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Zeitmangel. Irgendwie habe ich nie Freizeit. Bei der Arbeit in der Spezialeinheit der Marines und jetzt bei Jameson konnte ich mich nicht einmal mit jemandem verabreden. Ganz zu schweigen von der fünfmonatigen Gefangenschaft.

      Zu meiner Überraschung ist die Stunde schneller vorbei, als ich es merke. Ich bin geradezu erschrocken, wie schnell die Zeit rast. Habe ich doch angenommen, diese Sitzung wäre die reinste Folter, aber im Gegenteil, mit Corinne kann man ganz locker reden.

      Doch mir ist klar, dass das, was noch auf mich zukommen wird, nicht so leicht werden wird.

      Bevor Corinne mich entlässt, gehen wir an den Schreibtisch zu ihrem Kalender und machen den nächsten Termin aus. Am liebsten würde ich gleich morgen weitermachen, denn wenn ich die Therapie beenden muss, bevor ich wieder in den aktiven Dienst darf, dann will ich es so schnell wie möglich erledigen.

      „Morgen wäre gut“, sage ich daher.

      Sie beugt sich über ihren Kalender, eins dieser dicken Bücher, und ich bin erstaunt, dass es kein digitaler ist. Sie grinst. „Wie wäre es mit Montag?“

      Ich runzele die Stirn. „Aber das ist erst in vier Tagen.“

      „Korrekt.“ Sie sieht zu mir hoch. „Da gibt es etwas, was man Wochenende nennt. Als ich diese Stelle angenommen habe, habe ich Kynan gesagt, dass ich nie am Wochenende arbeite.“

      „Aber was ist mit morgen? Freitag?“

      Corinne richtet sich auf, nickt verständnisvoll, doch erklärt mir, warum sie es langsamer angehen lässt. „Du brauchst Zeit zwischen den Sitzungen, um alles zu verarbeiten und zu entspannen.“

      Ich knurre frustriert und nicke zu ihrem Kalenderbuch. „Und wann am Montag?“

      „Um acht?“

      „Okay“, brumme ich.

      Anscheinend amüsiert sie das, denn sie lacht. „Hab Geduld, Malik. So ist es besser für dich. Und wer weiß, wenn du das Ganze komplett offen und ehrlich angehst, kann ich dich vielleicht ganz schnell davon befreien.“

      Leichter gesagt als getan. Ich weiß genau, dass sie mich mit meinen Schuldgefühlen konfrontieren will. Aber darauf einzugehen bedeutet, dass ich für diesen Job nicht geschaffen bin, was ich nicht hinnehmen kann. Doch eventuell kann ich sie davon überzeugen, dass es mir gut geht.

      Corinne schreibt mich in einen freien Termin und geht mit mir an die Tür. Mit der Hand auf meiner Schulter hält sie mich zurück. Ich bin gezwungen, mich zu ihr umzudrehen.

      „Du glaubst es vielleicht jetzt noch nicht, aber ich bin davon überzeugt, dass wir beide gut zusammenarbeiten werden. Du wirst ruckzuck wieder im aktiven Dienst sein.“

      Gott, das hoffe ich.

      Ich nicke, bringe ein Lächeln zustande und gehe aus der Tür.

      „Hi, Malik.“

      Sofort erkenne ich Anna Tates Stimme. Sie kommt aus dem Lastenaufzug und hat einen recht großen Karton dabei, der anscheinend nicht schwer ist, aber unhandlich. Sie trägt einen schmalen, braunen Tweed-Rock, einen cremefarbenen Pullover, der sich viel zu gut an ihre Formen schmiegt, und hochhackige Lederstiefel. Ihr goldenes Haar fällt in lockeren Wellen um ihre Schultern. Sie sieht modisch und jung aus und hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Gar nicht wie eine Witwe. Sie wirkt eher wie eine schöne Frau auf dem Höhepunkt ihres glücklichen Lebens.

      Ohne weiter nachzudenken, eile ich auf sie zu und nehme ihr den Karton ab, denn so wurde ich erzogen. Erst lässt sie nicht los und unsere Blicke treffen sich.

      „Es geht schon“, sagt sie und zieht ein wenig daran.

      „Ist es etwas streng Geheimes?“ Ich lasse nicht los.

      „Nein.“ Sie runzelt die Stirn.

      „Dann erlaube mir bitte, ihn für dich zu tragen.“ Ich nehme ihn ihr aus der Hand und ignoriere ihren besorgten Blick, dass ich vielleicht nicht kräftig genug bin, um den Karton zu tragen.

      Das finde ich süß von ihr und rührend.

      „Ich habe fast schon wieder meine alten Kräfte zurück“, erkläre ich. Sie wird leicht rot. „Ich meine, ich kann noch keine Autos anheben oder so etwas, aber heute beginne ich mit dem Krafttraining, sodass auch das bald wieder klappt.“

      „Oh, das ist schön.“ Anna lächelt und ihre Röte verschwindet. „Denn Kynan hat mir ein Projekt aufgetragen und möchte, dass du mir dabei hilfst. Eine Menge Kartons sind im vierten und müssen alle nach unten geschafft werden.“

      „Ein Projekt?“, frage ich neugierig. Sie geht zu den verglasten Büros. Ich erkenne Kynans Büro, aber er ist nicht da. Anna geht in das direkt neben seinem. Es ist viel kleiner als das des Bosses, doch strategisch gut platziert, damit sie direkt bei ihm ist, sollte er sie brauchen.

      „Dozer hat eine Matrix-Datenbank programmiert, die sämtliche Informationen der letzten Fälle speichern soll, damit er sie mit Algorithmen und anderer IT-Magie filtern und Vorhersagen für künftige Fälle machen kann. Du und ich haben die glorreiche Aufgabe, auszusuchen, welche Daten relevant sind, und sie ins System einzugeben.“

      Ohne Scheiß. Dozer habe ich kennengelernt, als ich hier zu arbeiten anfing, und er war dabei bei dem Treffen an dem Abend, bevor ich nach Syrien geflogen bin, als wir alle ein paar Drinks zusammen hatten. Er ist so etwas wie superschlau. Gerüchte besagen, dass Kynan ihn der NASA abspenstig gemacht hat, also kann ich nicht behaupten, dass mich dieses Projekt erstaunt.

      Anna deutet auf den Boden. „Stell den Karton einfach irgendwo hin. Da sind noch fünf weitere Kartons, die hierher müssen, also gehen wir und holen sie.“

      „Ich werde sie holen“, sage ich und wende mich der Tür zu.

      „Nett“, antwortet sie. „Danach führe ich dich als Willkommensgeschenk zum Mittagessen aus und wir besprechen, wie wir das Projekt zusammen stemmen werden.“

      Ich bleibe geistig an dieser Einladung hängen, denn sie kommt mir seltsam vor. Das hier ist eine Büroumgebung und ich bin nicht an diese Lass-uns-zusammen-essen-gehen-Sache gewöhnt. Und schon gar nicht möchte ich mich bei einem Salat mit der Witwe des Mannes unterhalten, der wegen mir gestorben ist.

      Ich blicke über meine Schulter, und Anna kniet neben dem Karton und wühlt darin herum. Sie bemerkt nicht, dass es mir unangenehm ist. Irgendwie vermindert das die Enge in meiner Brust, die sich immer einstellt, wenn ich auf Anna treffe.

      Mein Magen knurrt und mir fällt ein, dass ich heute nichts gefrühstückt habe, und ich denke mir, ein Mittagessen wird nicht schaden.

      Kapitel 6

      Anna

      „Ich muss mich bei dir bedanken“, sagt Malik und seufzt, bevor er herzhaft in sein Sandwich beißt.

      „Und warum?“ Ich nehme mein Sandwich in die Hand, unsicher, wie ich hineinbeißen soll, denn mein Mund geht nicht so weit auf.

      „Weil du mich nicht in ein Restaurant gebracht hast, in dem es nur Salate und Smoothies gibt“, antwortet er, nachdem er geschluckt hat.

      Ich grinse. Mein italienisches Sandwich ist dick belegt mit Primanti’s Pastrami, viel Krautsalat und knusprigen Pommes. „Das klingt irgendwie sexistisch.“

      „Nein, gar nicht.“ Er runzelt die Stirn. „Am ersten Tag, als ich wieder hier war, hat Kynan mich in so eins geführt. Natürlich bin ich zurzeit für jede Art Essen dankbar, aber verdammt, Salat ist einfach nicht mein Ding. War es noch nie.“

      Ich lache und betrachte mein Sandwich. „Ich liebe Primanti’s. Eins meiner Lieblingslokale, aber ganz bestimmt nicht für erste Dates geeignet.“

      Malik schnaubt und nickt zustimmend. Er nimmt noch einen großen Bissen,

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