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zu diesem Zeitpunkt nicht an. Wie Ramzy so schön sagt, wobei er mir damit allmählich auf den Wecker geht: Es fühlt sich wie ein großes Abenteuer an.

      Um Dr. Pretorius zu besuchen, müssen wir schon ein wenig tricksen, was mir nicht so gefällt, aber immerhin muss ich nicht wirklich lügen:

      1. Ich habe ja Sankt Bello und außerdem helfe ich in der Schulbibliothek, da komme ich oft später nach Hause.

      2. Jessica arbeitet im Moment viel und hat sich noch nie dafür interessiert, was ich in der Schule mache.

      3. Clem ist gerade mitten in den Abschlussprüfungen und kommt nur aus seiner Teenagerhöhle, um dreckige Teetassen in der Spüle zu stapeln. Der fragt also auch nie.

      4. Und Dad? Dad ist glücklich, wenn ich glücklich bin. Und das bin ich also, hurra!

      Ramzy hat es da schon schwerer. Was aber nicht an seinem Vater liegt, der ist nämlich Lkw-Fahrer und meist auf langen Touren unterwegs, sondern an seiner gruseligen Tante Nush. Ich bin ihr erst einmal begegnet. Sie kümmert sich um Ramzy und seine beiden kleinen Brüder und spricht kaum Englisch. Sie ist super streng. Deshalb muss Ramzy oft schwindeln. Meistens erfindet er irgendwelche Extra-Schulstunden.

      »Ramzy, du bist erst zehn. Da gibt es in der Schule keine ›Überstunden‹.«

      Als wir nach der Schule zu dem kleinen Tante-Emma-Laden laufen, flattern Ramzys Schulshorts im Wind. Er sieht beschämt drein. »Weiß ich doch, aber sie kann ja schlecht in der Schule anrufen und nachfragen. Sie bringt ja kaum ein Hallo raus. Jedenfalls sind wir ein Team, nur dass du Bescheid weißt.«

      »Na toll. Jetzt ziehst du mich da noch mit rein!«

      »Was soll ich denn machen? Meine Tante ist die Hölle. Ich musste einen Peilsender tragen, bis der kaputt war. Wenn ich nicht so ein museumsreifes Handy hätte, würde sie auch das mit einem Sender versehen.« Er hält ein uraltes Prepaid-Teil hoch, das wie ein Überbleibsel aus den 90ern wirkt.

      Vor dem Laden fegt der Besitzer Eymann Nurrswei den Gehweg. Wütend funkelt er uns an und folgt uns nach drinnen. (Anfunkeln tut er jeden, nicht nur uns. Und Eymann Nurrswei ist natürlich nicht sein richtiger Name. Alle nennen ihn bloß so, weil er nie mehr als zwei Schüler im Laden duldet, falls die ihm die ganzen Süßigkeiten klauen wollen. Ständig brüllt er »Ey, Mann, nur zwei!« mit einer schrillen Stimme und einem starken Akzent, den wir nicht einordnen können.)

      Ramzy lädt sein Guthaben auf dem Handy auf. Dabei bezahlt er mit einer Tüte Kleingeld, woraufhin Eymann wütend vor sich hin murmelt.

      Mir tut Ramzy immer ein bisschen leid. Wegen seinen großen Hundeaugen, den Hasenzähnen, den Segelohren und … na ja. Ich nehme mein Bibliotheksabzeichen ab und reiche es ihm. »Da. Jetzt kannst du sagen, dass du auch Bibliothekshelfer bist. So hast du eine Ausrede fürs Zuspätkommen.«

      Ramzy grinst mich breit an. »Danke, Partner!«

      »Lass dich bloß nicht von Mr. Springham mit dem Abzeichen erwischen.«

      Er steckt sich das Abzeichen an sein verblichenes Schulhemd. »Man darf aber auch nicht vergessen, dass Dr. Pretorius alt und sehr einsam ist! Wir tun also Gutes!« Damit sind auch meine letzten Schuldgefühle beseitigt, die ich wegen der Schwindelei noch hatte.

      Wie immer machen wir uns nach Spanish City auf.

      Wie immer gehen wir hoch in die Kuppel, wie immer hockt Dr. Pretorius vorm Computer.

      Wie immer spielen wir ein VR-Spiel.

      Doch dann nehmen wir die Helme ab, und Dr. Pretorius sagt etwas, das sie nicht immer sagt.

      »Ihr wollt bestimmt wissen, worum es bei der ganzen Sache geht, was?«

      Ramzy und ich sehen uns an. Klar wollen wir das wissen. Aber wie sollen wir das erfragen?

      Nachdem sie ein letztes Mal entschlossen auf die Tasten eingeschlagen hat und auf den Bildschirmen eine riesige römische Arena mit Gladiatoren und Streitwagen erscheint, schwingt sie ihren Stuhl herum und mustert uns eingehend.

      Es herrscht Stille, während wir darauf warten, dass sie was sagt. Dabei betrachte ich ihr altes, faltiges Gesicht. Ihre himmelblauen Augen blicken so wach wie immer, aber ihre Haut kommt mir auf einmal so bleich und fahl vor. Und als sie dann auch noch heftig hustet, begreife ich’s gleich.

      »Ich habe nicht mehr lange, Kids. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, und ich habe noch einiges zu tun, bevor ich … bevor ich euch verlasse.«

      Ramzy runzelt die Stirn. »Ähh. Ziehen Sie weg?«

      Ich rolle die Augen. Selbst ich habe kapiert, was sie meint.

      Dr. Pretorius bellt: »Umziehen? Ha! Muss ich denn noch deutlicher werden, Junge? Ich sterbe. Ich habe ein tödliches Herzleiden, gegen das selbst die besten Ärzte im Land machtlos sind. Und bevor ich einen Abgang mache, will ich noch sicherstellen, dass mein Leben nicht völlig sinnlos war. Verstehst du jetzt?«

      »Oh!« Ramzy schaut auf seine abgestoßenen Schuhe.

      »Ja. Oh, kann man wohl laut sagen. Was ihr gesehen habt, war ja noch gar nichts!«

      Schon wieder dieser Satz: Was ihr gesehen habt, war ja noch gar nichts. Was in aller Welt kann so wichtig und großartig sein?

      »Ich sag’s euch, Kids. Das wird ganz außergewöhnlich. Und ihr dürft’s als Erste ausprobieren.«

      Irgendwie scheint sie zu erwarten, dass wir »Wow!« sagen oder uns zumindest bedanken.

      »Wow.« Sehr überzeugend klinge ich nicht. Und um das darauffolgende betretene Schweigen zu brechen, stelle ich die Frage, die mich schon die ganze Zeit beschäftigt.

      »Warum ausgerechnet wir?«

      Auf ihrem Gesicht breitet sich ein wölfisches Grinsen aus. »Wollt ihr das wirklich wissen? Wollt ihr die ganze Wahrheit?«

      Wenn jemand einen so fragt, bleibt einem ja nur eine Antwort übrig, auch wenn vielleicht nichts Gutes dabei herauskommt. Ich zucke mit einer Schulter und sage: »Glaub schon.«

      Dr. Pretorius wendet sich wieder ihrer Tastatur zu und kurz darauf erscheint eine Reihe von Fotos. Es sind Luftaufnahmen vom Marine Drive, der Straße hier vor der Tür, die auch zu unserer Schule führt. Nach ein paar Klicks sind Fotos von mir und Ramzy zu sehen, zwar aus weiter Entfernung aufgenommen, aber dennoch ziemlich scharf. Ein Bild nach dem anderen flimmert über den Monitor: Ramzy in seiner dicken, viel zu großen Winterjacke, wir beide auf Leihrädern, ich in einem rot-weiß-blauen Kostüm zum internationalen Flaggentag in der Schule … und so weiter.

      Als Ramzy sich zu Wort meldet, schwingt leichte Empörung in seiner Stimme mit: »Sie … Sie haben uns ausspioniert?« Ein bisschen gruselig ist das schon.

      »Ach, entspann dich, Junge! Schaut mal genau hin. Fällt euch was auf?«

      Ramzy und ich sehen uns die Bilder an, aber mir fällt nichts auf (außer natürlich, dass es sehr seltsam ist, heimlich fotografiert zu werden). Schließlich sagt Dr. Pretorius: »Ihr beide seid die einzigen Kinder, die allein unterwegs sind! Alle anderen sind in Begleitung ihrer Eltern, einer Tagesmutter oder sonstwem. Also die Kinder, die nicht ohnehin mit dem Auto oder einem Taxi abgeholt werden.«

      Das stimmt. Ramzy und ich sind tatsächlich die einzigen, die allein nach Hause laufen.

      »Daraus habe ich meine Schlüsse gezogen. Und als ihr dann auch noch meinen Bauarbeiter ausgefragt habt, dachte ich mir, hmm, neugierige Kinder. Ihr Kinder wachst heutzutage so behütet auf. Ihr spielt nicht mehr auf der Straße, ihre werdet überallhin kutschiert, ihr beide seid da eine Ausnahme. Dann habe ich euch immer unten am Strand mit den Hunden gesehen. Und na ja … so was wie euch habe ich gesucht. Außerdem tragt ihr keine Brille. Multisensorische virtuelle Realität erfordert ein nahezu perfektes Sehvermögen.«

      »Was … was ist denn mit der Begegnung am Strand?«, fragt Ramzy misstrauisch.

      »Alles eingefädelt. Nur, dass der Hund die Badekappe gefressen hat, war nicht geplant. Das war einfach Glück.«

      »Ihre

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