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die Wahrheit nicht erreichen; es kann nur ein konstruiertes Gebilde errichten oder eine Kombination von Gebilden, die diese darzustellen versucht. Europäisches Denken mündet daher immer im erklärten oder stillschweigenden Agnostizismus. Der Intellekt, der voller Wahrhaftigkeit an seiner eigenen Grenze angelangt ist, muss umkehren und bekennen: „Ich vermag nicht zu wissen; es gibt Etwas jenseits oder scheint es zumindest zu geben, es muss es sogar geben, eine höchste Wirklichkeit, doch über ihre Wahrheit kann ich nur Mutmaßungen anstellen; sie ist entweder unerkennbar oder kann von mir nicht erkannt werden“. Oder wenn dieser Intellekt auf seiner Suche aus diesem jenseitigen Bereich ein Licht empfing, kann er auch sagen: „Es gibt vielleicht ein Bewusstsein jenseits des Mentals, denn ich scheine es flüchtig erspürt und sogar Zeichen von ihm erhalten zu haben. Wenn dieses Bewusstsein sich in Kontakt mit dem Jenseits befindet oder wenn es gar selbst das Bewusstsein dieses Jenseits ist und du einen Weg zu seiner Erlangung finden kannst, nur dann und nicht anders kann dieses Etwas erkannt werden“.

      Alles Suchen der höchsten Wahrheit allein mit Hilfe des Intellektes muss entweder in Agnostizismus dieser Art enden oder aber in einem intellektuellen System oder einer vom Mental errichteten Formel. Es gibt Hunderte dieser Systeme und Formeln, und wenn es noch Hunderte mehr gäbe, würde immer noch keines endgültig sein. Jedes mag für das Mental wertvoll sein, und verschiedene Systeme mit ihren einander widersprechenden Schlussfolgerungen können verschiedene Intellekte von gleicher Fähigkeit und Kompetenz gleichermaßen ansprechen. All diese mühsame Arbeit der Spekulation hat ihren Wert, da sie das menschliche Mental schult und ihm hilft, die Vorstellung eines Etwas jenseits von ihm und eines Höchsten, dem es sich zuwenden muss, aufrechtzuerhalten. Doch der intellektuelle Verstand kann nur unbestimmt darauf hinweisen oder es tastend erspüren oder versuchen, Teilaspekte und sogar einander widersprechende Aspekte seiner Manifestation hier aufzuzeigen; er vermag nicht, in es einzutreten und es zu erkennen. Solange wir allein im Bereich des Verstandes bleiben, können wir lediglich unvoreingenommen über all das, was bereits gedacht und gesucht wurde, nachdenken und fortwährend neue Ideen hervorbringen, alle erdenklichen Ideen, und uns diese oder jene philosophische Ansicht, Meinung oder Schlussfolgerung bilden. Diese Art unvoreingenommener Suche nach der Wahrheit wäre die einzig mögliche Haltung eines weiten, plastischen Intellektes. Doch jede Schlussfolgerung, zu der man auf diese Weise gelangte, wäre nur eine mutmaßliche; sie hätte keinen spirituellen Wert; sie würde nicht die entscheidende Erfahrung oder spirituelle Gewissheit bringen, nach der die Seele sucht. Wenn der Intellekt unser höchstmögliches Instrument ist und es kein anderes Mittel gibt, um die überphysische Wahrheit zu erlangen, dann ist die beste Einstellung ein weiser und weiter Agnostizismus. Die Dinge der Schöpfung können bis zu einem gewissen Grad erkannt werden, doch der Höchste und alles, was sich jenseits des Mentals befindet, müssen dann für immer unerkannt bleiben.

      Allein wenn es ein größeres Bewusstsein jenseits des Mentals gibt und jenes Bewusstsein uns zugänglich ist, können wir jene höchste Wirklichkeit erkennen und in sie eintreten. Intellektuelle Spekulation, logisches Schlussfolgern, ob es solch größeres Bewusstsein gibt oder nicht, bringen uns nicht sehr weit. Was wir brauchen, ist ein Weg, um zu seiner Erfahrung zu gelangen, um es zu erreichen, in es einzutreten, in ihm zu leben. Wenn uns dies gelingt, muss die intellektuelle Spekulation und Argumentation notwendigerweise auf einen durchaus zweiten Platz zurücktreten und sogar ihre Daseinsberechtigung verlieren. Philosophie und die intellektuelle Formulierung der Wahrheit können zwar bestehen bleiben, doch hauptsächlich deshalb, um diese größere Entdeckung und was von ihrem Inhalt in mentalen Begriffen darstellbar ist für jene auszudrücken, die noch im mentalen Verstand leben.

      Du wirst erkennen, dass dies deine Frage über die westlichen Denker weitgehend beantwortet, über Bradley und andere, die auf dem intellektuellen Weg zu jener Vorstellung eines „Anderen, jenseits des Denkens“ gelangt sind oder die sogar, wie Bradley, versucht haben, ihre Schlussfolgerungen darüber in Begriffen auszudrücken, die an Formulierungen im „Arya“ erinnern. Diese Vorstellung ist an sich nicht neu, sie ist so alt wie der Veda selbst. Es gab sie in anderer Form im Buddhismus, im christlichen Gnostizismus, im Sufismus. Ursprünglich wurde sie nicht durch die intellektuelle Spekulation entdeckt, sondern durch Mystiker, die einer inneren spirituellen Disziplin folgten. Als zwischen dem siebten und fünften Jahrhundert v. Chr. die Menschen sowohl im Osten als auch im Westen das Wissen zu intellektualisieren begannen, blieb diese Wahrheit im Osten erhalten; im Westen, wo der Intellekt allmählich als das einzige oder höchste Instrument zur Entdeckung der Wahrheit anerkannt wurde, begann diese Vorstellung zu verblassen; die Neo-Platoniker entdeckten sie aufs neue, und nun scheinen die Neo-Hegelianer und andere (zum Beispiel der Russe Ouspensky und, ich glaube, ein oder zwei deutsche Denker) danach zu suchen. Und dennoch ist ein Unterschied vorhanden.

      Nicht nur im Westen, auch im Osten, besonders in Indien versuchten metaphysische Denker, die Natur der höchsten Wahrheit mit Hilfe des Intellektes zu bestimmen. Doch erstens räumten sie dem mentalen Denken als Instrument bei der Entdeckung der Wahrheit nicht die höchste Stufe ein, sondern behandelten es zweitrangig. Der vorderste Platz gehörte hier immer der spirituellen Intuition und Erleuchtung, der spirituellen Erfahrung; eine intellektuelle Schlussfolgerung, die dieser höchsten Maßgeblichkeit widersprach, wurde nicht anerkannt. Zweitens, jede Philosophie versah sich mit einem praktischen Weg, um das höchste Stadium des Bewusstseins zu erreichen, so dass das Ziel, selbst wenn man mit dem Denken begann, darin bestand, zu einem Bewusstsein jenseits des mentalen Denkens zu gelangen. Jeder Gründer einer Philosophie – oder jene, die sein Werk oder seine Schule fortsetzten – war gleichzeitig ein metaphysischer Denker und Yogi. Die rein philosophischen Intellektuellen wurden ob ihrer Gelehrsamkeit respektiert, doch nahmen sie nie den Rang von Wahrheits-Entdeckern ein. Und jene Philosophien, denen eine genügend machtvolle Methode spiritueller Erfahrung fehlte, starben aus und gehörten der Vergangenheit an, da sie für spirituelle Entdeckung und Verwirklichung nicht brauchbar waren.

      Im Westen geschah genau das Gegenteil. Der Gedanke, der Intellekt, der logische Verstand wurden mehr und mehr als die höchsten Mittel betrachtet und sogar als höchstes Ziel; in der Philosophie ist das Denken der Anfang und das Ende. Die Wahrheit muss hier durch intellektuelles Forschen – und die Spekulation entdeckt werden; sogar die spirituelle Erfahrung wird aufgerufen, sich den Prüfungen des Intellektes zu unterziehen, wenn sie als gültig angesehen werden will – also praktisch das Gegenteil der indischen Einstellung. Selbst diejenigen, die erkennen, dass mentales Denken zurückgelassen werden muss, und ein supramentales „Anderes“ anerkennen, scheinen zu meinen, dass mit Hilfe von mentalem Denken, das sich sublimiert und wandelt, diese andere Wahrheit zu erreichen sei und an Stelle der mentalen Begrenzung und Unkenntnis treten muss. Und dennoch, westliches Denken ist nicht mehr dynamisch, es hat eine Theorie der Dinge und nicht die Verwirklichung gesucht. Bei den alten Griechen war es noch dynamisch, doch eher mit einem moralischen und ästhetischen als einem spirituellen Ziel. Späterhin wurde es umso mehr rein intellektuell und akademisch; es wurde zu einer intellektuellen Spekulation, doch ohne jeden praktischen Weg und praktische Methoden, die Wahrheit mit Hilfe spiritueller Erfahrung, spiritueller Entdeckung und spiritueller Umwandlung zu erreichen. Gäbe es diesen Unterschied nicht, dann bestünde für Suchende, wie du selbst einer bist, kein Grund, sich dem Osten zur Unterweisung anzuvertrauen; denn im rein intellektuellen Bereich sind die westlichen Denker so maßgebend wie jeder östliche Weise. Was in der Überintellektualität des Mentals in Europa verloren ging, ist der spirituelle Pfad, der Weg, der über den Intellekt hinausführt, der Übergang vom äußeren Wesen zum innersten Selbst.

      In den Auszügen von Bradley und Joachim, die du mir schicktest, ist es immer noch das intellektuelle Denken über das, was sich jenseits von ihm befindet, und das zu einer intellektuellen, einer vernunftmäßigen, spekulativen Schlussfolgerung daraus gelangt. Es besitzt nicht die Dynamik für die Veränderung, die es zu beschreiben sucht. Wenn diese Autoren eine Verwirklichung in mentalen Ausdrücken beschreiben würden, selbst eine mentale Verwirklichung, eine intuitive Erfahrung jenes „Anderen, jenseits des Denkens“, könnte man in die Nähe der gleichen Erfahrung gelangen, sofern man bereit wäre, sie durch den Schleier ihrer Sprache zu spüren. Oder man könnte sich, ihren Überlegungen folgend, für den gleichen Übergang bereitmachen, wenn sie nach Erreichen der verstandesmäßigen Folgerungen – auf der Suche nach dem Weg oder einem bereits gefundenen folgend – zur spirituellen Verwirklichung fortgeschritten wären. Doch nichts dieser Art ist in all dem schwerfälligen

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