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Strahlen hast du bis heute bei ihrem Anblick nicht verloren. Ich muss zugeben, dass mich das hier und da auch mal mit Neid erfüllte. Doch die Liebe des Vaters zur Tochter ist eben eine zärtliche und zum Sohn eine helfende.“

      Was hatte Lutz da gesagt? Hatte er etwas bemerkt? Will er mich jetzt hier vor allen Leuten … Kein klarer Gedanke war mehr in ihm. Er spürte die Nässe der Angst unter seinen Achseln. Das Hemd klebte am Rücken. Er roch den Gestank seiner Panik. Das Haar lag klatschnass am Kopf.

      Hatte Rebecca nicht gesagt, sie wolle auch noch vor den Gästen sprechen? Irgendwas mit Überraschung? Will sie mich hier öffentlich hinrichten?

      Panik ließ seine Hände flatterten wie kleine Vögel, die man kopfüber an den Füßen hält.

      „Und, Papá, verstehe das nicht als Vorwurf, sondern als Zeichen eines besonderen Glücks, das ich dir zu genießen von Herzen gönne.

      Ein Prosit, verbunden mit allen guten Wünschen für die nächsten fünfzig Jahre von mir, von uns, für dich, lieber Papá!“

      Ein Brausen in seinen Ohren. Es wuchs und wuchs. Was war passiert? Die Gäste applaudierten, das war alles. Sie prosteten ihm zu. Langsam fand er zu seiner Fassung zurück und erwiderte die Geste, ein um das andere Mal, wie eine Marionette. Das Klingeln eines Löffels an ein Glas ließ den Beifall verebben. Rebecca trat vor. Es war noch nicht vorbei. Sie ergriff das Wort:

      „Lieber Paps, ich nenne dich auch heute so, obwohl wir nicht alleine sind. Ich will es kurz machen, mein großer Bruder hat schon großartig genug geredet. Von mir auch alle lieben Wünsche für die Zukunft. Und …“

      Jetzt wird sie mich an den Pranger stellen, vor aller Augen den Staatsanwalt der lüsternen Gier nach dem Körper seiner eigenen Tochter anklagen, von sexueller Belästigung, Nötigung und psychischer Qual sprechen.

      „… dir meine Überraschung offenbaren. Zu unser beider Geburtstag lade ich dich ein, mit mir die Reise anzutreten, nach der du dich immer gesehnt hast, die Reise nach Venedig. Mamá musst du nicht um Erlaubnis bitten. Alles ist schon geklärt. Sie interessiert sich ja eh nicht so für Kunstgeschichte. Ich freu mich darauf, Paps. Ich liebe dich!“

      „Rebecca, mein Liebes, ich … ich … bin sprachlos vor Überraschung. Ich kann jetzt gar nichts sagen“, stammelte Herrmann.

      Seine Tochter rannte in seine Arme, sie umfingen und hielten sich wie damals und früher und vor einem Jahr. Er spürte ihren Kuss auf seiner Wange und roch den Duft ihres Haars, als er sein Gesicht in ihrer Halsbeuge vergrub, und fühlte ihre Schenkel an den seinen und die alte Erregung und Sehnsucht und Sucht.

      Die Gäste applaudierten gerührt. Sie lösten sich voneinander. Dann entschuldigte sich Herrmann, er wolle sich frisch machen vor dem Essen, während die Gäste Platz nahmen zum Diner.

      Plötzlich war er ganz ruhig. Er ging hinauf in sein Arbeitszimmer, zog die Smokingjacke und das Hemd aus, streifte sich einen Pullover über und öffnete die alte Segelkiste. Er nahm ein starkes Seil heraus und, als ob er es gestern noch getan hätte, schlug er geschickt den Henkersknoten.

      Er spürte die Tränen angenehm über seine Wangen laufen.

      Langsam stieg er die Treppe hinauf zum Dachboden.

      „Venedig, nur mit dir!“, flüsterte er lächelnd.

      Sie fanden ihn nach dem Dessert.

      Guido Kleinmann steht vor dem kolossalen Bau des „Hotel Royal“ in Frankfurt, schaut an der Fassade aus spiegelndem Glas, matt glänzendem Stahl und poliertem Granit empor, die sich in der Unendlichkeit des sternenklaren Nachthimmels verliert, und staunt.

      Soll ich, soll ich nicht? Ich weiß nicht, ich weiß nicht, grübelt Kleinmann.

      Dann schaut er noch einmal an der Fassade hinauf und sagt sich: Ich mach’ das, ja, ich mach’ das jetzt! Beschlossen, entschieden, fertig! Basta! Mein Gott, bin ich verrückt?! Warum nicht auch mal verrückt sein? Ja, das ist teuer, bestimmt ist das teuer, na und? Ist eben teuer, ich hab’s ja jetzt. Ich muss Dorothee anrufen, war ja nicht klar, wie lang es dauern wird beim Nachlassverwalter. Jetzt noch über sechshundert Kilometer zurückfahren? Nee! Ich mach’s und basta. Ich gehe in dieses Hotel, in diesen geilen, durchgestylten, sündhaft teuren Fünfsterneschuppen. Eine Nacht voller Luxus. Das gönne ich mir. Wehe sie meckert. Ist mein Geld, ganz allein meins. Tante Martha war meine Tante, nicht ihre!

      Der Entschluss steht fest.

      So betritt Kleinmann das hallenartige, elegant gestaltete Luxus-Foyer so ehrfürchtig als sei es eine Kathedrale und wendet sich der Rezeption zu. Seine Sporttasche von Pumadidas ist ihm peinlich. Hinter dem Empfang aus rosa und schwarzem Granit, spiegelglatt poliert, spricht ihn ein junger Mann mit Gelfrisur und weinroter Hoteluniform mit dezent gedämpfter Stimme an: „Was kann ich für Sie tun, mein Herr?“

      Kleinmann erschrickt und antwortet: „Ich hätte gerne … äh, also ein Zimmer für eine Nacht nur. Haben Sie da … ist da noch was frei bei Ihnen, ich meine im Hotel, hier so?“

      Der Rezeptionist mustert Kleinmann von oben bis unten, hebt kaum sichtbar die Mundwinkel zu einem herablassenden Schmunzeln und fragt:

      „Standard, Komfort oder Luxussuite, mein Herr?“ Die Arroganz im Ton ist eklatant.

      Schnösel, denkt Kleinmann.

      „Was kostet denn ein Standardzimmer?“

      „168 Euro, mit Frühstück 188“, antwortet Schnösel, ohne ihn dabei anzusehen.

      „Was? Zwanzig Euro nur für ein Frühstück?“

      „Buchen oder nicht? Mit oder ohne Frühstück? Wie entscheiden der Herr?“, fragt Schnösel leicht entnervt.

      „Nehmen Sie es mit Frühstück. Es ist teuer, aber großartig!“, kommt plötzlich eine etwas heisere Frauenstimme von hinten. „Ein Buffet, das keine Wünsche offenlässt, so steht es im Prospekt, und das stimmt sogar.“

      „Guten Abend Frau Waldau, darf ich Ihr Baby in Obhut nehmen?“, katzbuckelt Schnösel mit gekünsteltem Lächeln.

      „Baby? Was? Wo?“ Kleinmann dreht sich verwirrt um.

      „Nein, keine Angst! Ich hab’ kein plärrendes Kleinkind“, lacht die Frau. „Das hier ist mein Baby, auf das er aufpassen soll“, und zeigt auf einen großen Koffer in Form einer Geige, den sie dem Rezeptionisten an der Theke vorbei übergibt.

      „Ach, Sie sind Cellistin?“

      „Ja, sieht wohl so aus. Und Sie sind … Sherlock Holmes?“ Sie lächelt ironisch.

      Kleinmann wird rot, wegen seiner dummen Frage.

      „Sie entschuldigen?“, sagt sie noch, nimmt ihren Schlüssel, und verschwindet mit Hüften schwingendem Gang Richtung Aufzüge. Ihr roter üppiger Lockenkopf wippt dabei auf und nieder, als wolle er ihm winken. Das hätte er gerne. Ihre schlanke Gestalt umspielt ein grünes, weit geschnittenes langes Samtkleid. Ihr Schritt auf den rostbraunen Pumps ist selbstbewusst und sicher. Kleinmann schätzt sie auf Anfang vierzig und ist beeindruckt.

      Der blutrote Lippenstift und die stark geschminkten Augen waren schon etwas zu heftig, denkt er. Aber: Hammerfrau, absolut!

      Kleinmann grinst über seine losgetretenen Fantasien.

      „Standard, mit Frühstück“, ordert er kurz angebunden, erledigt die Anmeldung und bekommt seine Schlüsselkarte. Auch er wendet sich dann Richtung Aufzüge. Die Musikerin ist schon gen Himmel gefahren.

      Auf dem Zimmer im zwölften Stock nimmt Kleinmann einen Whisky aus der Minibar, stellt sich ans Panoramafenster und genießt die Aussicht über das abendliche Frankfurt.

      Das ist Leben, denkt er. Wenn ich das meiner Doppelkopfrunde erzähle: Fünf Sterne, hoch über Frankfurt, knapp unterm Himmel. Und dann eine Cellistin kennengelernt. Frau Waldau! Klingt wie … Waldorf-Astoria oder … Waldorf-Salat, jedenfalls nach großer weiter Welt. Eine

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