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      Inkognito

      Wie immer ging es in Donnas Kaschemme hoch her, und wie üblich stritten Quoxx und Willi miteinander, als plötzlich ein wütendes Fauchen ertönte und die Luft heftig zu flimmern begann. Sekunden später materialisierten direkt vor uns zwei Gestalten.

      Wir beäugten die beiden Neuankömmlinge neugierig. Der Ältere besaß eine hohe Stirn, ausdrucksvolle Augen, volles graues Haar und trug einen antiquierten Gehrock sowie Schnallenschuhe. Sein deutlich schmächtigerer Gefährte war in einen langen dunklen Umhang gehüllt. Er hatte scharfe Gesichtszüge, und aus seinem lackschwarzen Haaransatz ragte ein Paar kleiner Höcker hervor.

      Der Grauhaarige ließ seinen Blick über Donnas exotische Gästeschar gleiten. »In was für eine Spelunke sind wir denn hier geraten?«, fragte er verblüfft. »So viel hab’ ich doch gar nicht gesoffen.«

      »Spelunke?« Donna stemmte die Arme in die Hüften. »Wer seid ihr beiden Vogelscheuchen eigentlich?«

      Der Angesprochene hob sein imposantes Kinn. »Ich bin Dichter, gute Frau, und das ist mein …«

      »Impresario«, fiel ihm sein Begleiter rasch ins Wort. Er machte einen Kratzfuß in Donnas Richtung. »Gestatten, Mephi! Mein Freund möchte inkognito bleiben.«

      Donna starrte die beiden misstrauisch an. »Und wer sagt, dass Ihr wirklich seid, was Ihr vorgebt? Wie wär’s mit einer Probe Eures Könnens, werter Herr?«

      Der Grauhaarige musterte sie einen Moment mit zusammengezogenen Augenbrauen. Donna trug ihren Rotschopf diesmal in üppigen Medusenschlingen. Dann hellte sich seine Miene auf, und er deklamierte mit volltönender Stimme:

      Er küsste ihres Mundes Rand

      und spielt’ mit ihren Flechten,

      das tat er mit der linken Hand,

      was tat er mit der Rechten?

      Donna grinste. »Ich liebe Wirtinnenverse!« Sie reichte ihm ein Bier.

      Der Dichter kostete und schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Ein vorzügliches Gebräu. Bringe Sie mir eine weitere Maß, Frau Wirtin!«

      »Wie seid Ihr eigentlich hier gestrandet?«, wollte Willi wissen, während er sich unauffällig ein frisches Bier vom Tablett angelte.

      »Nun, wir saßen gerade im ›Wetzlarer Hof‹ beim Schoppen und schwatzten ein wenig über Alchemie und Metaphysik«, entgegnete der Dichter. »Dabei muss Mephi versehentlich der Wirtshauskatze auf den Schwanz getreten sein …«

      »Es war ausgerechnet Schrödingers Katze«, seufzte Mephi, »und die war höchst ungehalten, und so sind wir in diesen Schlamassel geraten.«

      »Was bedeuten schon Raum und Zeit für einen großen Geist!«, tröstete ihn sein Begleiter. »Reisen bildet …«

      »Dann kennen Sie wohl ein paar gute Geschichten?«, fragte Quoxx, während er Willi einen hinterhältigen Blick zuwarf.

      »Nun ja …« Der Dichter strich seine Mähne zurück. Und dann begann er zu erzählen, von Wassernixen und Erlkönigen, von Schatzgräbern und Zauberlehrlingen, von finsteren Gestalten und lockeren Frauen. Donnas Bier schien ihm sichtlich zu munden; seine Armbewegungen wurden immer ausladender und seine Geschichten immer fantastischer. Quoxx feixte übers ganze Gesicht. Endlich jemand, der dem Wurmlochwiesel das Wasser abgrub.

      »Ich hab’ unsere Spritztour rekonstruiert …« Mephi war näher an Willi herangerückt und wies auf den Hypernavigator in seiner Hand. »Wir scheinen da in einen Zeitknoten geraten zu sein. Verstehen Sie zufällig etwas von Knotentheorie?«

      »Als Wurmlochscout bleibt das nicht aus.« Willi grinste.

      »Ich würde mich hier gern noch ein wenig nach talentiertem weiblichem Nachwuchs umsehen.« Er zwinkerte Willi lüstern zu. »Aber wenn aus dem großen Œuvre etwas werden soll, muss er ins Bett, bevor Ihr Kumpel ihn völlig abfüllt. Wie schaffen wir ihn schleunigst wieder in seine Studierstube?«

      Willi rieb sich das Kinn. »Wenn ich mich recht an das Handbuch für Zeitknotentheorie erinnere, muss man ein paar temporale Überkreuzungen lösen und die Enden neu verbinden, um die Sache wieder ins Lot zu bringen …«

      »In Mathe war ich immer eine Niete«, gestand Mephi. »Knotenberechnungen hat Großmutter immer für mich erledigt.«

      Willi, dem ein Verschwinden des eloquenten Dichters nicht ungelegen kam, beugte sich über das Gerät. »So müsst’s gehen«, meinte er schließlich.

      Mephi warf einen Blick auf die Einstellung und kicherte. »Genial! In 4-D löst sich jeder Knoten!«

      Er tippte seinem Reisegefährten auf die Schulter. »Gute Nacht, mein Freund!« Und ohne dem anderen Zeit zum Einspruch zu geben, aktivierte er das Gerät.

      »Mehr Biiiiiier!«, hörten wir den Dichter mit klagender Stimme protestieren, während seine Umrisse immer stärker zu flimmern begannen und sich schließlich auflösten.

      Mephi grinste. »An den letzten Worten müssen wir noch etwas feilen!«, befand er, während er einen dezenten Schwefelrülpser ausstieß. Er warf eine Handvoll Dukaten auf den Tisch. »Meine Tantiemen für des Meisters neues Stück. Mein Alter Ego spielt darin eine Hauptrolle …«

      Das gab gewaltigen Beifall, und wir ließen den Dichter und seinen Impresario immer wieder hochleben. Aber obwohl wir Mephi bis zur Halskrause abfüllten, gelang es uns nicht, ihr Inkognito zu lüften. Falls Sie eine Idee haben, das wäre uns sicher ein paar Bier wert.

      »Goethe?«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2015

      »Blaufußtölpel« sind schon ein ganz eigenes Völkchen – und ziemlich eingebildet.

      Das Blaue vom Himmel

      »Donna, noch ein Bier für meinen Freund Willi!«

      Quoxx’ dröhnende Stimme ließ uns verblüfft verstummen. Der betuchte Händler aus dem Kuiper-Belt und der ständig abgebrannte Wurmlochscout sind gewöhnlich Intimfeinde und liegen sich ständig in den Haaren.

      »Ich konnte Quoxx einen kleinen Dienst erweisen!«, erklärte Willi auf unsere fragenden Blicke grinsend und nahm ein frisches Glas entgegen.

      Alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf den Kuiper-Belter. Und der ließ sich nicht lange bitten.

      »War einer von euch schon mal auf Sula? Nicht? Naja, dieser Mond, der um einen Planeten mit einer Zwergsonne und einer exzentrischen Umlaufbahn kreist, ist nicht gerade ein Urlaubsparadies; die Nachtseite ist eiskalt, die Sonnenseite höllenheiß, und nur ein schmaler Zwischenstreifen ist bewohnbar. Und die Ornithischier, die dort leben, sehen aus wie Kreuzung zwischen einem gefiederten Troll und einem Pelikan.«

      Quoxx griff nach seinem Glas, während Willi erklärte: »Diese Ornithischier stehen auf einer archaischen Kulturstufe und sind in Kasten organisiert, die sich an Fußfärbung und Gangart orientieren; beispielsweise stehen rosafüßige Torkler unter violettfüßigen Tumblern. Die oberste Kaste bilden die Tölpel, und das vornehmste Geschlecht ist das derer von Blaufuß, die sich mächtig viel auf ihre blauen Treter einbilden.«

      »Ganz recht, und niemand würde sich um den Planeten und seine ungehobelten Bewohner kümmern, wenn er nicht die einzige Quelle von Azurium wäre«, übernahm der Händler wieder, »ein Element, das der Haut von Humanoiden einen himmlischen, modisch sehr begehrten Blauton verleiht.« Er kratzte sich am Kinn. »Ich hatte daher das übliche Zeug mitgebracht, das auf primitiven Planeten so begehrt ist, Glasperlen, Laserpistolen, Syn-Alkohol und so weiter, aber als ich um eine Audienz beim Großtölpel nachsuchte, dessen blaufüßige Familie ein Monopol auf sämtliche Azurium-Vorkommen hat, wurde ich vertröstet. Nachdem ich so eine Woche vertrödelt hatte, gelang es mir schließlich mit einer üppigen Bestechung, dem Haushofmeister die Information entlocken: Mit

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