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Mithilfe ihn beinahe zum Mitverfasser machen. Auch vor meiner getreuen Assistentin Ingrid Oswald und vor allen ungenannten Helfern verneige ich mich in tiefer Dankbarkeit.

       Ostern 2021, Güelta de Areco, Azcuénaga, Argentinien

       Bruder David Steindl-Rast OSB

TEIL 1

      AUF DER SUCHE NACH EINEM GESAMTBILD

      Mein ganzes Leben lang wollte ich vor allem wissen, wie alles mit allem zusammenhängt. Was mich brennend interessiert, ist das Gesamtbild – die Frage nach dem äußersten Horizont, die Frage, worum es letztlich geht. Ist der Versuch, ein Gesamtbild mit weniger als hundert Schlüsselwörtern zu erreichen, ein allzu verwegenes Unterfangen? Jedenfalls scheint es mir der Mühe wert. Aufs Versuchen allein kommt ja alles an. Das Gelingen steht nicht in unsrer Hand.

      Der nächstliegende Einwand wird wohl dieser sein: Wie kannst du hoffen, die Orientierungskarte einer sich ständig ändernden Welt zu zeichnen? Karte ist aber ein zu statisches Bild für das, was wir darzustellen versuchen. Es geht wohl eher um ein Verständnis der Choreografie des Ganzen, dessen wichtigste Merkmale Bewegung und Veränderung sind. Wenn wir uns tief einfühlen, dann bemerken wir, dass zum Gesamtbild nicht nur verändernde Bewegung gehört, sondern auch ruhendes Bleiben. Beides muss unser Sinnbild der Wirklichkeit* ausdrücken können, Bewegung und Ruhe*. Da bietet sich das Bild eines Reigens an, der ohne Anfang und Ende in sich ruht, während er sich doch unaufhörlich bewegt.

      Wir tanzen nicht, um irgendwo anzukommen. Tanzen bezweckt nichts. Es ist zweckfrei, aber sinnvoll. Und doch zielen wir beim Tanzen auf etwas ab: Wir wollen der Musik den bestmöglichen Ausdruck verleihen und perfekt im Schritt sein, jetzt und jetzt und jetzt. Beim Tanz dreht sich alles um die Gelegenheit*, Augenblick* für Augenblick im Schritt zu sein mit denen, die uns am nächsten stehen im Kreis, und durch sie mit allen Tänzern in eine Wechselwirkung zu treten. Das Ziel ist, völlig eins zu werden mit Rhythmus“ und Harmonie des Tanzes. Tanz aber ist hier Sinnbild für Wandel und den Gang des ganzen Universums.

      Vergiss das Sinnbild des Reigentanzes nicht! Es sollte aufleuchten, sooft es um das Gesamtbild geht, und als Hintergrund dienen für alle Erwägungen, auf die wir uns in diesem Buch einlassen werden. Ringelreigen kennen zwar auch jetzt noch alle vom Kindergarten her, aber der Rundtanz für Erwachsene ist schon fast verlorengegangen. Es freut mich, dass junge Menschen heute diese Urform des Tanzens wiederentdecken.

      Kreis und Ring sind unerschöpfliche Sinnbilder für das kosmische Ganze – von den vorgeschichtlichen Steinkreisen bis zum Ensō in der japanischen Kalligraphie. Oft werden wir sehen, dass es Dichter sind, die uns besonders gut den tieferen Sinn von Wort und Bild erschließen können. Das gilt auch für den Reigentanz. Dabei ist es bedeutsam, dass wir als bloße Zuschauer das Wichtigste nicht sehen können. Von außerhalb des Kreises gesehen, muss es uns immer so erscheinen, als ob die uns Fernsten in die entgegengesetzte Richtung jener gehen, die uns am nächsten sind. Erst wenn wir selber in den Kreis eintreten, links und rechts unsre Partner bei den Händen fassen und mittanzen, wird uns klar, dass alle sich in der gleichen Richtung bewegen.

      Bei C. S. Lewis (1898–1963) bin ich zum ersten Mal auf das Bild des großen Tanzes gestoßen, den er auch das große Spiel nennt. In seinem Weltraumroman „Perelandra“ heißt es:

      Er hat vor allem Anfang begonnen … Der Tanz, den wir tanzen, ist die Mitte und um des Tanzes willen wurde alles erschaffen … Im Plan des großen Tanzes greifen Pläne ohne Zahl ineinander, und jede Figur führt zu ihrer Zeit zum Aufblühen des gesamten Entwurfs, auf den alles hinzielt … Alles Geschaffene erscheint dem verdunkelten Geist planlos, weil da mehr Pläne im Spiel sind, als er sich vorstellen kann … Fasse eine Bewegung ins Auge, und sie wird dich durch alle Figuren führen und dir als die Hauptfigur erscheinen. Und das Scheinbare wird wahr sein. Möge kein Mund widersprechen. Alles scheint planlos, weil alles Plan ist: Alles scheint ohne Mitte, weil überall Mitte ist.

      Der amerikanische Schriftsteller T. S. Eliot (1888–1965) spricht von dieser geheimnisvollen Mitte – vom Jetzt* – als „dem stillen Punkt der sich drehenden Welt“.

      Das Jetzt ist der Augenblick, in dem der Tänzer „ruht und immer noch in Bewegung“ ist, völlig im Schritt mit dem kosmischen Rhythmus. Es ist der Augenblick, in dem paradoxerweise der Pfeil unsrer Tanzbewegung sein Ziel erreicht, ohne anzuhalten in seinem Flug. An diesem „ruhenden Punkt, da ist der Tanz … Ohne den Punkt, den Ruhepunkt, gäbe es keinen Tanz, und es gibt nichts als den Tanz.“

      Die Worte des bekannten Kanons „Liebe ist ein Ring. Ein Ring hat kein Ende“ könnten gut von einem nachdenklichen Zuschauer bei einem Ringelreigen stammen. Der Dichter Robert Frost (1874–1963) fügt hinzu:

       Wir tanzen rätselnd rundum im Kreis;

      Das Geheimnis sitzt in der Mitte und weiß.

      Zusammengenommen weisen diese beiden kurzen Texte auf das Gleiche hin, was schon Dante (1265–1321) in seinem berühmten Vers angesprochen hat: „L’amor che move il sole e l’altre stelle – die Liebe, die alles bewegt“. Das zentrale Geheimnis des kosmischen Rundtanzes ist die Liebe*.

      DER ERSTE SCHRITT – ORIENTIERUNG

      Freunde erzählten mir von ihrem Zweijährigen: „Wenn er morgens aufwacht, muss er sich zuerst zurechtfinden, er sucht seine Orientierung. Wir hören ihn in seinem Kinderbett nebenan mit sich selber reden. Er orientiert sich, indem er die Dinge in seinem Zimmer eins nach dem andren beim Namen nennt und eine ganze Litanei neu erlernter Wörter laut wiederholt: ‚Decke, Lampe, Teddybär‘.“ Nicht nur als Kinder, sondern unser Leben lang verwenden wir Wörter, um unsren Weg durch das Labyrinth dieser verwirrenden Welt zu finden, um uns zu orientieren.

      Das Wort Orientierung kommt wie „Orient“ aus dem Lateinischen, wo „oriens“ auf den „Sonnenaufgang“, den „Osten“ hinweist. Wenn wir wissen, wo die Sonne aufgeht, können wir alle andren Himmelsrichtungen bestimmen und uns auf unser Ziel ausrichten. Manche Wörter können uns auf ähnliche Weise den Weg weisen. Sie strahlen auf wie Leuchtturmlichter und leiten uns verlässlich durch stürmische See. Solche leuchtenden Wörter können zu Schlüsselwörtern werden, die uns neue Erkenntnisse eröffnen. Wir müssen nur „der Sprache nachdenken“; lernen, wie man einem Pfad durch Wiesen nachgeht und sich dabei Blume um Blume an neuen Entdeckungen freut. „Der Sprache nachdenken“ ist ein Ausdruck, den der Philosoph Martin Heidegger (1889–1976) geprägt hat. Ich habe schon vor langer Zeit die Freude entdeckt, die diesem Nachdenken entspringt. Es lehrt uns, den Einsichten* große Aufmerksamkeit zu schenken, die unsre Vorfahren als Spuren ihres Denkens in der Sprache zurückgelassen und uns so vererbt haben. So wie wir versuchten ja auch sie, sich in der Welt und im Leben zurechtzufinden. Auch sie suchten nach verlässlichen Koordinaten für innere Ausrichtung und spirituelle Orientierung. Deshalb steckt in der Sprache, die sie uns hinterlassen haben, ein Schatz an wegweisender Weisheit*. Und weil Dichtung* die Sprache um ein Vielfaches verdichtet, enthüllen oft Gedichte diesen Schatz in seiner reinsten und strahlendsten Erscheinungsform.

      Bei der Suche nach Orientierung muss zweierlei zusammentreffen: unsre eigene Erfahrung und die Erfahrungen andrer, die in Karten und andren Orientierungshilfen niedergelegt sind. Sowohl ein Globus als auch eine Wanderkarte können uns bei der Orientierung helfen, solange wir lernen, klar zwischen ihnen zu unterscheiden und den Maßstab auszuwählen, der sich für

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