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Tony Edwards und John Coletta von seinem alten Traum vorgeschwärmt hat, nach dem Vorbild von Dave Brubecks Albumprojekt Brubeck Plays Bernstein Plays Brubeck Rock und Orchestermusik zu „verschmelzen“ – jenem Traum, dessen Umsetzung in tönende Wirklichkeit ihm zu Artwoods-Zeiten von den biederen Holzköpfen bei der Plattenfirma Decca verwehrt wurde. Ihm, sagt er, gehe es nicht darum, Popmusik mit einer Armada von Streichern aufzuplustern, wie das die Labelkollegen Barclay James Harvest gerüchteweise planen, noch will er, wie The Nice, klassische Vorlagen „verrocken“ oder, wie The Move, dem Rock-’n’-Roll-Kontext mit Geschwadern von Geigen Gewalt antun – noch, wie das Jimi Hendrix im November 1968 in der New Yorker Philharmonic Hall unter dem Motto ­„Baroque and Roll“ unternommen hat, einen nivellierenden „Dialog“ eröffnen. Lord beabsichtigt, selbst als Komponist zu reüssieren. Tony Edwards fragt unverfänglich, wie lange es denn dauern würde, ein solches Klassikwerk zu erstellen. Jon Lord antwortet nicht weniger unverfänglich und ohne seriöse Berechnungen anzustellen: So um die neun Monate, nehme er an. Dann solle er doch mal munter loskomponieren, lacht der Manager.

      „Ein paar Monate später“, berichtet Jon Lord, „fragte er: ‚Meinst du das eigentlich ernst mit dem Concerto für Band und Orchester?‘ Ich sagte: ‚Ja, ich arbeite dran.‘ – ‚Nun, dann arbeitest du besser hart, denn ich habe für den 24. September die Royal Albert Hall gemietet.‘“ Und das Royal Philharmonic Orchestra gebucht, was Edwards nicht gleich im selben Atemzug sagen mochte, um keinen Herzinfarkt zu riskieren. Und wir leisten uns an dieser Stelle einen kleinen Exkurs, um zumindest anzudeuten, wie das, was folgen wird, überhaupt möglich ist.

      Intermezzo: Das schlimmste Rockjahr der Welt

      Wenn man das von Musikschreibern gern gespielte Spiel mit den Popgenerationen mitmacht, dann hat, wer Mitte bis Ende der fünfziger Jahre geboren ist, Pech gehabt: zu jung für die Beatles, zu alt für Glam und Punk. Und wer in dem unheiligen Jahr, in dem sich einer der Autoren dieses Buchs an seinem zweiten Schultag von der Religionslehrerin fragen lassen mußte, ob „die Beatles jetzt schon in der ersten Klasse sind“, weil sich seine Haarspitzen zaghaft über die Ohrlinie wagten – wer da erstmals regelmäßig pubertäre Schübe verspürt, die den Besuch von Rockkonzerten dringlich erscheinen lassen, der hat doppelt Pech. Die Rockgeschichte hat viele schreckliche, öde, finstere und fade Jahre erlebt, aber selten ein solches wie 1969.

      In London zum Beispiel. Da ist der Psychedelic-Chic inzwischen musikalisch weitgehend verweht respektive modisch dazu degeneriert, daß, wer zufällig eine gestorbene Großtante hat, ihre Pelz- und Rüschen­hinterlassenschaften ohne Rücksicht auf Mottennester durch die Gegend trägt und das zwar nicht schön und cool, aber zumindest „angesagt“ findet – und eine passende Ergänzung zum tobenden British-Blues-Revival, das ungeahnte Kreaturen auf die Bühnen spült und in der entscheidenden Frage kulminiert: Can white men sing the blues? Oder, wie die Bonzo Dog Doo-Dah Band mit zeittypischer „Ironie“ formuliert: „Can blue men sing the whites?“ Die Antwort ist nein, ein röhrendes, jaulendes, jodelndes, bis zur Unerträglichkeit und nicht selten absichtlich verzerrtes Nein, das für ein paar Monate aus Schulturnhallen und Kellern schallt. Da jammert Victor Brox von der Aynsley Dunbar Retaliation zu gröbstem Gitarrenunfug durch seinen Rauschebart, wie er heute morgen aufgewacht sei und sich neben seinem toten Hund im Mississippidelta wiedergefunden habe. Da nudeln Juicy Lucy stundenlange Quäksoli in mortifizierte Biertrinkerhorden, quälen sich Sam Apple Pie durch ein klägliches Nichts in Sachen Können und Ausdruck, wursteln die Blossom Toes mit schmerzverzerrten Gesichtern jenseits jeder Harmonie, hockt bei einer „Topband“ namens Aardvark (Erd­ferkel) ein Mann mit einem überdimensionalen Teebeutel auf dem Kopf im Stroboskoplicht an einer verstimmten Orgelruine und überbietet seine Spießgesellen im Erzeugen kakophonischer Ungeheuerlichkeiten.

      Das bedauernswerte Publikum solcher Entmenschungsveranstaltungen hat sich einen passenden Verhaltenskodex antrainiert: Man betrachtet seine Schuhe, robbt auf allen vieren über den Hallenboden, wenn mal wieder ein streng riechender Zeitgenosse in der Nähe einen „schlechten Trip“ hat und unter Verschüttung von Bier und Magen­inhalt Hilfe aus imaginären Sphären erfleht. Man klatscht nie, zumindest nicht bei den Vorgruppen, die gern mit dem Zusatz „& friends“ angekündigt werden, denn sonst könnte man riskieren, daß zum Beispiel die irischen Schreckensgestalten von Hard Meat zurück auf die Bühne kommen und noch mal eine Viertelstunde lang zeigen, wozu sie „fähig“ sind. Man äußert niemals laut, wie glücklich man sich schätzt, mal wieder eines der „free concerts“ der Pink Fairies (mit Jon Lords ehemaligem Mitstreiter Twink) oder der Edgar Broughton Group verpaßt zu haben, die regelmäßig bei Festivals am Rand des Geländes ihre Anlage aufbauen und „für das Volk“ spielen, weil sich die Veranstalter regelmäßig weigern, solchen Krach ins Programm aufzunehmen und dafür auch noch Gage zu bezahlen. Oder wenn man mangels Krawatte nicht reingelassen wird in eine der nach Kohlrouladen, Schweiß und saurem Bier stinkenden Lokalitäten, wo Zelebritäten wie Blonde on Blonde und Joe Jammer (den „Nachnamen“ bitte englisch aussprechen!) ihr Publikum beackern. Man hält sich höflich still, lächelt zuvorkommend, wenn man von den Hell’s Angels, die sich zu Rockveranstal­tungen einfinden, um sich mal wieder zu treffen, kostenlos Bier zu trinken und abwesende Autoritäten zu verachten, zur Herausgabe von Getränk und Zigaretten aufgefordert wird, und erträgt, was ertragen werden muß. Man steht selbst das kreischende Geigengekratze von Dave Arbus und East of Eden durch, man erträgt im äußersten Fall sogar das rumpelnde Geplötter von Pete Browns Battered Ornaments, die Darbietungen von Storyteller, deren Sänger mit einem Baumstumpf auf die Bühne zu wummern pflegt, um den Zuhörern Ruhe zu befehlen, weil das nächste „Stück“ peinlichst genaues Hinhören erfordere, von Bloodwyn Pig, der Third Ear Band, Mighty Baby, The Spirit of John Morgan, Dr. K’s Blues Band, Savoy Brown und Principal Edward’s Magic ­Theatre, etwa fünfundzwanzig Studenten mit einer „anspruchsvollen“ theatralischen Fusion aus Gitarrenspiel und expressivem Tanz, in der sie Blumen und Halme verkörpern, um auf das nahende Ende der Welt hinzuweisen. Auf Festivals – wie jenem im belgischen Bilzen am 24. August, dessen Höhepunkte darin bestehen, daß es von drei Tage vorher bis drei Tage nachher ununterbrochen schüttet wie aus Gießkannen und daß eine matschige Tomate, die eigentlich für Jon Lord gedacht ist, auf seiner Orgel landet – säuft man sich mit schalem Dünnbier empfindungslos, läßt sich von Rockern verprügeln, schläft mit vollgepinkeltem Schlafsack in Urinschlammpfützen und erfährt zwischendurch von den Veranstaltern, vierzehn der fünfzehn angekündigten „Topgruppen“ seien leider auf der Autobahn hängengeblieben, weshalb als nächstes eine zufällig anwesende Fantasy-Blues-Kapelle aus dem nächsten Dorf spielen werde.

      Weil musikalische Qualitäten auf den Alben der „angesagten“ Bands äußerst selten und im Konzert wegen der Schrottanlagen, die meist irgendwie und selbstverständlich ohne Rücksicht auf den zu beschallenden Raum oder gar auf die darin befindlichen Menschen zusammengestückelt wurden, so gut wie nie zu entdecken sind, konzentriert man sich auf erkennbare Anhaltspunkte. Zum Beispiel den, wer am schnellsten spielt: Hat Alvin Lee (Ten Years After) heute nicht mehr Töne pro Minute hinbekommen als Clem Clempson (Bakerloo Blues Line) letzte Woche? So hat man auch was zum Diskutieren, während man sich auf dem Hallenklo versteckt, weil der Gitarrist von Chicken Shack (der das längste Gitarrenkabel in ganz England besitzt – gottlob sind wenigstens Sender für solche Zwecke noch nicht erfunden) mal wieder von der Bühne gesprungen ist und das Auditorium im Nahkampf mit einer Mischung aus endlos heulendem Saiten­gequäle und Flatulenzen terrorisiert. Und danach, wenn man wieder zu Hause ist, das Radio einschaltet und fassungslos miterleben muß, wie ein offenbar bereits mit einer Überdosis psychedelisierender Substanzen im Körperkreislauf zur Welt gekommener Diskjockey zum Start des nagelneuen und späterhin legendären Senders Radio Geronimo den öligen Betroffenheitsschlager „In The Year 2525“ abnudelt – zwei Stunden lang, ohne Pause.

      1969 ist ein grausiges Jahr, ein Niemandsland in einer musikalischen Historie, die ohne Ereignisse nicht auskommen mag und kann, bestimmt von naiven Wahnsinnigen und einer Industrie, die auch dann Produkte verkaufen muß, wenn niemand da ist, der diese Produkte mit erträglichen Inhalten zu füllen vermag. Es ist das Jahr einer Generation, die, wie es ein Zeitgenosse formuliert, „alles verpaßt hat“, deren popmusikalische Initiation am besten das Cover des Albums Ceremony von Spooky Tooth & Pierre Henry widerspiegelt: Da ist ein

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