ungebremste Wirken der Gesetze des ›freien Marktes‹, den sich ausdehnenden Verkauf und Erwerb von Grund und Boden, die vollständig ausgeformten Auffassungen von Privateigentum, die allgemeine Auflösung einer alten ›moralischen Ökonomie‹ und die Vorherrschaft eines agrarischen Kapitalismus. Eine neue Art von bürgerlicher Zivilisation begann sich zu manifestieren. Die Klassen waren mit dieser Entwicklung eng verbunden – die merkantilen Klassen, aber auch Teile der Klasse der Grundeigentümer, die ihr Eigentum zunehmend als ›fixes Kapital‹ einsetzten; sie traten als neue, machtvolle soziale Gebilde in der Gesellschaft auf. Aufgrund ihrer Vorherrschaft in der ›Zivilgesellschaft‹ nahmen sie allmählich eine dominierende Position im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben ein. Dann begannen sie für eine Beteiligung an Staatsmacht und Herrschaft zu kämpfen. Die Prinzipien des Marktes und des Vertrages, die die Grundlage ihres wachsenden Wohlstandes bildeten, wurden zum ersten Mal die Metapher für eine neue Auffassung vom Staat: ein Vertragsstaat, in dem Macht geteilt wurde; das Recht der oberen und mittleren Schichten der Gesellschaft, neben dem Herrscher an der Macht zu partizipieren, wurde durch die Verfassung garantiert und formalisiert.
Der lange Prozess hin zu einer Ausweitung der Basis des Gesellschaftsvertrages wurde im Zuge der Revolution von 1644 und der parlamentarischen Phase in England initiiert und mündete in eine gemäßigte und gemischte Form der ›parlamentarischen Monarchie‹. Unter den Bedingungen dieses konstitutionellen Systems fand die Industrialisierung statt. In den finalen Stadien richteten sich die Kämpfe auf die Ausweitung des Wahlrechts und die Schaffung eines umfassend demokratischen Staates im 19. Jahrhundert. In Frankreich zog sich der Niedergang des Absolutismus lange hin. Als er dann erfolgte, waren die popularen Klassen – die wirklichen Außenseiter in dieser langwierigen Verschiebung der Macht – direkt in die Kämpfe involviert und das ›Reform‹programm nahm folgerichtig seine ›radikalste‹ Form mit der jakobinischen Forderung nach »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« an. Diese wurden eher von kapitalistischen denn von feudalen Formen ökonomischer und politischer Verhältnisse dominiert, mit einem neuartigen Typ von Gesellschaftsstruktur und einem ganz anderen Gleichgewicht zwischen verschiedenen Klassen; sie wirkten im Geiste neuer Auffassungen von Herrschaft, Autorität und Macht und entwickelten neue, ›vertragliche‹, liberale und verfassungsmäßige Formen der Herrschaft. Das markierte den Anfang der ›bürgerlichen‹ Revolutionen und führte an die Schwelle zum ›modernen Staat‹.
Entwicklung des modernen Staates
Es ist schwierig, die Ursprungsidee eines modernen Staates genau zu datieren, da das Wort ›modern‹ offen für verschiedene Interpretationen ist. Die nützlichste Definition bezieht sich nicht auf einen chronologischen Zeitraum, sondern auf das Auftauchen von bestimmten Merkmalen des Staates, die in zeitgenössischen Gesellschaften noch erkennbar sind. Diese Merkmale beschreiben Staaten, in denen Macht geteilt wird; in denen die Rechte auf Partizipation an der Regierung rechtlich oder verfassungsmäßig legitimiert sind; in denen Repräsentation umfassend, Staatsmacht vollständig säkular und die Grenzen nationaler Souveränität eindeutig bestimmt sind. Eine Staatsform dieses Typs tauchte sehr ungleichzeitig innerhalb Europas auf. Er manifestierte sich in Großbritannien bereits im 18. Jahrhundert, während er in Deutschland vor dem Ende des 19. Jahrhundert nicht anzutreffen war.
In Großbritannien bildete sich der klassische liberale Staat als Folge der parlamentarischen Zwischenregierung und des ›Großen Kompromisses‹ von 1688 während des 18. Jahrhunderts bis weit hinein ins 19. Jahrhundert heraus. Dies umfasst die Zeitspanne des agrarischen und frühen industriellen Kapitalismus und Großbritanniens Aufstieg zur Vormacht als Handels- und Produktionsmacht. Die zwei Bereiche sind organisch miteinander verbunden: Aufgrund der Forderungen der aufstrebenden Klassen, die mit dieser ökonomischen Entwicklung verbunden waren, war der Staat gezwungen, einen liberaleren und rechtsstaatlichen Pfad einzuschlagen. Diese Form des Staates wurde als ›liberal‹ bezeichnet: a. im Gegensatz zu den Rigiditäten des Ancien Régime und b. wegen seiner wesentlichen Funktion, die ›Rechte und Freiheiten‹ des Individuums zu garantieren. Die Organisationsprinzipien, die dem Handel und dem Gewerbe zu expandieren ermöglichten – der Freihandel, die Gesetze des Marktes und des Vertrages –, waren auch die Prinzipien, die die Beziehungen zwischen Staat und Individuum neu formierten. Individuen gingen mit dem Staat einen ›Gesellschaftsvertrag‹ ein, im Austausch für die Verteidigung ihrer Rechte und Freiheiten, die sie als ›natürlich‹ erachteten. Das macht die Individuen zum a priori des Staates, nicht umgekehrt. Diese Rechte sind sehr besondere: das ›Recht‹, Arbeitskraft zu kaufen und zu verkaufen; Privateigentum zu besitzen und darüber zu verfügen; ›frei zu handeln‹, außer jemand bevorzugt den Rechtsweg; (insbesondere vom Staat) ›unbehelligt eigene Privatgeschäfte zu tätigen‹; ›sein Zuhause als seine Burg zu verstehen‹.
Einmischung in diese Freiheiten können nicht mehr aus Lust und Laune der Krone oder des Staates erfolgen, sondern müssen rechtlich genehmigt sein. Selbst der Staat war dem Gesetz unterworfen, d. h. Herrschaft durch das Recht oder ›Rechtsstaatlichkeit‹. Der liberale Staat musste stark sein, um das Leben und das Eigentum der Individuen zu beschützen, um frei abgeschlossenen Verträgen Geltung zu verleihen und die Nation gegen äußere Angriffe zu verteidigen. Aber dieser Staat musste sich auch zurücknehmen und nicht in zu viele Bereiche intervenieren.