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Indianer aus Winnetou Geräusche zu machen. Carolines Blick wird immer kritischer.

      »Schätzchen, das ist nicht lustig. Du solltest auf deine Wortwahl aufpassen. Wenn du magst, zeige ich dir, wie es dort aussieht. Heute ist mein freier Tag.«

      Verwundert schnappt Mareike sich ihre Handtasche und folgt Caroline nach draußen.

      Mit Carolines Wagen fahren sie auf der Brücke Jacques Cartier über den Sankt-Lorenz-Strom. Von hier aus ist der Blick auf Montréal unglaublich. Die Skyline mit den vielen Hochhäusern schimmert in der Sonne und wird umrahmt vom Mont Royal, der majestätisch hinter der Innenstadt thront. Unter ihnen fließt der Fluss, der hier schon ganz schön breit ist. Erst jetzt fällt Mareike auf, dass Montréals Hafen gar nicht so klein ist. Als sie eine Weile auf der Rive Sud /South Shore (so wird das südliche Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms genannt, obwohl es eigentlich geografisch gesehen eher im Südosten liegt) vorbei an verschiedenen Vororten Richtung Südwesten gefahren sind, häufen sich mit einem Mal kleine Stände, an denen Zigaretten verkauft werden. Drei Dollar für eine Packung! Ob das legal ist? Sonst kostet eine Packung doch eher um die sechs Dollar. An einer unscheinbaren Kreuzung biegen sie rechts ab und fahren an einem Schild vorbei, auf dem »Kahnawà:ke Mohawk Nation Territory« steht. Sie kommen an einfachen Einfamilienhäusern vorbei, vor manchen sitzen gelangweilt aussehende Teenager. Einige beäugen Mareike und Caroline etwas misstrauisch. Davon lässt Caroline sich nicht abschrecken und parkt ihr Auto neben einem schmucklosen Gebäude in der Mitte des Ortes. Verwundert blickt Mareike um sich, als sie aus dem Auto steigt.

      »Und wo sind die Tipis?«

      Im Fernsehen in Deutschland hat sie doch gesehen, dass es noch immer Indianer gibt, die ganz ursprünglich leben. Caroline runzelt die Stirn und wirft ihr nur einen schrägen Blick zu. Gemeinsam betreten sie das große Gebäude. »Kanien’kehá:ka Onkwawén:na Raotitióhkwa – Language and Cultural Center« steht dort.

      In dem liebevoll gestalteten Kulturzentrum finden die beiden eine kleine Ausstellung über die Geschichte der Ureinwohner. Caroline erklärt: »Wir sind hier auf dem Land der Kahnawake Mohawk. Das ist ein Reservat von traditionell Iroquoian sprechenden Mohawk, na ja, eigentlich korrekterweise Kanien, ein ganz alter Ureinwohner-Stamm. Zu ihnen zählen heute etwa 11.000 Menschen, die aber nicht alle in diesem Gebiet leben. Sie sprechen überwiegend Englisch.«

      »Warum wohnt hier niemand sonst? Ich sehe keinen einzigen Menschen mit einer anderen Hautfarbe.«

      »Nein, das geht nicht. Dieses Land ist für sie reserviert. Sie haben ja schon genug verloren. Ursprünglich ging ihr Land sogar bis unten an den Fluss. Das mussten sie schon abgeben, weil Kanäle und Brücken gebaut wurden. Sie kannten sich sehr gut aus mit dem Fluss, wussten über die verschiedenen Strömungen Bescheid und wo man am besten Fische fängt. Traurig genug, dass man sie umgesiedelt hat. Das hat vieles in ihrer Gemeinschaft durcheinandergebracht und wertvolles Wissen ist verloren gegangen. Und in der Gemeinschaft der Kolonialisten hat man es ihnen fast nie ermöglicht, einen Job zu bekommen, sodass sich die Mohawk hätten ernähren können. Weil man in den Anfangszeiten der Kolonie glaubte, dass sie keine Höhenangst hätten, bekamen sie Ureinwohner nur die gefährlichsten Jobs auf Baustellen. Nicht selten fielen sie in den Tod. Allein 1907 bei dem Bau der Québec-Brücke sollen insgesamt 33 Mohawk-Bauarbeiter ums Leben gekommen sein, als die Brücke wegen eines Konstruktionsfehlers kollabierte.«

      »Und warum ziehen sie nicht in die Stadt, wo es doch viel schöner ist? Dort gibt es doch auch mehr Universitäten und Möglichkeiten für sie.«

      »Das können viele sich nicht leisten, Mareike. Außerdem ist das hier ihr zu Hause.«

      Nachdenklich folgt Mareike Caroline zurück zum Auto.

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Das Wort »indians« (Indianer), das Mareike gebraucht hat, klingt in den Ohren vieler Nordamerikaner eher abwertend. Das Gleiche gilt übrigens für das Wort »eskimo« als Bezeichnung für die Ureinwohner ganz im Norden Kanadas, das im schlimmsten Fall als diskriminierend empfunden wird. Der Begriff Eskimo kommt aus der Algonquinsprache und bedeutet »Rohfleischesser«. Auch deshalb ist es verständlich, dass die Bezeichnung von den Inuit (Singular: Inuk) abgelehnt wird. Man unterscheidet die Inuit-Gruppen nach ihren wirtschaftlichen und kulturellen Traditionen, zum Beispiel die Karibu-, die Labrador- oder die Kupferinuit. Wie die Indianer meistens nicht mehr in Tipis leben, schon gar nicht so nahe der Großstadt, leben auch die Inuits schon lange nicht mehr in Iglus. Meist ernähren sie sich vom Fischfang oder durch den Abbau von Bodenschätzen. Auch hier ist jedoch die Arbeitslosigkeit groß, was Depressionen und Alkoholismus zur Folge haben kann. Auch nach so vielen Jahren hat Kanada noch keinen Weg gefunden, die sozialen Probleme der Ureinwohner des Landes zu lösen.

      Das Wort réserve /reserve deutet nicht auf ein typisches Indianerdorf hin, wie Mareike dachte. Damit sind vielmehr die Landstücke gemeint, auf denen nach dem Indian Act des britischen Königshauses kanadische Indianerstämme angesiedelt worden sind.

      Eine réserve ist oft in einzelne Landpartien unterteilt, die ebenfalls réserves genannt werden. So kommt es, dass 3.000 réserves in Kanada auf 634 First Nations verteilt sind, auf die indigenen Völker des Landes. Die Zersplitterung des Stammbesitzes nimmt vor allem in British Columbia andere Dimensionen an, wo 198 Stämme 1.702 Reservate besitzen. Die Landstücke können ausschließlich von Stammesmitgliedern erworben und nicht verliehen, enteignet oder beliehen werden. Hinzukommt, dass innerhalb eines Reservats persönlicher Besitz der Bewohner frei von Steuern ist.

       KANADISCHE FIRST NATIONS UND IHRE SPRACHEN

      Unter den kanadischen Ureinwohner gibt es mehr als 50 Sprachen, die wissenschaftlich teils nicht klar voneinander abzugrenzen sind. In Kanada leben ca. 600 anerkannte First-Nations-Gruppen und viele, die nicht offiziell anerkannt sind. 190 davon in British Columbia. Insgesamt gibt es etwa 600.000 Indianer in Kanada. Anishinabe und Cree sind die am weitesten verbreiteten Sprachen, gefolgt von Mi’kmaq. In den Nordwest-Territorien gibt es neun offizielle Sprachen: Dene Suline, Cree, Gwich’in, Inuinnaqtun, Inuktitut, Taicho, Inuvialuktun, Nördliches und Südliches Slavey.

      Nicht zu den First Nations gehören die Inuit und die Métis (Nachfahren von überwiegend europäischen Siedlern und indigenen Frauen). In ihrem Territorium sprechen ca. 30.000 Inuit Inuktitut. Weitere offizielle Sprachen sind Inuinnaqtun, Englisch und Französisch. Die Métis sprechen sowohl Französisch als auch Michif, eine Sprache die mit dem Cree verwandt ist.

      Der Großteil der kanadischen Ureinwohner lebt in Reservaten. Doch dort sind die sozialen Probleme oft groß. Nicht nur die Arbeitslosigkeit ist in den réserves höher als im Rest des Landes, auch der Alkoholismus ist weiter verbreitet und teils ein Problem, das kaum in den Griff zu bekommen scheint. Da die Reservate oft sehr abgelegen liegen, gibt es wenige Möglichkeiten, eine Arbeit zu finden oder sich weiterzubilden. Von Infrastruktur und Verkehrsanbindungen abgeschnitten, entwickelt sich schnell Perspektivlosigkeit. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2003 die First Nations University in Regina, Saskatchewan eröffnet.

      Neben Alkohol ist auch das Glücksspiel Auslöser sozialer Probleme. Manche Reservate haben dies aber zu ihrem Vorteil gedreht, Kasinos eröffnet und damit große Gewinne gemacht. Andere haben rigoros Alkohol verboten. Oft sind in den Reservaten zum Beispiel Tabakwaren geringer besteuert und daher günstiger zu erwerben als im Rest Kanadas. Wirtschaftlich erfolgreicher sind zudem die Reservate, die Ressourcen vorweisen können wie Bodenschätze oder Holz oder die in touristisch interessanten Gebieten liegen – doch oft wurden den Indianern in der Geschichte Gebiete zugewiesen, die weder das eine noch das andere erfüllen.

      Die Benachteiligung der First Nations soll inzwischen durch verschiedene Maßnahmen aufgefangen werden. So bemüht man sich, Bildungsprogramme zu entwerfen, medizinische Hilfe auch in abgelegenen Gegenden zu gewährleisten und die Entscheidungsbefugnis der First Nations zu vergrößern. All das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Laufe der Geschichte eine extrem hohe wirtschaftliche Abhängigkeit entstanden ist und die Anpassung an die moderne Welt

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