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wir Sie hier bald als Mörder oder wenigstens als Totschläger begrüßen.«

      Budenstieg drehte sich noch einmal um. »Auf Wiedersehen!« Mit ein paar Schritten war er an der Seidelstraße angekommen. Aus Richtung Tegel näherte sich ein Straßenbahnzug. Er überlegte. Mit der Linie 25 kam er schnell in die Innenstadt. Aber die Fahrt war teuer! Ein paar Mark hatten sie ihm mit auf den Weg gegeben, aber die brauchte er nicht gleich der Verkehrsgesellschaft in den Rachen zu werfen. Was änderte das an deren Verlusten, wenn er für seine Fahrt keinen Pfennig bezahlte? Nichts! Er konnte also mit ruhigem Gewissen schwarzfahren. Die Bahn hielt. Budenstieg musterte die Schaffner. Wer sah dümmer aus, wer gutmütiger? Der im Trieb oder der im Beiwagen? Budenstieg entschied sich für den Anhänger. Da der Schaffner auf dessen vorderem Perron abklingelte, enterte er den hinteren. Der Wagen war ziemlich voll, und er konnte hoffen, bis zur Afrikanischen Straße nicht kontrolliert zu werden.

      Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder einmal in einer Straßenbahn durch Berlin zu gondeln. An jeder Haltestelle stand es ihm frei, einfach auszusteigen – ohne einen Vormelder an die Anstaltsleitung zu schicken. Andererseits hatte er keinen festen Schlafplatz mehr, und niemand schob ihm morgens, mittags und abends einen Napf mit etwas Essbarem durch die Luke. Auch wenn die Mahlzeiten meistens nur als Fraß zu bezeichnen waren.

      »Noch jemand ohne Fahrschein?«

      Der Schaffner war in seinem Abteil angekommen. Budenstieg schwang sich hinunter aufs Trittbrett, um während der Fahrt abzuspringen. Das war riskant. Man konnte unter einen Lastwagen geraten. Aber die Straße war frei.

      »Heh, Sie da!«, schrie der Schaffner. »Hierjeblieben, sonst …« Budenstieg hatte Glück. Am Ende der Scharnweberstraße hatte der Mann vorn an der Kurbel ein wenig Fahrt wegnehmen müssen. Er sprang. Es kam darauf an, beim Laufen in etwa so schnell zu sein wie die Straßenbahn. Budenstieg schaffte es und geriet nicht ins Straucheln. Und das, obwohl er anderthalb Jahre nicht richtig gerannt war und sich immer nur mit den Spaziergängen auf dem Gefängnishof hatte begnügen müssen. Budenstieg war stolz auf sich. Autos hupten hinter ihm. Er drehte sich um und drohte mit der Faust. »Willste was auf die Schnauze, du Arschloch?«

      Endlich hatte er den Bürgersteig erreicht und sich in Sicherheit gebracht. Nach ein paar Metern blieb er stehen und blickte die Müllerstraße hinunter, die sich wie eine endlose Schneise dahinzog, bis sie in die Chausseestraße überging. Wo war das Ende? Budenstieg versuchte, sich den Stadtplan ins Gedächtnis zu rufen. Am Ende der Chausseestraße lag das Oranienburger Tor mit der Kreuzung von Elsasser, Oranienburger und Friedrichstraße. Das mochten sechs Kilometer sein – viel für einen untrainierten Menschen wie ihn. Aber so hatte er endlich wieder etwas Bewegung und kam unter Menschen. Er marschierte los.

      Bis zur Kreuzung mit der Seestraße kam er gut voran, dann wurde er müde. Als er die Utrechter Straße erreicht hatte, fiel ihm ein, dass seine Eltern seit kurzem ein Stückchen weiter in der Malplaquetstraße wohnten. Was für ein idiotischer Name für den Wedding! Sein Vater arbeitete nebenan bei Osram. Hell wie der lichte Tag. Nach einiger Suche fand Budenstieg die richtige Hausnummer. Im Flur hing der Stille Portier. Budenstieg – Gartenhaus, 3 Treppen, rechts. Er machte sich auf den Weg. Das Treppensteigen fiel ihm schwer. Oben angekommen, verschnaufte er einen Augenblick. Sein Puls raste. Budenstieg zögerte. Dann hob er den Messinggriff der elektrischen Klingel an. Drinnen im Flur schellte es. Nichts rührte sich. Er wiederholte den Vorgang. Jetzt waren schlurfende Schritte zu hören.

      »Wer is’n da?« Das war die Stimme seiner Mutter.

      »Gustav.«

      »Wer is Gustav?«

      »Dein Sohn.«

      »Ich habe keinen Sohn mehr.«

      »Und ich keine Mutter!«

      Damit sprang er die Treppen hinunter. Ich bin doch kein Aussätziger! Doch, das bist du! Er kam wieder auf die Müllerstraße und überlegte, ob er nicht doch ein paar Pfennige opfern und die Straßenbahn nehmen sollte. Nein, er musste hart bleiben! Budenstieg marschierte weiter. Genieße es doch, dass du wieder draußen bist! Die Welt ist so schön bunt! Besonders bunt war die Reklame, die überall angebracht war, vor allem die an den Litfaßsäulen. Budenstieg blieb stehen. Eines der Plakate war besonders hübsch: Hofball bei Zille. Zum 70. Geburtstag von Heinrich Zille im Sportpalast. 4. Februar 1928.

      Zille! Budenstieg ballte die Fäuste. Diesen Armleuchter hatte er gefressen. Wenn der sich damals in Moabit beim Kohlenarbeiterstreik nicht so dusslig angestellt und sein Geld eher hergegeben hätte, wären ihm drei Jahre Knast erspart geblieben.

      Bloß schnell weiter! Bis zur Oranienburger Straße musste er noch durchhalten. In den Kneipen dort traf er mit Sicherheit ein paar alte Kumpels, die ihm weiterhelfen würden. Was er brauchte, war ein Schlafplatz für ein paar Nächte und ein bisschen was zu essen. Dann musste er sich überlegen, wo er ein paar Mark herbekommen konnte.

      Konrad Kowollek gingen die Worte des Chefredakteurs Reinhard Rummler nicht aus dem Kopf: »Das ist eine heiße Kiste, Kowollek, bleiben Sie an dieser Geschichte unbedingt dran! Wenn Sie Ihren Verdacht belegen können, kommen wir damit groß heraus. Überschrift: Skandal um Zille! Aber Indizien reichen mir nicht, Kowollek, ich brauche Beweise.«

      Sein Freund Karl-Heinz, zumeist Heiner gerufen und Photograph beim Berliner Boulevard Blatt, konnte nur den Kopf schütteln, als er das hörte. »Da sagst du einen Grand mit Vieren an – und hast keinen einzigen Buben in der Hand.«

      »Den beschaffe ich mir noch!«, rief Kowollek. »Die Sache ist kein Skatspiel. Aber selbst dabei findet man manchmal noch zwei Buben auf dem Tisch, wenn man sich scheinbar überreizt hat.«

      »Wie kommst du eigentlich auf den Skandal um Zille?«, wollte Heiner wissen.

      »Durch Intuition wie durch Konklusion.«

      »Was Intuition ist, weiß ich, aber Konklusion habe ich noch nie gehört«, ließ der Freund verlauten.

      Kowollek erklärte es ihm. »Das Wort ist vom lateinischen Substantiv conclusio abgeleitet und bedeutet Schlussfolgerung. Der Begriff stammt aus der Philosophie. Im Allgemeinen gilt etwas als konkludent, wenn es als Schlussfolgerung offenkundig wird, ohne daß es einer weiteren ausdrücklichen Erklärung bedarf.«

      Heiner machte eine abwehrende Handbewegung. »Das ist zu hoch für mich! Aber wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist Rummler mit deinen … deinen so zwingenden logischen Ausführungen nicht ganz zufrieden und will Beweise. Liebermann und Frey müssen also zugeben, dass sie für Zille Bilder gemalt und Texte geschrieben haben. Oder du musst ihre gefälschten Werke ausfindig machen. Du solltest auch Photos von Zilles Doppelgängern auftreiben.«

      »So ist es«, musste sich Kowollek eingestehen. »Darum sollst du mich auch begleiten und meine Nachforschungen photographisch festhalten.«

      »Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, dass Zille andere für sich arbeiten lässt?«, hakte Heiner nach.

      »Wie schon gesagt, durch Konklusion. Überall steht doch, dass der Mann nur noch ein Wrack ist und von zahlreichen Krankheiten heimgesucht wird. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was der sich alles hinter die Binde gegossen hat … Es soll schon in Trunksucht übergegangen sein. Und seit seine Frau im Sommer 1919 gestorben ist, haust er allein in seiner Höhle am Bahnhof Westend, vier Treppen hoch, wobei seine kranken Beine kaum noch zulassen, dass er wieder nach oben kommt, wenn er es überhaupt mal nach unten geschafft hat. Steht überall in den Zeitungen. Wie soll er unter diesen Umständen bei den Zille-Bällen leibhaftig erscheinen, wo sie doch keinen Fahrstuhl im Haus haben?«

      Der Freund war beeindruckt von diesen Argumenten. »Du hast recht, das klingt wirklich überzeugend.«

      »Wenn ich diesen Skandal an die Öffentlichkeit bringe, Heiner, bin ich ein gemachter Mann. Dann habe ich endlich Geld in der Tasche und Aussicht auf eine feste Stelle als Reporter oder Redakteur. Dafür muss ich alles versuchen.«

      Karl-Heinz nickte. »Womit du abermals recht hast. Und Zille ist doch dafür bekannt, dass er armen Teufeln wie dir gerne hilfreich unter die Arme greift.«

      »Sei

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