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11. September 2001. 100 Seiten. Philipp Gassert
Читать онлайн.Название 11. September 2001. 100 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783159618647
Автор произведения Philipp Gassert
Жанр Документальная литература
Серия Reclam 100 Seiten
Издательство Bookwire
Zum Ursachenkomplex gehört zwingend die Entfesselung der amerikanischen Macht seitdem ihr Gegenspieler im Untergang des Ostblocks und der UdSSR 1990/91 weggebrochen ist. Ohne den »unipolaren Moment« der Jahrtausendwende und die darauffolgende nationalistische Hybris des konservativen Establishments der USA wäre aus dem 11. September kein 9/11 geworden. Die USA sind schlicht in der Lage, auf Terror nicht allein mit herkömmlichen Mitteln der Strafverfolgung und der Geheimdienstarbeit im Rahmen internationaler Kooperation reagieren zu müssen. Sie können Kriege gegen indirekt beteiligte oder unbeteiligte Länder entfachen, weil niemand sie daran hindern kann. Dabei wurde der Krieg im Irak auch aus der Furcht geführt, Amerikas globale Hegemonie sei langfristig bedroht. Dies wiederum leitet zu den recht banalen innenpolitischen Voraussetzungen über: Bush und seine Mannschaft sahen die historische Chance, Militarismus elektoral umzumünzen, im Interesse einer dauerhaften Hegemonie der Republikaner im Kongress. In einem zerrissenen Land, so das Kalkül, integriert eine erfolgreiche Kriegspolitik, zahlt sich wahltaktisch aus. Bush surfte erfolgreich auf der mächtigen nationalistischen Welle selbstgerechter Empörung über das amerikanische »Heldenopfer« von 9/11. Im November 2004 wurde er mühelos wiedergewählt.
Die Ursachen
Amerika und Saudi-Arabien: Bündnis der Kontraste
Am 14. Februar 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, spielte sich auf dem Großen Bittersee im Suezkanal die Urszene des Aufstiegs der USA zur Hegemonialmacht im Nahen und Mittleren Osten ab. Auf dem Zerstörer USS Quincy trafen, zum ersten Mal überhaupt, die Staatsoberhäupter Amerikas und Saudi-Arabiens zusammen: Franklin D. Roosevelt, der seinem Land im Sieg über Japan und Deutschland den Weg zur Supermacht gebahnt hatte, und König Abdul-Aziz Ibn Saud, der kriegerische Begründer Saudi-Arabiens. Beide Männer verstanden sich auf Anhieb prächtig. Roosevelt schenkte dem König einen seiner Rollstühle sowie ein Flugzeug. Dieser revanchierte sich mit einem juwelenbesetzten Dolch, Perlenketten, golddurchwebten Gewändern. Sie seien »wie Zwillinge«, so der König: gleichaltrig, Staatschefs in schweren Krisen und Kriegen, beide im Herzen Farmer, beide körperbehindert.
Das Tête-à-Tête auf dem Kriegsschiff stand am Anfang einer großartigen Freundschaft zwischen dem Hause al-Saud und den starken Männern im Weißen Haus. Es wurde eine jahrzehntelange Partnerschaft denkbar ungleicher Akteure: Einerseits die absolute Monarchie der Saudis, die sich als Hüterin der heiligsten Stätten der Muslime versteht und mit dem Wahhabismus eine extrem konservative und puritanische Variante des Islam pflegt; andererseits die älteste und mächtigste Demokratie der Welt, zu deren Markenkern Ideen von Freiheit, Gleichheit und die Jagd nach dem Glück im Konsum gehören. Die liberal-demokratische Ordnung der USA läuft trotz christlich-paternalistischer Prägungen und der Erfahrungen von Sklaverei und Rassismus auf die Zerstörung traditioneller Bindungen hinaus – ebnet Unterschiede zwischen Kulturen, Religionen, Herkünften, Geschlechtern ein. Nichts steht konservativ islamischen (und christlichen) Moral- und Ordnungsmodellen ferner.
Präsident Franklin D. Roosevelt und König Abdul-Aziz Ibn Saud (v. r.) am 14. Februar 1945 an Bord der USS Quincy
Dass derartige Kontraste sich anzogen, hatte handfeste wirtschaftliche und geopolitische Gründe: Öl, Kalter Krieg und Antikommunismus schweißten Saudis und Amerikaner zusammen. Öl war in der arabischen Wüste erst spät entdeckt worden und lange unbedeutend geblieben. Doch seit 1943 rückte der Rohstoff ins Zentrum des US-Kalküls. Arabien würde Amerikas Energieversorgung auch dann noch sicherstellen können, wenn die US-Reserven wie prognostiziert schwänden. Aus saudischer Sicht wiederum galten die USA als antikoloniale Macht und Gegengewicht zu den europäischen Imperien. 1950 kam ein lukratives Abkommen unter Dach und Fach. Die Ölprofite würden fifty-fifty zwischen den Saudis und der von US-Konzernen begründeten Arabian American Oil Company geteilt. Die heute ganz in saudischer Hand liegende ARAMCO wurde zum Vehikel einer profitablen Modernisierung Saudi-Arabiens und zugleich strategischer US-Interessen.
Im gemeinsamen Interesse war auch die Eindämmung tatsächlicher oder vermeintlicher sowjetischer Expansionsgelüste im Kalten Krieg. Hierfür schlossen beide Seiten immer wieder Kompromisse: Zwar widerstand Ibn Saud Roosevelts Drängen auf Unterstützung für ein jüdisches Land in Palästina. Auch Saudi-Arabien erklärte Israel 1948 den Krieg, beließ es jedoch bei eher symbolischen Kriegshandlungen; es gehörte auch künftig nicht zu den Scharfmachern gegenüber dem jüdischen Staat. Hierfür war das Bündnis mit den USA zu wichtig. Der »große Satan«, wie Islamisten die USA später nannten, wurde ins Land geholt, um gefährlichere Feinde fernzuhalten und Saudi-Arabien technisch zu entwickeln. Umgekehrt hatten US-Administrationen immer wieder Mühe, den Schulterschluss mit dem saudischen Patriarchat vor der Öffentlichkeit und dem Kongress zu rechtfertigen.
Wo es um Geld und Sicherheit geht, hat die Moral oft einen schweren Stand: 1951 wurde ein Verteidigungsabkommen abgeschlossen, das den Amerikanern Stützpunkte überließ, das saudische Militär hochrüstete und Offiziere wie Zivilisten zum Studium in die USA schickte. Saudi-Arabien wurde zum antisowjetischen Bollwerk ausgebaut, wobei sich die amerikanische Hegemonialmacht gleichzeitig auf Bündnisse mit Israel und Iran stützte. Nachdem der historische Rivale jenseits des Persischen Golfs mit der Iranischen Revolution 1979 als Verbündeter der USA weggebrochen war, stärkte dies die saudische Position. Auch dank des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan 1979 waren die Saudis zurück im Geschäft: Denn Afghanistan, dieser »Friedhof der Großmächte«, wurde zum Exerzierfeld islamistischer, von den Saudis unterstützter Milizen. Osama Bin Laden verdiente sich dort seine Sporen.
Die Herausforderung der islamischen Welt durch die Moderne
Viele Araber litten unter der Erinnerung an einstige Größe. Zunächst hatten ihnen die Osmanen das Kalifat entwendet. Dann hatten Europäer seit dem 19. Jahrhundert arabische Länder direkter oder, wie im Falle Ägyptens, auch indirekter Kontrolle unterworfen. Die einstige »Mitte der Welt« (Tamim Ansary) wurde an den Rand eines nun eurozentrischen Weltsystems gedrückt, wobei der Nahe Osten überwiegend erst nach dem Versailler Vertrag 1919 und auch nur halbherzig kolonisiert wurde. Europas unleugbare Stärke rief Reformer auf den Plan. Signifikante Teile der arabischen Eliten, insbesondere in Ägypten, Palästina und Syrien, orientierten sich an westlichen Modellen, schlossen sich habituell der Moderne an: Sie lernten Französisch oder Englisch, kleideten sich westlich; wer es sich leisten konnte, machte Urlaub an der Riviera und schickte seine Kinder auf europäische Schulen und Universitäten.
Schon in den 1930er Jahren lebten, so Albert Hourani in seiner monumentalen Geschichte der arabischen Völker, große Teile der städtischen Bevölkerung nicht mehr im Rahmen der überlieferten islamischen Rechtsgrundsätze der Scharia. Vielmehr hatten arabische Reformer wie europäische Kolonisatoren duale Rechtssysteme etabliert, wonach Straf- und Zivilrecht westlichen Mustern folgten und die Scharia auf persönliche Angelegenheiten beschränkt wurde. Dadurch öffnete sich eine Schere zwischen Stadt und Land, wo die Scharia weiter durchgesetzt wurde. Bezeichnende Ausnahme war das nach dem Ende des Osmanischen Reichs unabhängig gewordene Saudi-Arabien. Es behielt die Einheit von religiösem und staatlichem Gesetz bei, der Wahhabismus wurde Staatsreligion. Dank seines Ölreichtums machte Saudi-Arabien dem immer chaotischer wirkenden Ägypten den Rang streitig. Auch sorgten die Saudis für die missionarische Ausbreitung ihrer erzkonservativen Lesart des Korans in alle Welt.
Zuvor hatte der Erste Weltkrieg für viele westlich orientierte arabische Intellektuelle, Politiker und religiöse Führer mit einer bitteren Enttäuschung geendet. Die mit den Arabern verbündeten Briten bedienten sich entgegen früheren