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überglücklichen Bootsbesitzerin machen. Jetzt sind der emeritierte Professor und die junge Träumerin so weit, einander zum Traum von der großen Reise zum Horizont zu verhelfen.

      Der Wind aus Nordwest fegt konstant und kalt über das Achterdeck der Swell. Die Nachtwache um drei Uhr ist eine eisige Angelegenheit. Es ist unsere letzte Nacht auf See, bevor wir Cabo San Lucas anlaufen. Ich ziehe mir die Mütze tief in die Stirn und danke dem beißenden Rückenwind, in dem sich unsere Geschwindigkeit zwischen sechs und acht Knoten einpendelt. Ich lehne am Plichtsüll aus Teakholz und atme die Umgebung in mich ein.

      Hoch über mir steht der fast volle Mond und erhellt die bergigen Konturen der südlichen Baja in Richtung Hafen. Das ausgebaumte Großsegel und die weißen Deckkanten leuchten im silbrigen Licht. Das leise Pfeifen des Windes und das Rauschen des Wassers entlang des Rumpfs klingen wie Musik im Vergleich zum Dröhnen des Dieselmotors. Noch 60 Meilen, bis wir das Kap erreichen.

      Allein habe ich Zeit, nachzudenken. Es fühlt sich immer noch surreal an, dass ich tatsächlich hier an Bord meines eigenen kleinen Bootes stehe. Das alles wirkt so undenkbar – viel zu speziell, als dass es bloß ein glücklicher Zufall gewesen sein kann. In der Rückschau sehe ich allerdings, wie ich nur durch eine Serie aus Widrigkeiten genau hier habe landen können: Ich habe den enttäuschenden Job auf der Tamara lange verflucht, doch nur dank eines Abends, an dem ich Drinks auf dem Achterdeck servierte, durfte ich Barry kennenlernen; und trotz des entmutigenden Törns mit Rick hat mich die Erfahrung genau das gelehrt, was ich wissen musste, um die Swell für meine begrenzte Körperkraft und Größe ausstatten zu können. Ich weiß immer noch nicht, wie ich klarkommen soll, sobald meine Ersparnisse aufgebraucht sind. Ehrlich gesagt hatte ich noch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.

       März 2003, Santa Barbara

      Barry schätzt, dass es etwa ein Jahr dauert, um das Boot für die Reise flottzumachen, und trommelt einen Trupp aus einheimischen Experten zusammen. Ich verbringe jede freie Stunde an der Seite von Mike, dem Bootsmechaniker, Rigger Marty, Elektriker James und Segelmacher Bennet, von denen ich alle möglichen Tricks und Kniffe zu Werkzeug, Klebstoffen, Harzen, Metallen und Eisenwaren lerne, zu Leinen und Segelausrüstung, Knoten, Holz, Hinterlegplatten, Kabeln und wie man elektrische Installationen plant, repariert, Probleme identifiziert, auf seine Bedürfnisse umbaut und überhaupt all das, was alt und marode ist, gegen etwas Haltbareres, Besseres austauscht. Vier, fünf Abende die Woche jobbe ich an der Bar des Hafenrestaurants und lege jeden Cent Trinkgeld für meine Reise beiseite.

      Einmal in der Woche treffen Barry und ich uns auf dem Parkplatz des Santa Barbara Yacht Club und schlendern dann beieinander untergehakt in den Speisesaal im zweiten Stock. Dort stehen wir immer erst kurz am Fenster und lassen einträchtig schweigend den Blick übers Wasser schweifen. Insgeheim fühle ich bereits die Last unseres gemeinsamen Traums auf meinen Schultern. Sobald wir sitzen, zieht er einen großen Umschlag mit relevanten Artikeln sowie diverse Bücher hervor, in denen er Seiten markiert hat. Die gehen wir gemeinsam durch, während er hoheitsvoll an seinem Weißwein nippt. Wir wollen beide so wenig Aufwand wie möglich betreiben, aber ganz gleich, wie sehr wir uns bemühen: Das Boot für die Reise fit zu machen wird zur immer größeren Herausforderung und unsere To-do-und Einkaufsliste für den Umbau zusehends länger. Selbst wenn das Essen serviert wird, diskutieren wir weiter über die aktuellen Maßnahmen und Fragen.

      Der Umbau nimmt jede freie Minute in Anspruch. Kaum gehen wir eine Reparatur an, stoßen wir auf drei weitere Probleme. In einem Zwölf-mal-drei-Meter-Boot ist jede Entscheidung ein Kompromiss. Das Boot soll mein Dach über dem Kopf sein, mein Transportmittel und die Kapsel, in der ich überlebe. Wenn ich mehr Wasser mitführen will, muss ich auf einen zweiten Dieseltank verzichten; ein kleiner Kartentisch hieße, die Backbord-Segelkoje einzubüßen. Was nehme ich lieber mit: ein Ersatz-Großsegel oder mein geliebtes 5’9’’er Squash-Tail-Surfboard? Es gibt endlos viele Alternativen und keine einzige simple Lösung.

       Und was die Sicherheit angeht – brauche ich eine Notfunkbake und ein Rettungsfloß? Eine manuelle und eine elektrische Leckpumpe? Einen Treibanker und Sturmsegel? Rettungswesten? Feuerlöscher? Eine Signalpistole und Leuchtfackeln? Einen Wasseraufbereiter? Ein Ersatz-GPS? Wasserdichte Taschen? Ist die Elektrik sicher geerdet? Wie empfange ich den Wetterbericht? Sind die wichtigsten technischen Systeme ausreichend betriebs- und ausfallsicher? Ist meine Tetanusimpfung noch wirksam? Brauche ich noch eine Rundumleuchte? Reffleinen und Lifebelts? Einen Bilgenalarm? Einen Erste-Hilfe-Kasten? Unterwasser-Epoxid? Wie wäre es mit einem Blitzableiter? Mit einer Tauchausrüstung für den Notfall? Mit einem Bolzenschneider für die Takelung, falls sie herunterkracht?

      Barry hilft mir dabei, mich zu fokussieren. Wir wissen beide, dass das Boot zuvorderst eine stabile Außenhülle, eine sichere Takelung und einen verlässlichen Motor braucht. Er lässt es aus dem Wasser ziehen und den Rumpf untersuchen. Die undichte Reling wird heruntergerissen und rundumerneuert. Mike überprüft den Motor, verstärkt die Ruderachse für den Fall einer Kollision und spendiert mir einen stabileren Ausleger, der noch in seiner Werkstatt lag. Außerdem müssen die Wanten und Stage ausgetauscht werden.

      Sobald das Boot wieder im Wasser liegt, bringt Mike mir bei, wie man derlei Drähte ausmisst, zuschneidet und montiert. Ich hieve mich am Mast hoch, um jeden einzelnen eigenhändig zu ersetzen.

      Marty übernimmt die Dutzende Umbauten, um das Boot auf meine Körpergröße und -kraft anzupassen. Er besorgt jede Menge Material und riggt das Innere des neuen Auslegers komplett neu auf, damit das Umsetzen der Segel einfacher wird, und setzt außen lauter kleine Winschen und robuste Blöcke an, um das Reffen zu erleichtern. Er repariert und erneuert die Elemente am Masttopp, installiert Hochleistungs-Positionslampen und ein abnehmbares zweites Vorstag für die Sturmfock. Pedantisch verstärkt er jeden potenziellen Schwachpunkt in der Takelung, ersetzt abgenutzte Fallen, Schote und Metallteile, außerdem bringt er mir nützliche Knoten und ein paar ziemlich clevere Hebeltricks bei. Im Cockpit und am Mast werden selbstholende Winschen montiert. Für die Langstrecken wird am Achterdeck eine Windfahne für die Selbststeueranlage installiert.

      Bennet bringt im Cockpit einen Spritzwasserschutz und ein Sonnensegel an. Die Fenster werden ausgetauscht, Luken neu versiegelt, und ein Weltempfänger, ein UKW-Funkgerät, ein GPS-Kartenplotter und neue Positionslichter werden installiert. James montiert überdies einen kleinen Wasseraufbereiter und größere Klampen an Deck. Das Großsegel und die Rollgenua sind in passablem Zustand, allerdings braucht der Buganker sowohl eine neue Kette als auch neues Geschirr. Und wenn man so reisen will wie ich, dann ist auch achtern ein Anker notwendig – und somit brauchen wir einen Ersatzanker, Ersatzgeschirre, Ersatzketten, Schäkel, Kettenwirbel, Ankerewichte und Scheuerschutz. Ich gehe besser nicht davon aus, dass es überall Ersatzteilläden gibt oder Leute, die ich herbeiwinken könnte und die mir bei Reparaturen helfen; also benötige ich überdies Unmengen von Ersatzteilen, Handbücher und Werkzeug, damit ich die wichtigsten Dinge selbst reparieren und instand halten kann. Aus einem Vorbereitungsjahr werden im Handumdrehen zwei.

      Für ein Dauerleben an Deck installiert James zudem einen zusätzlichen Wassertank und Sonnenkollektoren mitsamt neuem Batteriespeicher sowie einen kleinen Kran, um den Außenborder des Dingis anzuheben und runterzulassen. Dazu kommen Wasser- und Kraftstoffpumpen, neue Innenleuchten, ein Kältekompressor und ein 110-Volt-Wechselrichter fürs Laden der Kamerabatterien und meines Laptops. James baut mir zudem ein neues Schaltpult mit Monitoren, die die Batterieladestände anzeigen, und ersetzt den größten Teil der alten Kabel und Sicherungen. Der Herd ist in gutem Zustand, allerdings muss die Propangasflasche vom Vordeck verlegt werden, weil dort das Rettungsfloß hinkommt.

      Mein Zimmermannsfreund Jaime baut mir einen festen Navigationstisch mitsamt Regalen. Bei einem Wochenendbesuch meines Vaters montieren wir zusammen eine faltbare Dusche aufs Achterdeck und einen Häcksler für den Fäkalientank.

      Mein »Deal« mit Barry sorgt im Hafen für Diskussionen. Einige halten mich für komplett untauglich. Andere streiten über einzelne Instandsetzungsmaßnahmen. Viele bezweifeln, dass ich jemals loskomme. Diverse Einzelprojekte am Laufen zu halten, dabei niemandem auf die Füße zu treten

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