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      Matthias Kluger

      (Nach einer Idee von

       Peer-Holger Stein)

       DRUG TRAIL

      Engelsdorfer Verlag

      Leipzig

      2021

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

       Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

      Copyright (2021) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte beim Autor

      Titelbild: Gemälde von Matthias Kluger (2014)

      Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

       www.engelsdorfer-verlag.de

      Exodus

      „Fuck!“

      Vor seinen weit aufgerissenen Augen begann sich der Raum samt Interieur zu drehen. Bedrohlich wölbte sich der Boden unter seinen Füßen nach vorn und erschwerte ihm so das Gehen und die Balance zu halten. Der braune Teppich schien über eine Felsklippe hinweg in die Tiefe zu stürzen.

      Er taumelte, stolperte zur Badezimmertür und krallte seine Finger in das Holz des Türrahmens, ohne zu bemerken, dass dabei zwei der erst kürzlich manikürten Fingernägel abbrachen.

      Sein Herz raste wie der Kolben einer Dampfmaschine und drängte das Blut in kurzen, heftigen Stößen durch das Adergeflecht hinauf in seinen Kopf. Schweißperlen traten auf seine Stirn, rannen ihm über das Gesicht und färbten den Kragen des weißen Hemdes dunkel.

      Während Tausende imaginäre Nadeln auf seine Kopfhaut einstachen, spürte er den aufsteigenden Schwindel. Sein Blickfeld verengte sich bis zur Größe eines Stecknadelkopfes – dann wurde es vollends schwarz um ihn herum. Es war eine beängstigende Finsternis, die sich über ihn senkte, und doch keine Bewusstlosigkeit. Als wäre er Teil einer in Zeitlupe abgespielten Filmsequenz, versagten schlagartig beide Knie ihren Dienst, er kippte vornüber und seine knapp neunzig Kilo knallten auf die kalten Fliesen des Badezimmers.

      Er röchelte leise und seine Hände fühlten die Kühle des Bodens, während anhaltend ein Dampfhammer auf die Windungen seines Gehirns einzuschlagen schien. Durst! Unbändiger Durst! Das maßlose Verlangen nach Flüssigkeit! Jedes Molekül seines Körpers schrie verzweifelt danach. Doch er war nicht fähig zu schreien. Vielmehr füllte seine angeschwollene Zunge die gesamte Mundhöhle aus und presste sich gefühllos gegen den ausgetrockneten Gaumen. Fortwährend pulsierte sein Herz – nein, es tobte wie verrückt und verursachte ein bebendes Inferno vom Haaransatz bis zu den Zehen. Im Versuch, kriechend den Waschtisch zu erreichen, mobilisierte er die letzten Kräfte. Zitternd gelang es ihm, sich aufzustützen. Noch immer umgab ihn ein Schleier wabernder, undurchdringlicher Schwärze. Direkt vor ihm, nur wenige Schritte entfernt, müsste sich das Waschbecken mit dem erlösenden Wasserhahn befinden. Seine Hand tastete wie die eines Blinden, als sich augenblicklich die Muskeln verkrampften und seinen ganzen Körper wie einen Zitteraal vibrieren ließen. Gleichzeitig schien eine kräftige imaginäre Faust seine Eingeweide zusammenzuquetschen, was ihn ungewollt dazu zwang, eine gekrümmte Haltung wie die eines Fötus einzunehmen. Übersäuerter Mageninhalt, der gallig durch die Speiseröhre nach oben quoll, tropfte zu beiden Seiten aus den Mundwinkeln. Als zerrte eine zweite, extrem starke Hand an seinen Haaren, riss er ruckartig den Kopf in den Nacken und übergab sich in einem Schwall. Sekunden später lag er mit dem Gesicht inmitten seines Erbrochenen. Speisereste verklebten Mund und Nasenlöcher, doch davon bekam er nichts mehr mit. Es war der Augenblick, an dem sich auch sein Herzmuskel das letzte Mal zusammenzog, um gleich darauf bleiern zu erschlaffen.

      Der Anruf

      „Phil? Phil, kannst du mich hören?“

      Robert presste das iPhone an sein kaltes Ohr und lauschte.

      „Shit, Phil, ich kann dich nicht verstehen. Bist du noch dran?“

      Nichts, außer einem Rauschen in der Leitung, durchbrochen von gelegentlichem Knacken.

      „Wenn du mich hörst, Phil, ich leg jetzt auf. Ruf mich gleich zurück, hörst du!“

      Robert war so auf das erfolglose Telefonat mit seinem Zwillingsbruder konzentriert, dass er einen Fuß auf die Straße setzte, ohne den Verkehr zu beachten. Das laute Hupen eines Kleinwagens riss ihn abrupt in die Realität zurück und ließ ihn mit einem Satz auf den Bürgersteig zurückspringen. Zur Entschuldigung hob er die linke Hand, während seine rechte das Handy in die Manteltasche steckte. Fröstelnd stülpte Robert den Kragen seines dunklen Mohair-Mantels nach oben und wandte sich zur Fußgängerampel rechts von ihm. Washington D.C. war in dicke Schneeflocken gehüllt, die sich zart wie Wattebäuschchen auf seinem blonden Kurzhaarschnitt und den Schultern des Mantels türmten. Inmitten geschäftigen Trubels gehetzter Stadtmenschen, die zwei Tage vor Weihnachten noch die letzten Geschenke für ihre Liebsten aufzutreiben versuchten, schlug Robert den Weg in Richtung Capitol ein. Er wich gerade einer entgegenkommenden älteren Dame mit enorm beladenen Einkaufstüten aus, als sein iPhone klingelte. Robert nestelte das vibrierende Gerät aus den Tiefen seiner Manteltasche und drückte es sich an die Ohrmuschel.

      „Endlich, Phil. Wo bist du?“

      „Im Treppenhaus vor meiner Wohnung. Sorry, ich musste vorhin auflegen. Irgendwelche Idioten sind bei mir eingebrochen und haben einen irrsinnigen Saustall hinterlassen. Zwei von der Streife besichtigen gerade das Chaos.“

      „Eingebrochen?“, fragte Robert, als hätte er das eben Gesagte nicht korrekt verstanden. „Fehlt irgendwas?“

      „Zirka 900 Euro, aber die Uhr, die mir Vater letztes Jahr geschenkt hat, haben sie liegen lassen.“

      „Fuck. Wie sind die reingekommen?“

      „Meine Haustür scheint ein Witz zu sein. Der Polizist meint, Profis knacken das Schloss in null Komma nix. Muss heute Nacht gewesen sein, als ich bei meiner Perle war.“

      „Perle? Welche Perle?“, hakte Robert nach.

      Philipp grinste ins Telefon. „Nix Ernstes.“

      „Und jetzt?“, wollte Robert wissen.

      „Na ja, der oder die hatten es nur aufs Bargeld abgesehen. Der von der Streife meint, dass es sich meist um Einzeltäter handelt. Nicht selten Junkies, die Kohle für Drogen brauchen. Hier in Berlin haben die Cops laufend damit zu tun und kommen kaum hinterher. Ist eine richtige Seuche. Der Polizist hat mir vorgerechnet, dass so ein Junkie im Durchschnitt hundert bis zweihundert Euro am Tag braucht. Das sind locker mal über fünfzigtausend im Jahr.“

      „Da muss ’ne alte Oma lange für stricken. Sonst ist aber alles okay, oder?“

      „Außer, dass es arschkalt ist und regnet“, entgegnete Philipp.

      „Bei uns schneit es“, brüllte Robert nun, da ein rumorender Truck auf seiner Höhe lautstark von einem Gang in den anderen schaltete. „Wann kommst du?“

      „Deswegen habe ich dir gestern schon aufs Band gesprochen. So wie es aussieht, wird das nichts über die Weihnachtstage. Mutter hat für die Feiertage ein volles Programm aufgelegt und die aktuelle Kampagne lässt mir kaum Luft zum Atmen. American-British-Tobacco hat den Relaunch vorgezogen und mein Boss ist kurz vorm Kollabieren.“

      „Shit, Alter. Hätte mich gefreut, dich über Weihnachten zu sehen. Was mach ich jetzt mit den beiden Hasen, die ich uns gebucht habe?“ Robert feixte in den Hörer.

      „Dir wird schon was Passendes einfallen, Bruderherz. Zur Not halte sie bis zum Frühjahr warm. Wie geht’s Vater?“

      „Wie soll’s Dad ein knappes Jahr vor der Präsidentschaftswahl schon gehen? Ich seh ihn mehr im Oval und im Kongress als zu Hause. Das Auftreiben von Spendengeldern kostet ihn Jahre seines Lebens. Aber er hat ja mich.“ Robert lachte

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