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auf ihrer Abendrunde. Ich frag sie mal, ob sie euch in Richtung Süden mitnehmen können. Die Jungs sind Freunde von mir. Wenn ihr morgen wiederkommen wollt, lasst eure Boards gern hier bei mir.«

      Snaggs und ich dürfen auf der Ladefläche der Policía mitfahren. Officer Luis neben uns hält seine Maschinenpistole fest, während das Dorf hinter uns in der Dunkelheit verschwindet. Als wir hoch zur Hauptstraße fahren, peitscht uns der kalte Wind durchs Haar und kühlt unseren Sonnenbrand.

      Sie bringen uns bis zu einer Anlegebrücke in der Nähe der Swell, wo wir von der Ladefläche springen und uns überschwänglich bedanken. Dann klettern wir über die riesigen Felsbrocken, ziehen uns bis auf die Badeanzüge aus, stopfen alles in unsere wasserdichten Taschen und springen in eine Welle, die über die schwarzen Tiefen rollt. Ein paar Teenager, die in einiger Entfernung auf den Felsen angeln, sehen uns ungläubig nach.

      Das Ankerlicht der Swell schwankt in der Ferne. Wir schwimmen durch die Finsternis, ziehen die Taschen hinter uns her und sind nach diesem Traumtag immer noch ganz aus dem Häuschen. Draußen in der Bucht versuchen wir, nicht daran zu denken, was unter uns im Wasser lauern könnte, und konzentrieren uns lieber auf die flackernden Lichter überall um uns herum: Der Himmel ist übersät mit funkelnden Sternen, und die Lichter des Pueblo spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Mit jedem Schwimmzug ziehen wir eine leuchtende, phosphorisierende Spur hinter uns her. Aus den Schatten taucht der weiße Rumpf der Swell vor uns auf, und schillernd hieven wir uns an Bord, wo wir uns augenblicklich in die Kojen verziehen, um das Gleiche mañana wieder zu erleben.

       Meeresschwingen

      Die Genua der Swell flappt lautstark und hat Schwierigkeiten, die leichte Brise einzufangen.

      »Heute ist der Tag aller Tage, Snaggs«, sage ich zu Shannon. »Heute versuchen wir, den Spinnakerbaum zu setzen.« Mit immer neuen Wellen und Crewmitgliedern sind wir südwärts durch verschmutzte Häfen und die hübschen Buchten Zentralmexikos gesegelt. Wir befinden uns inzwischen auf halber Höhe des Landes und haben Kurs auf den berühmten Surfspot in Puerto Escondido gesetzt: die Playa Zicatela.

      »Du meinst diese dicke Stange neben dem Mast?«

      »Ja.« Vor unserer Abreise hat Rigger Marty mir erklärt, wie es geht, allerdings war ich bisher nicht mutig genug. Den langen Baum lotrecht zum Mast zu errichten und die Genua daran zu befestigen soll dazu dienen, dass sie besser im Wind steht. Wir müssen schneller werden, wenn wir Puerto Escondido bis Sonnenuntergang erreichen wollen.

      Ich schleppe die nötigen Leinen nach draußen und gehe die Schritte im Kopf noch mal durch. Ich weiß noch, wie Marty so was wie »mit drei Leinen triangulieren« gesagt hat, »damit dieses Monster von einem Baum nicht außer Kontrolle gerät«, sprich: Eine Leine muss nach vorn, eine nach achtern gelegt und eine als Fall eingesetzt werden, um den Baum oben zu halten.

      Erst nach mehreren Anläufen habe ich die Leinen richtig sortiert. Doch die Fallen verheddern sich, und ich lege die Leinen nach vorn und hinten falsch aus. Shannon stemmt sich gegen das Kajütdach und stabilisiert den Baum, während ich um sie herumspringe und versuche, die Leinen richtig anzuschlagen.

      Als ich zu guter Letzt an der Winsch kurbele, hebt sich der Baum an die korrekte Stelle; Shannon hält die Leinen und zügelt sie zu beiden Richtungen. Wir befestigen sie, sobald der Baum steht, und ziehen die Genua wieder hoch. Der Baum hält das Segel perfekt, und mit dem vollen Großsegel backbords spreizt die Swell ihre Schwingen.

      »Geschafft!«, jubelt Shannon.

      »Ja – und wir sind direkt fast zwei Knoten schneller!«

      Snaggs geht nach unten, um Sandwiches zu machen, während ich das bedeutsame Ereignis im Logbuch festhalte. Nach dem Mittagessen übernimmt Shannon die Wache, damit ich mich bester Laune hinlegen kann.

      Mit jedem Tag lerne ich die Swell besser beherrschen. Ich blättere immer noch ständig in meinen Handbüchern, weiß aber endlich, wie ich den SSB-Funk einsetzen kann, um den Wetterbericht zu empfangen. Zwischen Planung und Vorbereitung der jeweils nächsten Etappe gehen wir surfen, besuchen hiesige Lokale und schließen neue Freundschaften. Zwei jungen Frauen wird einige Aufmerksamkeit entgegengebracht – und zumeist positive: Wir werden zu Abendessen eingeladen, auf Ausflüge mitgenommen und mit neugierigen Fragen gelöchert, sowohl von Einheimischen als auch von den anderen Seglern an den Ankerplätzen.

      Für gewöhnlich werden Leute, die längere Zeit an Bord kleinerer Boote leben und reisen, »Cruiser« genannt. Einige haben sich vorübergehend ein Sabbatical von der Arbeit genommen, andere führen dieses Leben dauerhaft. Oft treffen wir ein und dieselben Leute gleich mehrmals, weil die meisten gen Süden unterwegs sind und dasselbe Zeitfenster nutzen wie wir, um Hurrikan-sicher ihr Ziel anzusteuern. Die meisten Cruiser sind wesentlich älter als Shannon und ich, wohl weil ein gewisser Kontostand erforderlich ist, um sich ein Boot und die Instandhaltung zu leisten. Hier und da gibt es »In-Betweeners«: Leute in den Dreißigern und Vierzigern, oftmals mit Kindern an Bord, und den einen oder anderen Einhandsegler. Aber die große Mehrheit sind Rentner, Pärchen, die nicht vorhaben, je wieder an Land zu gehen, und denen, was das Cruisen angeht, niemand mehr etwas vormachen muss: Leute, die Hühnereier mit Vaseline einschmieren, damit sie länger frisch bleiben, die elektronische Seekarten illegal downloaden und ganz genau wissen, welche Wäscheklammern die trocknende Wäsche an den Relingsleinen am besten festhalten. Der männliche Part weiß in Sachen Reparaturen immer guten Rat, während die Frau Vorhänge und Kissenbezüge nähen und aus wenigen einfachen Zutaten ein Festmahl zaubern kann.

      Leute werden aus den unterschiedlichsten Gründen zu Cruisern. Einige genießen einfach nur die tagtägliche Happy Hour, die an den Anlegestellen in den Häfen gegen fünf Uhr nachmittags eingeläutet wird. Oft sind andere Segler an Bord herzlich willkommen, solange man nur seine eigenen Getränke mitbringt. Andere – Sporttaucher, Muschelsucher oder Surfer, wie wir es sind – gehen ihrem Sport oder Hobby nach. Viele lieben einfach nur das Segeln auf offenem Meer, die Freiheit und Abkehr von der Gesellschaft. Sie alle haben ihre ureigenen Geschichten, die sie erzählen – und manche tun es lauter als andere. Beinahe in jeder Bucht organisiert eine der Cruiser-Frauen – die froh ist, auch mal mit anderen zu sprechen als nur mit dem eigenen Ehemann – ein spontanes Abendessen, bei dem jeder etwas mitbringt. Die Einladung wird über UKW-Funk ausgesprochen. Ganz gleich, ob diese Abendessen am Strand oder auf einem der Boote stattfinden – derlei bunte Zusammenkünfte sind der soziale Klebstoff im Cruiser-Leben. So unterschiedlich sie alle sein mögen: Hilfsbereit, einander wohlgesinnt und bescheiden sind alle. Und es gibt eine goldene Regel: Wenn ein Cruiser Probleme hat, hilf ihm, so gut du kannst. Es wird irgendwann zwangsläufig der Moment kommen, da auch du selbst Hilfe brauchst.

      Ich bin froh, dass ich Shannon an Bord habe. Sie ist geradeheraus, zu allen Schandtaten bereit – und sie lacht über meine Witze. In Begleitung zu segeln bedeutet, für vierundzwanzig Stunden am Tag aufeinanderzuhocken, und das ohne allzu viel Komfort oder Ablenkung. Man lernt die Eigenheiten des jeweils anderen wohl oder übel ziemlich schnell kennen und muss unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse durch Kompromisse ausbalancieren. Auf einem Boot gibt es keinerlei Privatsphäre; Probleme, Macken und Schwächen werden sofort offenkundig. Der sprichwörtliche »Elefant im Raum« kann den Untergang bedeuten. Es gibt keinen Fernseher, kein Internet, kein Take-away-Essen, wenn der Magen anfängt zu knurren. Shannon und ich kommen unter diesen Umständen hervorragend miteinander aus. Wir haben eine Vorderkajüte mit v-förmig angeordneten Kojen, das kleine Vorschiff mit der Pumptoilette, die zentrale Kajüte mit schmaler Pritsche, Kartentisch und Pantry sowie achtern zwei weitere Kojen – die kleinere dient als Lagerraum, in der größeren übernachtet Shannon. Zu dritt oder zu viert an Bord ist es durchaus mal ganz lustig, aber zu zweit haben wir dann doch ein bisschen mehr Luft zum Atmen.

      Mit einem schlichten Nicken wechseln wir uns unterwegs mit der Wache ab. Während der Wachschicht müssen wir auf den weiteren Schiffsverkehr achten, auf Wetterumschwünge, Tonnen, Ausrüstungsprobleme. Wer immer gerade nicht Wache schiebt, liest, hört Musik, hält Ausschau nach Meeresgetier, döst in der Koje, kocht Essen, repariert Dinge oder schießt Fotos.

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