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       Und von den Stammtischen bis hin zu den noblen Rotarierzirkeln regt sich beträchtlicher Unmut über den grassierenden Klientelismus und den Mandatsnepotismus in den Parteien. In Letzteren haben sich adelsähnliche Strukturen entwickelt, bei denen beispielsweise Mandate innerhalb der Familie oder des Freundeskreises weitergegeben werden und wo sich geschlossene Zirkel bilden, in die Außenstehende nur noch schwer hineinkommen. Eine Konstellation, die die Demokratie de facto aushebelt.

      All das verschlechtert die Stimmung und bremst Investitionen und damit die Wirtschaft. Dem ist, wie gesagt, mit ein wenig Politentertainment nicht mehr beizukommen. In dieser Phase hilft ein bisschen Reformieren nicht mehr, da muss ein tief greifender Umbau des Staates und seiner politischen Institutionen her. Eine kleine Chance gibt es noch, das Steuer herumzureißen, bevor der Karren wirtschaftlich und politisch an die Wand fährt. Das Zeitfenster ist aber nicht mehr groß. Für die Regierenden „Altparteien“ SPÖ und ÖVP ist es wohl die letzte: Sie werden sich entweder zu einer überfälligen Modernisierung des Landes aufraffen müssen oder sie werden untergehen. Blockadeorganisationen mit Strukturen aus dem vorigen Jahrhundert sind nicht mehr zeitgemäß. Und niemand wird sie vermissen. Sie haben also nichts zu verlieren. Vielleicht reicht das als Motivation, endlich tätig zu werden.

      Dieses Buch liefert dafür einen Leitfaden: Es beschreibt die wichtigsten Blockadestrukturen und Möglichkeiten zu ihrer Überwindung, listet die größten Baustellen der Republik auf – und gibt Reparaturanleitungen.

      Diagnose I

       AKUTE AUSTROSKLEROSE

      Mit der bloßen Zufuhr von Geld lässt sich die volkswirtschaftliche Erkrankung namens „institutionelle Sklerose“ nicht therapieren.

      Die Lage stellt sich so dar: Wir haben die höchste Steuer- und Abgabenquote seit dem Zweiten Weltkrieg, die höchste Arbeitslosenzahl und die höchste Staatsverschuldung. Gleichzeitig eine weltweite Wirtschaftskrise – und keine handlungsfähige Regierung. Ein bisschen viel wirtschaftspolitisches Pech auf einmal.“ Dieses Statement klingt doch eigentlich recht aktuell, oder? Ist es aber nicht: Das Zitat stammt aus meiner wöchentlichen Kolumne „Bilanz“ in der Tageszeitung „Die Presse“. Erschienen ist dieser Beitrag am 8. November 2002.

      Und weil wir gerade beim Zitieren sind, noch eine interessante Aussage: „Wir wissen, dass im Bereich von Klein- und Mittelbetrieben die meisten Arbeitsplätze geschaffen werden. Daher werden wir diesen Sektor sehr konzentriert unterstützen müssen: durch das Wegräumen unnötiger bürokratischer Hindernisse, aber auch durch andere Maßnahmen, etwa im Hinblick auf den Eigenkapitalsektor. So zum Beispiel ist uns die Reform der Gewerbeordnung ein besonders wichtiges Anliegen.“ Von wem stammen diese Sätze? Christian Kern? Reinhold Mitterlehner? Könnte sein, oder? Ist es aber nicht: Viktor Klima hat das laut stenografischem Protokoll des Nationalrats am 29. Jänner 1997 in seiner Regierungserklärung von sich gegeben.

      Man sieht: Viel hat sich in diesem Land nicht geändert. Außer: Steuer- und Abgabenquote, Arbeitslosenzahl und Staatsverschuldung sind viel höher als damals. Ansonsten sind die aktuellen Probleme in den Sektoren Föderalismus, Verwaltung, Budget, Steuern, Gesundheit, Bildung, Pensionen, Förderungen etc. ziemlich alt. Auch die Diskussion darüber. Und die immer gleichen Argumente pro und contra um die genau genommen immer gleichen Reformvorschläge drehen sich seit dreißig, manche schon seit vierzig Jahren im Kreis. Diese Republik steht also still. Nicht erst seit gestern und nicht erst seit dem Start der aktuellen Regierung. Die drängenden Probleme harren seit Jahrzehnten einer Lösung.

      Natürlich gibt es unter großem Reformgetöse immer wieder ein paar kosmetische Operationen: ein paar Bezirksgerichte zusammengelegt und als große Verwaltungsreform verkauft, eine bloße Teilrückvergütung der kalten Progression als größte Steuerreform aller Zeiten gefeiert, das strikteste Ladenschlussgesetz Europas um ein winziges Stück gelockert, mit einer kleinen Start-up-Förderung ein wenig Standortpflege betrieben. Aber der notwendige große Wurf, der das Land nach vorne treibt und wieder in seine angestammte Peergroup zurückbringt, blieb bisher aus. Auch bei den jüngsten größeren, durchaus ambitionierten Reformversuchen – Gewerbeordnung und Finanzausgleich mit den Ländern – ist die Regierung kläglich gescheitert. Die herrschenden Beharrungsstrukturen waren nicht zu überwinden. Kurzum: Der Patient siecht mangels brauchbarer Behandlung dahin und wird immer schwächer. Die Diagnose ist klar: eine spezielle Form der institutionellen Verhärtung, die als „Austrosklerose“ in den Sprachgebrauch der „Wirtschaftsmedizin“ eingegangen ist. Entdeckt und beschrieben wurde diese schwere volkswirtschaftliche Erkrankung erstmals vom amerikanischen Ökonomen Mancur Olson, der die Symptome in seinem 1965 erschienenen Werk „The Logic of Collective Action. Public Goods and the Theory of Groups“ beschrieb und das Krankheitsbild in seinem zweiten großen Werk „The Rise and Decline of Nations“ verfeinerte.

       Gruppeninteressen vor Gesamtwohl

      Das Krankheitsbild der institutionellen Sklerose, an der Österreich so offensichtlich leidet, ist also relativ gut erforscht. Es entsteht laut Olson dadurch, dass sich Interessenverbände (Gewerkschaften, Unternehmerverbände und Länder, um ein paar zu nennen) durchsetzen, die naturgemäß in erster Linie Partikularinteressen (nämlich die ihrer Mitglieder) vertreten und das Gesamtwohl hintanstellen. Werden solche Institutionen in einer Gesellschaft zu stark, erlangen sie einen zu großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik, dann gerät das Gesamtwohl ernsthaft in Gefahr. Diese Konstellation, eine Art politisches Marktversagen, führt in der Regel zu massiven Symptomen. Sie schränkt die Fähigkeit zu gesellschaftlichem Wandel ein. Der folgende Stillstand bremst die Produktivität und das Wirtschaftswachstum und führt in der Folge naturgemäß zu wirtschaftlichem Niedergang.

      Mit der bloßen Zufuhr von Geld lässt sich diese volkswirtschaftliche Erkrankung nicht therapieren. Man kann das sehr schön an den zentralen österreichischen Daten ablesen, die zeigen, dass Verschuldung, Steuerlast und Arbeitslosenzahlen seit Langem parallel steigen, während das Wirtschaftswachstum immer schwächer wird. Bezogen auf das Wachstum wird der Mitteleinsatz also immer unwirtschaftlicher. Olson meint sogar, dass die bloße Zuführung von Geld ausgesprochen kontraproduktive Effekte zeitige: Je mehr Geld in schlechte Strukturen gepumpt wird, desto mehr verfestigen sich diese. Wirksam gegen diese institutionelle Sklerose sind nur strukturelle Reformen, die diese Blockadestrukturen aufbrechen. Womit wir beim Hauptproblem wären: Eine echte Reformpolitik muss sich zwangsweise gegen die strukturversteinernden Institutionen richten. Also gegen jene, die die politische Macht im Lande an sich gerissen haben – und die damit auch die personelle Auswahl der möglichen Reformer an der Regierungsspitze in der Hand haben. Das ist nicht nur eine Herkulesaufgabe. Es ist in normalen Zeiten schlicht unmöglich.

      Nur in den seltensten Fällen gelingt das, bevor der außer Kontrolle geratene Karren an die Wand fährt. In Schweden zum Beispiel, wo in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts eine schwere Wirtschaftskrise die Regierung zu umfassenden Reformen gegen die auch dort starken Interessengruppen zwang. Eine Reform, von der Schweden noch heute zehrt: Es hat bei ähnlichen Basiswirtschaftsdaten wie Österreich heute nur eine halb so hohe Staatsverschuldung. Und damit viel Spielraum für Krisen. Oder in Deutschland, wo der Sozialdemokrat Gerhard Schröder zu Beginn der Nullerjahre seine „Agenda 2010“ und seine umstrittene „Hartz IV“-Reform durchzog. Reformen, von denen Deutschland noch heute zehrt und die das Land vom wirtschaftlich „kranken Mann Europas“ zur mit Abstand stärksten Wirtschaftsnation des Kontinents machte. Beide Fälle hatten eines gemein: Der wirtschaftliche Niedergang hatte in der Bevölkerung genug Leidensdruck aufgebaut. Ein Leidensdruck, der stärker war als die Partikularinteressen der Interessenverbände.

      So weit sind wir in Österreich noch nicht, weshalb es aus parteipolitischer Sicht der Regierenden bisher auch wenig Anlass für wirklich große Reformen gegeben hat. Denn diese Republik steht zwar still. Angesichts der enormen Wirtschaftskraft des Landes tut sie das aber auf sehr hohem Niveau. Der Einzelne merkt also noch nicht oder, besser gesagt, noch nicht stark genug, dass die Basis des Wohlstands im Hintergrund immer stärker erodiert. Gut, die Arbeitslosenrate steigt, die Reallöhne

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