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das jiddische Epos Die Brüder Maschber von Pinhas Kahanowitsch und Die drei Schwestern Piale von Richard Millet. Das beste Geschwisterbuch, das ich in letzter Zeit gelesen habe, ist Der Schwimmer von Zsuzsa Bánk. In dem Roman wird, unglaublich berührend und eindringlich, von der ziellos-sehnsüchtigen Reise des kleinen Isti, seiner älteren Schwester Kata und ihrem Vater erzählt, die von der Mutter und Partnerin im Ungarn der fünfziger Jahre plötzlich verlassen wurden. Den ungewöhnlichen Dokumentarfilm 7 Brüder verdanken wir Sebastian Winkels. In ihm erzählen sieben Männer, geboren zwischen 1929 und 1945, aus ihren Biographien, die sich zu einem faszinierenden Familienuniversum verdichten, in dem sich auf ungewöhnliche Weise deutsche Geschichte spiegelt.

      Marie-Luise Kaschnitz, ein Jahr vor König geboren, hatte zwei ältere Schwestern und einen jüngeren Bruder. Ob sie sich in ihrem Leben als drittes Kind in Königs Aussagen hätte finden können, kann getrost offen bleiben. Kaschnitz wusste jedenfalls, wovon sie sprach in ihrem zeitlos gültigen Gedicht:

      Geschwister

      Was anders heißt Geschwister sein

       als Abels Furcht und Zorn des Kain,

       als Streit um Liebe, Ding und Raum,

       als Knöchlein am Machandelbaum,

       und dennoch, Bruder, heißt es auch,

       die kleine Bank im Haselstrauch,

       den Klageton vom Schaukelbrett,

       das Flüstern nachts von Bett zu Bett,

       den Trost –

      Geschwister werden später fremd,

       vom eigenen Schicksal eingedämmt,

       doch niemals stirbt die wilde Kraft

       der alten Nebenbuhlerschaft,

       und keine andere vermag

       so bitteres Wort, so harten Schlag.

       Und doch, so oft man sich erkennt

       und bei den alten Namen nennt,

       auf wächst der Heckenrosenkreis.

       Du warst von je dabei. Du weißt.

      VII.

      Abgesehen von Autobiographien erzählen Menschen, die schreiben, ob gewollt oder nicht, immer auch etwas von sich. Sogar Forschungsinteressen, insbesondere mit psychologischem und sozialwissenschaftlichem Hintergrund, haben, schaut man genauer hin, gelegentlich auch einen, wie auch immer gearteten, biographischen Bezug. Freilich lassen sich Menschen nicht in jedem Falle gern zum Studierobjekt für jene machen, die dem Zusammenhang zwischen Biographie und Werk auf die Spur kommen wollen.

      Karl König hat das an zahllosen Biographien getan. Aber immer mit einem verstehenden, einfühlenden Gestus und Blick, dem die reine psychologische Beurteilung und die bloße Neugier fremd war. Auch in Brüder und Schwestern heißt es:

      Hier aber geht es um Mit-Empfinden, Mit-Erleiden und Mit-Verstehen (König 2013, S. 38).

      Diese Haltung lässt sich auch auf ihn selbst, auf das, was er beispielsweise über den Schicksalsweg des einzigen Kindes geschrieben hat, anwenden. Denn wer über Brüder und Schwestern schreibt, muss zwangsläufig auch seine eigene Kindheit und Herkunftsfamilie im Blick haben, kann gar nicht anders, als in seine Überlegungen die Konstellation der angeheirateten Partnerin und der mit ihr gegründeten Familie mit ihren vier Kindern einzubeziehen.

      Auffallend ist, dass König, dieser ungeheuer viel schreibende Mensch, in seinem schmalen autobiographischen Fragment, das 1940 endet, nur wenige Zeilen über sich und seine Kindheit berichtete:

      Am Anfang dieses Jahrhunderts wurde ich in Wien geboren. Meine Eltern waren Juden; der Vater stammte aus dem Burgenland, die Mutter kam aus dem tschechischen Mähren. Ich wuchs als einziges Kind in relativer Einsamkeit auf. Der Besuch der Volks- und Mittelschule ging nicht ganz reibungslos vor sich, da ich in manchen Dingen recht eigenwillig war (König 2008 a, S. 106 f.).

      Seine berufstätigen Eltern betrieben ein Schuhgeschäft, liebten «Karli» und umsorgten ihn. Das Einzelkind hatte von Geburt an einen leicht deformierten Fuß, war aber mit überaus wachen Sinnen und starker Empfindungsfähigkeit begabt und schaute die Welt aus recht altklugen Augen an. Und er hatte etwas Besonderes an sich (Lindenberg 1991, S. 19):

      Als einmal ein Professor der Psychologie an dem Schuhgeschäft vorbeiging, wo der zweijährige Lockenkopf in seinem Kinderwagen vor der Tür saß, geriet dieser in solches Staunen, dass er den Laden betrat und fragte, wem das Kind da draußen gehöre. Der stolzen Mutter verkündete er sodann: Das wird einmal ein berühmter Mann werden! Ich habe während meiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn noch nie eine so auffällige Kopfform wie die des Kindes dort gesehen.

      Karl König war, was er über Einzelkinder schreibt, ein «Kind der Schwelle». Jene leben in einer Art «splendid isolation», sind nicht viel mit anderen Kindern zusammen, haben nicht viele Möglichkeiten, ihr soziales Kontaktverhalten zu entwickeln. Sehr viel später erst bat er seine Mutter, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Einmal heißt es da:1

      Mit großer Sorge habe sie zusehen müssen, wie ihr Sohn immer mehr in sich gekehrt und verschlossen wurde. Migränen hielten ihn oft tagelang im Bett, die Abende verbrachte er außerhalb des Hauses, bei seinem Freund, dessentwegen er die Schule gewechselt hatte. ‹Es lag so eine Traurigkeit in ihm, als wenn er den ganzen Weltschmerz allein tragen müsste. Wir hatten Angst, die Türe zu öffnen, ob wir ihn heil vorfinden werden (Müller-Wiedemann 2016, S. 26).

      Der heranwachsende Knabe hatte die Statur des Vaters und ein überproportional großer Lockenkopf ruhte auf einem relativ kleinen, schmächtigen Leib. Die Deformität der Füße machte es notwendig, ein Leben lang orthopädisches Schuhwerk zu tragen. Der Frühreife, der seinen Altersgenossen weit voraus ist, liest und liest und bis zum Lebensende hat er ein besonderes Verhältnis zu Büchern gepflegt. So ein besonderes Kind, band vor allem den Beistand der Mutter, der sich bald in Verehrung und Bewunderung wandelte, die ein ganzes Leben anhielt. Adolf König, der Vater, zog sich, zumal sich sein Sohn früh schon von den Wurzeln des jüdischen Glaubens entfernte, ins Pfeife rauchende Schweigen und die Resignation zurück.

      Wenn auch Königs Autobiographie nur ein Fragment geblieben ist, seinen Tagebüchern vertraute er bereits als Jugendlicher viel an. Bis zu seinem Lebensende behielt er diese Übung bei, schilderte darin nicht nur äußere Tatsachen, sondern auch innere Stimmungen und Seelenzustände, Reflexionen über die «Rätsel meiner Existenz». Es finden sich Notizen wie «Das Leid der Welt ist in mir» und «Zu Leid, Arbeit und Schaffen bin ich erkoren. Ich bin ein Mensch». Vieles davon ist bislang noch unveröffentlicht. Erfreulich ist, dass sich das, unter anderem im Rahmen der Werkausgabe, zu ändern beginnt und die Quellen für eine objektive König-Forschung zugänglich gemacht werden.

      Die Erfahrungen der frühen und späteren Kindheit prägen den Verhaltensstil des erwachsenen Menschen. Dies trifft auch auf Karl König zu. Anke Weihs’ Beitrag «Leben mit Karl König» fasst das, was ansonsten punktuell in den verschiedenen Erinnerungen auftaucht, anschaulich zusammen. Sie, die zum engsten Kreis der Gründerinnen und Gründer gehörte, der Gruppe, die sich bereits in Wien um König scharte, erlebt seine Stärken und Schwächen unmittelbar. Ihr Bild beschreibt den ganzen König, einen Menschen, der streng, anspruchsvoll und oft ungeduldig war, der sehr zornig werden konnte, der pedantisch Ordnung hielt und sie auch von anderen erwartete, der konkrete Vorstellungen hatte, wie eine Arbeit erledigt werden sollte, der den «roten Teppich» liebte, dem es schwerfiel zu verzeihen, der kein Erbarmen kannte, «wenn menschliche Beziehungen in Unordnung gerieten oder Motive verwechselt wurden» (Weihs 2008, S. 162). Aber angesichts der Größe und Energie dieses kleinwüchsigen Mannes relativiert sich all das (ebd., S. 172 f.):

      Als persönlicher Ratgeber in der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners war Dr. König geduldig, verständnisvoll, aufmunternd, solange sein Gesprächspartner sich ernsthaft bemühte. Er konnte aber beinahe erbarmungslos werden, wenn er den Eindruck bekam, man spiele nur oder wäre der Falschheit verfallen. Sein Zorn hatte die gleiche eigenartige Wirkung, wie seine anderen Charakterzüge: Man fand zu sich selbst

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