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      Ines Schumann

      Die Geisterfalle

      Engelsdorfer Verlag

      Leipzig

      2016

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

      detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

      http://dnb.dnb.de abrufbar.

       Geeignet für Kinder von acht bis zwölf Jahren.

      ISBN 978-3-96008-827-1

      Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte beim Autor

      Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

      E-Book-Hergestellung: Zeilenwert GmbH 2017

       www.engelsdorfer-verlag.de

       Inhalt

       Cover

       Titel

       Impressum

       Die Geisterfalle

       Der verwunschene Spiegel

       Keine Äpfel in Malawi

       Der Tag der toten Vögel

       Ololoo

       Vom Drachen, der eine Maus auf seiner Zunge badet

       Die kleine Eselin

      Die Geisterfalle

      Das erste Zirpen der Insekten am Morgen. Frösche quaken. Zwischendurch das leise Plantschen der rosa Flussdelfine. Moises blinzelt unter der alten Wolldecke hervor. Die Mutter stillt das Baby neben der Kochstelle.

      „Moises, wach auf! Weck deinen Bruder und mach das Boot fertig!“, drängt sie leise und schiebt Moises etwas Reis und Kochbanane zu.

      Der Vater steht am Fluss. Keine zehn Meter von dem offenen Stelzenhaus entfernt. Er schaut in den Himmel. Er schaut auf das Wasser. Er beobachtet die Baumwipfel an beiden Ufern. Anschließend denkt er nach. Jeden Morgen. Das Ergebnis dieser Beobachtung bestimmt den Tagesablauf der Familie in der Casa del Mango. Das Leben der Yagua-Indianer im Regenwald von Peru richtet sich nach dem Wasserstand des wasserreichsten Flusses der Welt – dem Amazonas.

      „Moises, suchen wir heute Vogelfedern für meine neue Geisterfalle?“, fragt Graciano seinen älteren Bruder wenig später, ein Paddel vom Einbaum fest in der kleinen Hand haltend. „Bald ist Regenzeit, dann gibt es keine mehr.“ Mit dem schmalen Boot paddeln sie den Fluss stromaufwärts zum Dorf mit der Schule. Vorbei an Bäumen so groß, dass man die Baumwipfel nicht sehen kann. Bäume mit starken Wurzeln, die sich über den Boden wälzen, als wären sie dicke braune Würmer.

      Moises paddelt angestrengt. Die Strömung ist stark heute, denkt er. Er leckt am Zeigefinger und hält ihn hoch. Kein Wind. Merkwürdig.

      „Nach dem Unterricht nehmen wir den Seitenarm vom Rio Ampiyacu und angeln ein paar Piranhas für das Abendessen. Neycer sagt, dort gibt es ein Lehmufer mit Nestern der Macaw-Papageien, blaue und gelbe.“

      Nach drei Flussbiegungen binden sie ihr Boot an einem Steg fest. Drei Stelzenhäuser und ein Versammlungshaus bilden das Schuldorf. Alle Häuser sind auf Holzpfähle gebaut. Wenn Regen kommt, tritt der Fluss schnell über die Ufer. Die Häuser haben nur einen Raum, der zu beiden Seiten offen ist, weil die Hitze am Tag so groß ist. Die Menschen hier kommen mit dem Boot oder auf schmalen Pfaden durch den Dschungel ins Dorf.

      Unterricht ist bis Mittag. Dann ist es zu heiß. Im Versammlungshaus gibt es Holzbänke und Tische. Alle Schulkinder der umliegenden Dörfer sitzen in einer Klasse. Das heißt, alle Kinder, die nicht gerade zu Hause arbeiten müssen.

      „Moises, ich brauche auch Federn vom Tanager-Vogel. Sonst wirkt der Zauber nicht, sagt Mama“, flüstert Graciano im Unterricht seinem großen Bruder zu.

      „Ich bin nicht blöd. Jetzt halt den Mund und hör zu!“, zischt Moises zurück. So unkonzentriert war sein Bruder noch nie. Es wird wirklich höchste Zeit, dass er eine neue Geisterfalle über sein Bett hängt. Moises hat seinen Bruder in letzter Zeit schon mehrfach aus unruhigem Schlaf erweckt. Kein gutes Zeichen. Thore, der böse Geist des Urwaldes, darf den Kleinen nicht finden. Außerdem sah Moises auf dem Schulweg heute Morgen ein Faultier kopfüber in einem Baumwipfel hängen. Graciano hat er nichts erzählt. Jeder hier weiß: Wer ein Faultier zuerst entdeckt, hat Pech an diesem Tag. Und das stimmt immer.

      Die Sonne scheint erbarmungslos auf das kleine Boot, als beide Brüder nach der Schule Angeln aus Stock und Faden in den Ampiyacu halten. Die kleinen silbernen Piranhas mit rotem Kopf sind leicht zu angeln. Gebraten schmecken sie so gut.

      „Moises, wo sind die Papageien? Ich sehe keine. Du hast mir Federn versprochen“, quengelt Graciano nach einer Weile. Es ist stickig und schwül.

      „Neycer muss sich geirrt haben, Graciano. Hier gibt es kein Lehmufer. Wir müssen weiter suchen“, erwidert Moises. „Lass uns noch ein Stück flussaufwärts paddeln. An Land gehen können wir nicht. Zu viele Kaimane.“

      Moises Unruhe wächst. Diese Windstille über dem Fluss. Keine Geräusche aus dem Dschungel. Zumindest die Brüllaffen sollten in den Baumwipfeln toben. Nichts. Ein Gefühl warnt ihn, dass er spätestens jetzt umkehren müsste. Der mächtige Dschungel sendet Signale.

      Doch Graciano sitzt ungeduldig im Boot. Moises wirft ihm eine Mango zu und paddelt nach Leibeskräften los. Der Wasserlauf wird schmaler. Die Sonne lacht zwischen wunderschönen weißen Wolken. Mühsam staken die Jungen nun das Boot durch einen Teppich von Seerosen. Ein Froschkonzert begleitet sie. Plötzlich weitet sich das Wasser vor ihnen und rosa Flussdelfine begrüßen die Jungen an einem glitzernden See.

      Die ockerfarbene Lehmböschung mit unzähligen Nestern bunter Papageien hebt sich prachtvoll vom grünen Dschungel ab. Sonnenstrahlen tanzen auf sanften Wellen und zaubern ein unvorstellbares Farbenspiel. „Das muss der heilige Ort sein, von dem Vater erzählt hat“, flüstert Moises und bekreuzigt sich.

      „Dann dürfen wir hier keine Federn sammeln?“, fragt Graciano unsicher.

      „Mach schon. Es ist ja für einen guten Zweck.“

      Graciano hat gerade beide Hosentaschen voll bunter Federn, als das erste Donnergrollen zu hören ist. Nur wenig später schicken dunkle Wolkenberge die ersten Regentropfen zur Erde.

      Im peitschenden Regen versuchen die Jungen, das schmale Boot in Ufernähe im Gleichgewicht zu halten. Es

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