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      Peter Gerdes

      Verrat verjährt nicht

      Oldenburg-Krimi

      Zum Buch

      Zeiten der Rache Leichenfund im Oldenburger Jachthafen – genau am Bootssteg der scharfzüngigen Journalistin Olivia Dressel. Die Platzierung des Ermordeten kann kein Zufall sein. Ebenso wenig die Häftlingsnummer Z 3030, die einem anderen gehört, auf dem Arm des Toten. Wo ist der Zusammenhang? Olivia, als Pflegekind aufgewachsen, interessiert sich nicht für familiäre Bindungen. Plötzlich sieht sie sich in die dunkle Geschichte gleich zweier Oldenburger Familien verstrickt. Gemeinsam verdienten sie an jüdischem Besitz. Dann kam der Verrat. Kann es sein, dass Verbrechen, die viele Jahrzehnte zurückliegen, noch heute Opfer fordern? Gibt es einen Rachefeldzug über Generationen hinweg? Hauptkommissar Stahnke, zurück an seiner alten Wirkungsstätte, greift auf der Suche nach Täter und Motiv weit zurück in die Vergangenheit, steigt hinab in dunkle Keller und hinter dichte Lügengespinste. Am Ende scheint die Lösung greifbar nahe. Aber ist sie auch zu fassen?

      Peter Gerdes, 1955 geboren, lebt in Leer (Ostfriesland). Er studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete als Journalist und Lehrer. Seit 1995 schreibt er Krimis und betätigt sich als Herausgeber. Seit 1999 leitet Peter Gerdes die »Ostfriesischen Krimitage«. Seine Krimis „Der Etappenmörder“, „Fürchte die Dunkelheit“ und „Der siebte Schlüssel“ wurden für den Literaturpreis „Das neue Buch“ nominiert. Mit seiner Frau Heike betreibt der Autor die Krimi-Buchhandlung »Tatort Taraxacum« in Leer.

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      Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von: © Tobias Arhelger / shutterstock.com

      ISBN 978-3-8392-7004-2

      1.

      Heute

      Jedes Mal, wenn sie zustach, spürte sie diesen wohligen Schauder. Wie die pralle Haut unter ihrer Klinge knarrte, wie sich der Schnitt klaffend öffnete, wie das weiche Innere hervordrängte! Als würde sie einen Froschmann sezieren. Oder einen Orca schlachten.

      Sie blickte hoch. Die polierte Oberfläche der Kühlschranktür zeigte ihr Spiegelbild. Hohe Wangenknochen, starkes Kinn, blaue Augen, Lockenmähne. Die vollen Lippen ihres breiten Mundes waren zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Olivia Dressel, die Spottdrossel, den Spitznamen hatte sie sich redlich verdient. Sich selbst nahm sie dabei nicht aus. Nicht einmal beim Würfeln einer Aubergine hatte sie ihre Fantasie im Griff!

      Aubergine, Zucchini, Knoblauch, Kräuter und Harissa, ab damit ins heiße Olivenöl. Schon wieder mediterrane Gemüsepfanne! Das Fleisch blieb im Gefrierfach. Nächstes Jahr wurde sie 40, da hieß es aufpassen. Momentan war sie zwar ganz zufrieden mit ihrem kraftvollen Körper und seinen Rundungen, aber mehr durften es nicht werden. Deshalb hatte sie für den Nachmittag auch zwei Stunden Fitnessstudio angesetzt. Ihre Zeitungsseiten waren schon zu, ihr Arbeitszeitkonto war übervoll; ein guter Tag, um Überstunden abzubummeln.

      Beim dritten Bissen summte ihr Smartphone. Direkt neben ihrem Teller, da lag es immer. Falls die Redaktion anrief. So wie jetzt. »Was gibt’s denn noch, Marco?«

      »Guten Appetit! Na, was isst du gerade, blutiges Büffelsteak, selbst geschossen?« Kollege Marco Rosenfeld klang am Telefon viel selbstsicherer als im wahren Leben. Ein echter Telefonmensch, wie geschaffen für den Redakteursjob, der immer häufiger am Schreibtisch stattfand.

      »Schieß mal selber los«, entgegnete sie, ungeniert kauend. »Du versaust mir doch wohl nicht den Nachmittag, mein Kleiner?« Ihr Kollege war einen Kopf größer als sie, aber in ihrer Gegenwart schien er immer zu schrumpfen; dabei gab er sich doch so hartgesotten, recherchierte selbst die übelsten Mordfälle, so wie neulich den Tod des dealenden Nazi-Rockers mit der aufgeschlitzten Kehle. Hinter seinem Notizblock schreckte er vor nichts zurück, dachte Olivia amüsiert. Alles Fassade! Schade eigentlich, Marco war ein ganz leckeres Kerlchen, und dass er erst Mitte 20 war, störte sie nicht im Geringsten. Aber ein bisschen selbstbewusster mussten ihre Männer schon sein. »Ich muss mich an etwas reiben können, um mich an jemandem zu reiben«, hatte sie das mal ausgedrückt, in der Kneipe, unter Frauen und nach dem dritten Glas Weißwein.

      »Nee, natürlich nicht. Ist nur eine Kleinigkeit.« Marco druckste herum. Damit fiel er bei ihr schon wieder durchs Raster. »Ist auch nur, weil du doch momentan die Ostfriesland-Seiten machst. Da kam gerade eine Meldung aus Völlen rein, die muss noch zu morgen mit.«

      »Na und? Dann stell sie doch rein.« Sie ließ ihn zappeln. »Rechts auf der Zwei, die Meldungsspalte, da stehen unten die DRK-Termine. Schmeiß die raus und stell die Meldung oben drüber. Ist doch kein Ding. Morgen schreibe ich einen Nachdreher.« Ihre Zeitung, die Regionale Rundschau in der alten Residenzstadt Oldenburg, war gerade dabei, ihren Beritt in Richtung Küste auszudehnen, weil das Leeraner Blatt den jahrzehntealten Kooperationsvertrag gekündigt hatte. Das bedeutete Krieg, deshalb hatte sich Olivia auch gleich für die neue Position gemeldet. Freie Hand und Konkurrenzkampf, so etwas liebte sie.

      »Ja nee.« Ihr Kollege gab sich einen hörbaren Ruck. »Wir brauchen ein Foto, und von den freien Fotografen, die wir dort haben, hat keiner Zeit. Von uns hier in der Zentrale auch nicht.«

      »Wie, und jetzt soll ich extra in die Sümpfe fahren, bloß, um ein Foto zu knipsen? Wovon denn überhaupt?« Sie schaufelte sich Gemüse in den Mund, soviel nur hineinpasste. Das Zeug schmeckte wirklich gut. Außerdem war ihr Widerstand in Wahrheit längst gebrochen. Also schnell hin, schnell fertig, dann blieb vielleicht noch Zeit für das Studio. Oder für ihr Boot, dort musste sie auch mal wieder nach dem Rechten schauen.

      »Anschlag auf den Gedenkstein vor der Kirche«, sagte Marco.

      Olivia prustete Auberginenstücke auf ihren Teller. »Wie bitte? Hat jemand das Ding in die Luft gejagt? Das hättest du gleich sagen sollen.«

      »Nein, keine Bombe, aber ein Farbanschlag. Immerhin. Du weißt, das Ding ist sowieso brisant, seit die Sache mit diesem Johann Niemann aufgeflogen ist. Deswegen brauchen wir unbedingt ein Foto, die Fakten haben wir schon zusammen. Also, was ist? Nagelst du eben runter mit deinem Organspendermobil? Foto kannst du online schicken. Danach hast du frei.«

      »Natürlich online! Das sagst du doch bloß, damit ihr mir die Rückfahrt nicht als Arbeitszeit berechnen müsst.« Sie

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