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war die Hölle.

      5

      „Guten Morgen, Dorothea”, begrüßte ich die Sekretärin unseres Chefs. Rudi und ich waren eigentlich ein paar Minuten zu früh, was allerdings nicht unser Verdienst war. Ich hatte Rudi, wie jeden Morgen an der bekannten Ecke abgeholt. Auf dem Weg bis zum Hauptpräsidium in Berlin gab es eigentlich immer irgendwelche verkehrsbedingten Überraschungen und so tat man gut daran, einen gewissen Zeitpuffer mit einzuplanen. Aber an diesem Morgen war ausnahmsweise mal wirklich alles glattgelaufen. Keine Baustellen, kein Stau und kein Unfall. Diesen Tag musste man sich wohl rot im Kalender anstreichen und vor allem gut in Erinnerung behalten. Denn sehr oft kam das nicht vor.

      „Schön, dass Sie etwas eher da sind”, sagte Dorothea Schneidermann. „Sie können gleich weiter ins Büro von Kriminaldirektor Hoch gehen.”

      „Da hatte ich mich schon so auf einen kleinen Plausch mit Ihnen gefreut - und Sie schicken mich gleich weiter”, meinte ich gut gelaunt.

      Dorothea Schneidermann lächelte verhalten.

      „Sie kennen den Chef doch - selbst wenn Sie zu früh sind, ist das für ihn gerade pünktlich.”

      „Vielleicht verraten Sie uns schon mal, wo es hingeht”, meinte Rudi. „Nur für den Fall, dass Sie schon Hotels gebucht haben sollten.”

      „Rostock, Ostsee”, sagte Dorothea.

      Und damit war auch schon klar, um welchen Fall es ging.

      Die Anschläge auf die Polizeidienststellen im Norden hatten natürlich in den Medien großes Aufsehen erregt. Spekulationen über einen terroristischen Hintergrund kursierten und angebliche Experten äußerten sich reihenweise in den Medien. Es war anzunehmen, dass keiner dieser Experten mehr wusste, als die Ermittlungsbehörden bisher herausbekommen hatten. Aber das hinderte sie keineswegs daran, so zu tun, als verfügten sie über einen höheren Wissensstand.

      Wenige Augenblicke später traten wir in das Büro von Kriminaldirektor Hoch, unserem Chef beim BKA in Berlin.

      „Guten Morgen. Schön, dass Sie da sind”, sagte Kriminaldirektor Hoch, während bereits ein Telefon klingelte. Kriminaldirektor Hoch bedeutete uns mit einer Geste uns zu setzen. Dann nahm er den Hörer ab. „Jetzt nicht”, sagte er nur. „Rufen Sie in einer halben Stunde wieder an! Danach habe ich Zeit für Sie.” Kriminaldirektor Hoch legte auf und wandte sich uns zu. „Sie haben sicher schon mitbekommen, dass es im Moment an mehreren Stellen zugleich brennt”, erklärte unser Chef mit ernstem Gesicht, während er sich seine Hemdsärmel hochkrempelte und die Hände anschließend in den tiefen Taschen seiner weiten Flanellhose verschwinden ließ. „Von Anschlägen auf mehrere Polizeigebäude in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein werden Sie gehört haben. So viel kann ich Ihnen sagen: Das ist jetzt unser Fall, nachdem erste Ermittlungen davon ausgehen, dass es sehr wahrscheinlich nicht um das Werk von terroristischen Gruppen aus dem Ausland handelt.”

      „Wie kann man das so schnell ausschließen?”, konnte ich mir eine Nachfrage nicht verkneifen.

      „Ausschließen ist zu viel gesagt”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Aber erste Erkenntnisse über den verwendeten Sprengstoff und die Art der Zündung legen den Schluss nahe, dass dieser Fall mit einem anderen in Zusammenhang steht.”

      „Meinen Sie die Proteste und darauffolgende Erstürmung des Regierungsgebäudes durch Anhänger dieser christlich-fundamentalistischen Sekte, die sich Königreich der letzten Tage nennt?”, fragte Rudi.

      Kriminaldirektor Hoch war im ersten Moment überrascht. Er hob die Augenbrauen. „Sie haben ins Schwarze getroffen, Rudi. Wie sind Sie drauf gekommen?”

      „Es gab keine anderen bedeutenden Operationen in letzter Zeit”, sagte Rudi. „Ich verfolge die Neuigkeiten, die in unserem Datenverbundsystem zu finden sind und weil sonst ziemlich selten irgendetwas Derartiges passiert, ist mir dieser Fall aufgefallen.”

      „Normalerweise sind christlich-fundamentalistishe Sekten ja eher pazifistisch eingestellt”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Bei dieser Gruppierung ist das offenbar anders. Es geht um einen oder mehrere Täter, die hochprofessionell arbeiten, aber möglicherweise noch weitere Anschläge plant.”

      „Vielleicht weihst du mich bei Gelegenheit mal in diesen Fall ein”, meinte ich an Rudi gerichtet.

      Von dem ,Königreich der letzten Tage‘ hatte ich natürlich auch schon gehört. Es handelte sich um eine christlich-fundamentalistische Sekte, die keinerlei staatliche Autoritäten akzeptierte, ähnlich wie die sogenannten Reichsbürger. Sie rechneten sehr bald mit der Wiederkunft Christi und dem Ende aller Tage. Königreich der letzten Tage - so nannten sie ihre Kirche. Oder besser gesagt: ihren Staat. Sie erkannten nämlich die Autorität Deutschlands oder eines Staates nicht an. Deswegen lebten sie meistens auf abgelegenen Anwesen und großen Bauernhöfen, die sie als exterritoriales Gelände betrachteten. Aus dem rechtsradikalen Milieu war so so etwas bekannt. Aus dem christlich-fundamentalistischen und esoterisch-apokalyptisch angehauchten Sekten-Milieu war es eine neue Erscheinung.

      „Soweit ich weiß, ist der Umgang für staatliche Stellen nicht besonders leicht mit dieser Gruppe”, meinte Rudi.

      „Das Königreich der letzten Tage verfügt über enorme Geldmittel, die nur zum Teil aus den überschriebenen Vermögen und Erbschaften ihrer Mitglieder stammen”, fuhr Kriminaldirektor Hoch fort. „Die Sekte finanziert sich sehr wahrscheinlich überwiegend durch ihre Beteiligung am Drogenhandel. Und genau deswegen wurde ihr Zentrum in Rostock vor einiger Zeit gestürmt. Es kam zu heftigen Schusswechseln sowie mehreren Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Jetzt müssen sich die überlebenden Mitglieder deshalb vor einem Gericht verantworten.”

      „Wollen vielleicht noch in Freiheit befindliche Mitglieder des Königreichs der letzten Tage die inhaftierten Sektenangehörigen durch Terroranschläge freipressen?”, fragte Rudi. „Viel Sinn macht so ein Vorgehen nicht.”

      „Aus ihrer Sicht führt das Königreich der letzten Tage einen Krieg gegen die gottlos gewordene Bundesrepublik Deutschland”, erläuterte der Herr Hoch. Er aktivierte einen Großbildschirm. Wenig später erschien darauf ein BKA-Dossier. „Eine dieser Personen, die sich auch nach der Erstürmung der Sektenzentrale noch in Freiheit befinden, ist dieser Mann. Er heißt Christian Timmer, war Sprengstoffspezialist bei der Bundeswehr. Nach traumatischen Erlebnissen in Afghanistan konvertierte er zum glauben der Sekte. Er ist wegen verschiedener Vergehen aus der Bundeswehr entlassen worden. Später arbeitete er unter anderem wieder als Sprengstoffexperte im Bergbau. Ihm wird die Beteiligung an mehreren Anschlägen auf staatliche Einrichtungen zur Last gelegt. Außerdem starb ein Mann, der aus der Sekte aussteigen und mit den Behörden zusammenarbeiten wollte, kurz vorher durch eine Autobombe.”

      „Die Kollegen denken, dass Christian Timmer den Krieg des Königreichs der letzten Tage im Alleingang fortsetzt?”, vermutete ich.

      „Das ist keine Vermutung”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Timmer hat das über das Internet offen angedroht. Und da bei den Anschlägen in Rostock, Lübeck und Neubrandenburg sowie in Potsdam ein Sprengstoff verwendet wurde, mit dem sich Timmer hervorragend durch seine bisherigen Tätigkeiten auskennt.“

      „Ein verblendeter Hassverbrecher!”, meinte Rudi. „Dürfte nicht leicht sein, ihn zu fassen, zumal wenn er wenig Rücksicht auf seine eigene Sicherheit nimmt.”

      „Abgesehen

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