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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo
Читать онлайн.Название Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2
Год выпуска 0
isbn 9783849659837
Автор произведения Augustinus von Hippo
Жанр Документальная литература
Серия Die Schriften der Kirchenväter
Издательство Bookwire
Wenn es also heißt[204] : „Und Kain erkannte sein Weib, und sie empfing und gebar den Enoch; und er erbaute eine Stadt mit dem Namen seines Sohnes Enoch“, so folgt daraus nicht, daß man Enoch als seinen ersten Sohn betrachten müßte. Dazu gibt die Wendung: „er erkannte sein Weib“ kein Recht, als hätte sie den Sinn, er habe sich damals zuerst mit seinem Weibe im Beischlaf vereinigt; denn dieselbe Wendung wird vom Stammvater Adam selbst auch nicht nur da gebraucht, wo von Kains Empfängnis die Rede ist, der sein Erstgeborener gewesen zu sein scheint, vielmehr sagt auch nachmals dieselbe Heilige Schrift[205] : „Es erkannte Adam Eva, sein Weib, und sie empfing und gebar einen Sohn und nannte ihn Seth“. Es handelt sich also hier offenbar um einen Sprachgebrauch der Heiligen Schrift, dessen sie sich, wenn auch nicht immer, bedient, wo sie von Menschenempfängnissen überhaupt spricht, und nicht nur da, wo von der ersten Vereinigung der Geschlechter die Rede ist. Auch daraus, daß nach Enoch jene Stadt benannt wurde, läßt sich kein zwingender Beweis für die Erstgeboreneneigenschaft Enochs ableiten. Es wäre ja recht wohl denkbar, daß ihn der Vater, da er mehrere Söhne hatte, mehr als die andern liebte. Auch Judas war nicht Erstgeborener, und doch ward sein Name auf Judäa und die Juden übertragen. Mag übrigens immerhin dem Gründer der Stadt dieser Sohn als der erste geboren worden sein, so ist deshalb doch nicht anzunehmen, daß schon bei seiner Geburt einer vom Vater gegründeten Stadt sein Name beigelegt worden wäre, weil überhaupt keine Stadt gegründet werden konnte vom damaligen Kain, der noch allein war; denn eine Stadt setzt ihrem Begriff nach eine größere Menge von Menschen voraus, die zusammengehalten wird durch irgendein Genossenschaftsband; vielmehr erst als Kains Familie heranwuchs, so zahlreich, daß sie nunmehr die Größe eines Volkes hatte, da allerdings mochte es geschehen, daß er eine Stadt gründete und ihr den Namen seines Erstgeborenen beilegte. Die Menschen vor der Sündflut lebten ja so lang, daß der kurzlebigste unter denen, deren Alter angegeben wird, siebenhundertdreiundfünfzig Jahre erreichte[206] . Manche haben selbst neunhundert Jahre überschritten, auf tausend freilich brachte es keiner. Warum sollte sich also nicht während der Lebenszeit eines Menschen das Menschengeschlecht in einer Weise haben vermehren können, daß Leute nicht nur für eine, sondern für zahlreiche Städtegründungen vorhanden waren? Ist doch aus dem einen Abraham in nicht viel mehr als vierhundert Jahren das Hebräervolk so mächtig herangewachsen, daß beim Auszug aus Ägypten nur allein dessen streitbare Jugend sechsmalhunderttausend Menschen betrug[207] , gar nicht zu erwähnen das Volk der Idumäer, das nicht zum Volk Israel gehörte, aber von Israels Bruder Esau, einem Enkel Abrahams, abstammte, und andere Völker, die hervorgegangen sind aus Abrahams Samen unmittelbar, aber nicht durch seine Gemahlin Sara[208] .
9. Die lange Lebensdauer der Menschen vor der Sündflut und deren gewaltigere leibliche Erscheinung.
Wer also die Verhältnisse umsichtig in Anschlag bringt, wird nicht bezweifeln, daß Kain sogar eine große Stadt hat gründen können, da sich ja das Leben der Sterblichen über einen so langen Zeitraum erstreckte. Freilich einer aus den Reihen der Ungläubigen könnte unsere Voraussetzung anstreiten, die große Zahl der Lebensjahre, die den damaligen Menschen in unseren Glaubensschriften zugeteilt wird, und könnte dieser Voraussetzung die Glaubwürdigkeit absprechen. So glauben sie wohl auch nicht, daß die Körpergröße damals viel beträchtlicher gewesen sei als jetzt. Und doch sagt darüber ihr eigener hochberühmter Dichter Vergilius[209] , wo er von einem ungeheuren Steine spricht, einem Feldgrenzstein, den ein Held jener Zeit im Kampfe herausriß, damit enteilend ihn im Kreise schwang und schleuderte:
„Schwerlich hätten ihn zwölf der erlesensten Männer gehoben,
Deren, wie heutzutage die Erde die Leiber hervorbringt“;
womit er andeutet, daß die Erde damals gewaltigere Leiber hervorzubringen pflegte. Um wieviel mehr demnach als in diesen jüngeren Weltzeiten erst vor der berühmten, weithin bekannten Sündflut! Indes, was die gewaltige Körpergröße der frühzeitlichen Menschen betrifft, so werden die, die daran nicht glauben wollen, oft überführt durch alte Gräber, die durch den Zahn der Zeit oder durch Wassergewalt oder durch Zufälle mancherlei Art freigelegt worden sind und in denen zum Vorschein kamen oder aus denen herausfielen Totengebeine von unglaublicher Größe. Ich habe selbst — und nicht ich allein, sondern mehrere mit mir — an der Küste von Utica einen menschlichen Backenzahn gesehen, so ungeheuer groß, daß er nach unserer Schätzung wohl hundert heutige hätte ausmachen mögen, wenn man ihn in kleine Stücke wie unsere Zähne zerschlagen hätte. Der mag indes einem Riesen angehört haben. Diese überragten an Körpergröße die übrigen noch weit, obwohl schon die Durchschnittsgröße der damaligen Menschen viel bedeutender war als die unsrige; wie es ja auch in den folgenden Zeiten bis herab zu den unsrigen fast immer, wenn auch nur vereinzelt, Leute gab, die an Körpergröße das Durchschnittsmaß weit überschritten. Plinius Secundus, der große Gelehrte, versichert[210] , daß die Natur mit dem allmählichen Voranschreiten des Weltverlaufes immer kleinere Leiber hervorbringe; er hebt ferner hervor, daß auch Homer oft darüber klage in seinem Gedichte, und er macht sich nicht etwa darüber lustig als über eine Ausgeburt der dichterischen Phantasie, sondern führt es als ein geschichtliches Zeugnis an, wo er über die Wunder in der Natur schreibt. Indes, wie gesagt, die Größe der Leiber der Vorzeit wird ja durch häufige Funde von Gebeinen, da diese sehr haltbar sind, auch viel jüngeren Zeiten vor Augen geführt. Dagegen kann die damalige lange Lebensdauer des Menschen nicht durch derartige Zeugnisse der Beobachtung zugänglich gemacht werden. Aber