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Das Versprechen der Nonne. Robert Storch
Читать онлайн.Название Das Versprechen der Nonne
Год выпуска 0
isbn 9783961400874
Автор произведения Robert Storch
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Mea culpa, mea culpa!
Michal schritt durch das Langhaus auf das Holzkreuz zu. Sie und die anderen Nonnen blieben vor der Holzschranke stehen, hinter der sich das Langhaus zum Quadrat des Altarraums hin öffnete. Die Mönche trotteten an ihnen vorbei, die Blicke auf den Altar gerichtet, schlüpften unter der Schranke durch und betraten das Allerheiligste. Dort, rund um den Altar, waren noch weiße Fliesen der Römervilla zu erkennen, wohingegen die Nonnen auf Lehmboden standen. Prior Goumerads Halbglatze löste sich aus den Reihen der Mönche, seine Augen wurden von weit hervorspringenden Augenbrauenbogen beschattet. Fehlerfrei und mit verdrießlichem Gesichtsausdruck führte er durch Vers, Hymnus, Psalmen, Lesung, Versikel und Kyrie eleison.
Nach der Non, vor der Mahlzeit, fasste Walburga im Kreis der Nonnen zusammen, was inzwischen mit den Heiden geschehen war: Bis auf eine alte Frau hatten alle Heiden die Lichtung verlassen, sodann hatten sie gebeten, mit der Taufe in die Gemeinschaft Jesu aufgenommen zu werden und sich in Heidenheim niederlassen zu dürfen, da sie sich auf der Lichtung nicht sicher fühlten.
Daraufhin hatte Walburga Goumerad ersucht, die Heiden zu taufen. Dieser hatte jedoch Bedenken geäußert: Sie könnten Blut an den Händen haben, fernerhin bestehe der Verdacht, sie wollten die heilige Taufe nur empfangen, um sich in Heidenheim einzunisten, obgleich sie heimlich im Heidentum verharrten. Es sei deshalb nicht geraten, das heilige Sakrament der Taufe vorschnell zu spenden, vielmehr müsse die Sache von allen Seiten geprüft werden, folglich werde er sich morgen zum Grafenhof begeben. Dort werde er die Meinung des Grafen einholen.
Nachdem Walburga den Heiden diese betrübliche Nachricht überbracht hatte, hatten diese nachdrücklich ihren Beistand verlangt. Daher war sie mit ihnen zum Wynnebaldsbrunnen gepilgert und hatte mit ihnen gebetet. Daraufhin waren sie, vom Gebet ergriffen, einer nach dem anderen ins Wasser getaucht, trotz Walburgas Einwand, nur ein Priester könne sie taufen. Alsdann hatte sie die Heiden in den Wirtschaftsgebäuden des Klosters untergebracht.
Nach der Mahlzeit unterdrückte Michal nur mit Mühe einen Seufzer, während sie sich in die Schreibstube begab. Sie hätte sich gerne mit Aebbe unterhalten, doch die Regel des heiligen Benedikts verlangte Schweigen. Sie war fest entschlossen, die Regel zu befolgen, um zu dem Ziel zu gelangen, das sie von Kindesbeinen an sehnsuchtsvoll erstrebte: den Schleier der heiligen Jungfrau. Dennoch: Etwas in ihr wehrte sich gegen diese Regel, deren Sinn sich ihr nicht erschloss. Und tief in ihrem Innern zweifelte sie zum ersten Mal, ob Gott sie für das Leben im Kloster erschaffen hatte. Sie erschrak ob dieser Erkenntnis, verbissen widmete sie sich ihrer Arbeit. Sie schrieb, unterbrochen von der Vesper, bis zur Komplet.
Nach der Komplet entzündete Goumerad wie jeden Abend eine Kerze am Altar und trug sie, vor den Nonnen einherschreitend, bis zum Nonnenkloster, wo er sie Walburga übergab. Das Licht erhellte die Nacht im Dormitorium.
Am nächsten Morgen betete und arbeitete Michal wie immer, aber als Goumerad nach den Laudes den Wanderstab zur Hand nahm und Richtung Grafenhof zog, konnte sie sich nicht mehr auf die Manuskripte aus Lucca konzentrieren. Gewiss, Goumerad war ein ehrwürdiger Mann, ausgezeichnet durch sein priesterliches Gewand, weit überlegen einer schwachen und gebrechlichen Frau, die sich nicht auf das Vorrecht weiser Einsicht stützen konnte, dennoch zweifelte sie, ob er dem Einfluss Wulfhardts, der zweifellos mit dem Teufel im Bunde war, widerstehen konnte. Vielleicht rührten ihre Zweifel daher, dass er die Messe zwar stets fehlerfrei, aber ohne jene Hingabe zelebrierte, die sie aus Walburgas Gebeten vernahm.
Goumerads Platz war bei den Laudes am Morgen nach seiner Abreise immer noch verwaist. Sollte seine lange Unterredung mit Wulfhardt nur um die Heiden von der Lichtung kreisen? Michal glaubte es nicht. Was bereden sie wohl so lange?, grübelte sie während des Morgenlobs. Voll böser Ahnungen verließ sie die Kirche, doch kaum war sie ins Refektorium getreten, flatterten alle Sorgen davon: Ihre Mädchen hatten die Stühle schon herausgetragen und den Tisch, an dem Michal für gewöhnlich mit ihren Schwestern speiste, an die Seite gerückt. Jedoch saßen die Mädchen nicht brav auf dem freigewordenen Platz und warteten auf den Unterricht, sondern tobten herum. Sie spielten so etwas wie Fangen, obwohl Michal nicht erkannte, wer vor wem davonrannte. Vielleicht hüpften sie auch nur in völligem Durcheinander hin und her.
Vor drei Monaten hatte Walburga den Unterricht für die Mädchen des Dorfes eingeführt, wogegen Goumerad umgehend gewettert hatte, weil das Weib, zumal in jungen Jahren, zu wenig Verstand für eine Unterweisung in geistigen Dingen besitze und dies mithin nicht von Gott gewollt sein könne. Seit sie das gehört hatte, unterrichtete Michal die Mädchen mit noch mehr Vergnügen.
Michal hatte den Kinderlärm in den letzten beiden Wochen, als die Mädchen bei der Ernte hatten helfen müssen, vermisst, erst recht an den letzten beiden schweigsamen Tagen. Jetzt genoss sie die ausgelassenen Kinder umso mehr − und bedauerte gleichzeitig, dass dieser Spaß ihr in der Kindheit verwehrt geblieben war: Damals, in ihrer Heimat jenseits des Meeres im Norden, in der Klosterschule zu Wimborne, hatte niemand gewagt, weiter herumzuspringen, wenn eine Lehrerin den Raum betreten hatte. Nur am Hof ihrer Eltern hatte sie in den wenigen freien Stunden nach Schule und Gebet mit den Kindern der Knechte und Mägde gespielt. Es hatten sich auch Knaben unter ihren Spielkameraden befunden, doch kurz nach ihrem elften Geburtstag hatte Mutter alle Knaben vom Hof geschickt, um, wie sie sagte, sie vor schädlichem Einfluss zu schützen.
Schweren Herzens beschloss Michal, das Durcheinander zu beenden. Sie klatschte in die Hände. „Ruhe, Kinder!“
Niemand hörte sie, nur eine Kohlmeise, die auf dem Fensterrahmen herumgesprungen war, flatterte davon. Sie schritt zum Pult, wo während der Mahlzeiten die Vorleserin stand, und knallte mit der Faust auf das Pult − ohne Erfolg. Also griff sie zur schrecklichsten Drohung: „Ich schicke euch alle in die Schule der Mönche, wenn ihr nicht sofort eure Wachstafeln nehmt und euch auf die Fliesen setzt!“
Die Mädchen blieben dort, wo sie gerade herumsprangen, wie festgewurzelt stehen. Wahrscheinlich dachten sie an ihre Brüder, die oft mit schmerzenden Hinterbacken aus dem Unterricht kamen. Begleitet von einem enttäuschten Murmeln nahmen die 24 Schülerinnen Wachstafeln und Griffel zur Hand und drängten sich auf den weißen Fliesen der alten Römervilla zusammen.
Michal lächelte, trat hinter dem Pult hervor und begann mit einer Rechenaufgabe. „Die Bäuerin melkt die Kühe Elsa und Frida. Elsa gibt zwei Kannen Milch, Frida drei.“ Sie nickte einer Schülerin in der ersten Reihe zu. „Clara, was denkst du: Wie viele Kannen Milch hat die Bäuerin?“
„Vier!“, antwortete das rotwangige Mädchen mit dem Blondschopf.
Michal setzte sich im Schneidersitz vor Clara auf die Fliesen und legte das Kinn auf die gefalteten Hände. „Wie viele Brüder hast du, Clara?“
Das Mädchen runzelte die Stirn, wahrscheinlich ahnte sie, dass ihre Antwort falsch war. Trotzig antwortete sie: „Vier!“
„Und wen von ihnen magst du am meisten?“
„Den Michel!“
„Und was ist mit den anderen?“
Clara ballte die kleinen Hände zu Fäusten. „Die sind blöd!“
„Du streitest dich mit ihnen?“
„Ja. Weil sie blöd sind!“
„Und wenn du dich mit ihnen streitest, was würdest du da am liebsten mit ihnen tun?“
„Ich hau ihnen Ohrfeigen rein!“ Sie holte mit dem rechten Arm aus, als stünden ihre Brüder vor ihr.
Michal schaffte es, ernst zu bleiben. „Das wären wie viele Ohrfeigen?“
Clara überlegte kurz mit zur Decke gewandtem Blick, dann hielt sie zwei