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habe. Und an Flusskrebse, die ich mit meinem großen Bruder James im Canyon gefangen habe.

      Der kalte Wind peitscht mir um die Ohren. Verirrte Regentropfen klatschen auf das Segeltuch-Bimini. Beschwingt spähe ich in die Nacht.

      Wir sind schon eine Woche an der Küste von Baja unterwegs. Frühmorgens kippt Schwell aus Nord mich und die Crew aus den Betten. In der Kälte und im Dämmerlicht holen Mark und Shannon den Heckanker ein, während ich das Boot steuere. Bald weist der Kompass wieder nach Süden. Der Dieselmotor tuckert vor sich hin, während das Großsegel Probleme hat, auch nur einen Hauch Brise einzufangen. Sobald die Sonne den Frühnebel vertreibt, glitzert sie triumphierend auf der ruhigen See an Backbord. Trotz des groben Weckrufs sind wir gut gelaunt.

      Shannon hatte ich unmittelbar vor meiner Reise kennengelernt. Sie war mir sofort sympathisch. Die Blondine ist eine Frau der leisen Töne, top ausgebildet, verfügt über eine fast verbissene Entschlossenheit und ein bildschönes Lächeln. Sie sieht mir aufmerksam zu, als ich ihr zeige, wie man das Fall am Topp des Großsegels befestigt, um das Segel am Mast aufzuheißen, und wie man die Fockschoten richtig um die Winschen wickelt. Uns einen die Liebe zum Meer und die Abenteuerlust, außerdem haben wir beide an der University of California in Santa Barbara Umweltwissenschaften studiert. Weil sie außerdem gern fotografiert, hoffe ich, dass ich ihre Fotos zusammen mit meinen Artikeln irgendwo unterbringen und vielleicht noch ein paar Sponsoren finden kann. Ich bin fest entschlossen, genug Geld zu verdienen, um nicht heimfliegen zu müssen, wenn irgendwann meine Ersparnisse aufgebraucht sind.

      Ich bin froh, dass auch mein Mitbewohner vom College, Mark, mit an Bord ist. Seine unerschütterliche Freundschaft und sein Humor haben mich durch drei Jahre voller Klausuren und Lebensprüfungen getragen. Als er andeutete, dass er uns gern auf der ersten Etappe begleiten würde, hab ich freudig Ja gesagt. Wann immer ich gestresst bin oder mich selbst infrage stelle, sorgt Mark mit seinen Sprüchen wieder für gute Laune.

      »Hoffentlich sinken wir nicht. Du weißt, Liz, dass ich nicht schwimmen kann«, neckt er mich, während ich nervös die Segelstellung der Swell studiere.

      Ein paar Delfine springen in Richtung Boot, um in unserer sanften Bugwelle zu spielen. Wir sehen ihnen vom Vorderdeck zu, wie sie wellenreiten und herumtollen und mich an die unzähligen Stunden erinnern, die ich als Kind im Bugspriet unseres Familienboots vor den Küsten Kaliforniens und Mexikos verbracht habe: mit über die Teakplanken baumelnden Beinen und dem unendlichen Horizont vor Augen – und genau dort fing ich auch an, darüber nachzudenken, eines Tages meinen eigenen Langstreckentörn zu unternehmen.

      Ich sah natürlich auch Abfall herumschwimmen, Meerestiere, die sich in den zerrissenen Netzen der Fischtrawler verfangen hatten und die meine Sorge um Umwelt und Natur entfachten. Auch wenn meine Familie nach unserer Rückkehr aus Mexiko erst mal ziemlich klamm war, sah meine Mutter mich mein hart verdientes Schülerjobgeld an Greenpeace spenden. Sie schenkte mir ein »Save Our Seas«-Poster und eine Weltkarte, die ich in meinem Kinderzimmer aufhängte und in die ich Pfeile einzeichnete, die meine zukünftige Reiseroute markieren sollten. Sowohl die Weltkarte als auch das Poster zogen bei jedem Ortswechsel mit um – also ziemlich häufig. Beide zogen immer wieder meinen Blick an: während der Hausaufgaben für die Junior High, nach dem Turntraining oder zwischen all dem Unfug, den ich in meiner Highschool-Zeit trieb. Sogar nachdem eine Freundin mich mit fünfzehn zum Surfen gebracht hatte und das Wellenreiten eine schier fanatische neue Leidenschaft für mich wurde, behielt ich den Traum vom großen Törn und mein Umweltengagement bei.

      Als die Delfine in Richtung Westen weitertollen, danke ich ihnen für den Besuch und kehre für ein Update des Logbuchs ins Cockpit zurück. An diesem Nachmittag, an dem uns noch ein bisschen Tageslicht bleibt, nähern wir uns einer Reihe geschichteter Klippen, an deren Innenseiten kleine Wellen entlangrollen. Einhellig beschließen wir zu ankern und tauschen in aller Eile unsere Winterjacken und warmen Stiefel gegen Wetsuits und Neoprenschuhe ein. Sobald der Anker sitzt, stürzen Shannon und Mark zum Vorderdeck, um ihre Boards loszubinden, und paddeln ins Line-up.

      Sie sind schon auf halbem Weg in Richtung Ufer, bis ich die Decks in Ordnung gebracht habe und ebenfalls über Bord springe. Das eisige Wasser spült meine angestauten Ängste davon. In meinem Vier-Millimeter-Wetsuit und auf meinem Lieblings-Shortboard bin ich in meinem Element. Braunalgen winken mir aus der aufsteigenden Welle. Grinsend paddle ich auf den Break zu.

      Der Wellengang ist nicht überwältigend, trotzdem fühlt sich jeder Glide wie ein Triumph an. Das Surfen – mein Trost, meine Numero uno – hat während der dreijährigen Vorbereitungen auf diese Reise zurückstehen müssen. Fischer in einer Panga winken uns zu, während sie auf ein paar Strandhütten zuhalten, die in der unendlich beige-gelben Baja-Landschaft quietschbunt hervorstechen. Als die Sonne untergeht und der Abend kühl wird, catchen wir noch eine letzte Welle und paddeln dann den langen Weg zurück.

      Nach knapp hundert Metern sehe ich hoch. Die Swell wiegt sich brav an ihrem Anker, und die schnittigen, kraftvollen Konturen des Bootskörpers glühen im Abendlicht. Für einen Augenblick verschlägt mir der schöne Anblick den Atem. Ich kann es nicht fassen. Die Swell verschwimmt, als mir Tränen in die Augen steigen.

      »Ich bin hier!«, rufe ich in den Himmel. »Das hier ist echt! Daaaaaaanke!« Ich bin mir nicht einmal sicher, an wen der Dank gerichtet ist. Ich glaube nicht an Gott, aber das hier fühlt sich überirdisch an. Ich habe Salz auf den Lippen und einen Sonnenbrand auf den Schultern. Ich paddle noch ein Stück raus statt zurück. Das hier ist mein Traum – und ich bin hellwach!

      Die Sonne scheint, und der Wind ist genau richtig für unsere nächste Etappe in Richtung Süden. Ich genieße die frische Nachmittagsluft, als wir unter vollen Segeln in die breite Bucht vor San Quintín einfahren. Mark steht in der Pantry und macht für uns Marmeladenbrote, während Shannon neben mir im Cockpit sitzt und Fotos schießt von den Farbabstufungen im Sand und den flachen, grasbewachsenen Dünen abseits des Hafens. Mit einem Mal entdecke ich keine fünfzig Meter vor dem Bug weiße Gischt, wo Wellen über eine nicht verzeichnete Sandbank rollen. Das Echolot springt von 45 Metern auf sechs, fünf und schließlich dreieinhalb, und ich reiße das Boot nach Steuerbord. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, doch zum Glück bringt uns der neue Kurs zurück in tiefes Wasser.

      Mark reckt den Kopf aus dem Niedergang – auf seinem Shirt ein lila Schmierer. »Himmel, Liz, du hättest auch einfach nach extra Marmelade fragen können.«

      Ich werfe einen Blick zurück zu der Stelle, wo ich die Gischt entdeckt habe, doch inzwischen ist das trüb grüne Wasser dort vollkommen ruhig und die Sandbank nicht mehr zu erahnen. Während wir auf das südliche Ufer der Bucht zusteuern und ich – noch immer mit Herzrasen – von meinem Brot abbeiße, bin ich einfach nur dankbar für das glückliche Timing: Wenn diese Welle auch nur ein paar Sekunden später über die Sandbank geschwappt wäre, wäre die Swell wahrscheinlich auf Grund gelaufen. Zufall? Pures Glück? Schicksal?

       April 2001, Santa Barbara

      Meine Seminare an der UCSB sind für heute vorbei. Als ich im Hafen von Santa Barbara übers Deck laufe, liegt der Geruch der Ebbe in der kühlen Frühlingsluft. Nach einem Auslandssemester in Australien musste mein Dad mir versprechen, dass er die Endless Summer aus San Diego hochbringen und ich an Bord wohnen dürfen würde. Nur so konnte er mich zur Rückkehr und zum Fertigstudieren bewegen.

       Für mich war Down Under nicht nur das Surfparadies: Dort hatte ich in der kleinen Küstenstadt, in der ich studierte, auch eine Art allgegenwärtigen Respekt gegenüber der Natur erleben dürfen. Die Gleichgültigkeit in Umweltfragen hier in den USA war im Vergleich dazu ernüchternd. Es frustriert mich, wie hiesige Unternehmer lediglich auf Profit aus sind und dafür unsere elementaren Ressourcen opfern – saubere Luft, sauberes Wasser und gesunde Böden, Flüsse und Meere. Wie kann es sein, dass Schüler und Studenten hierzulande nichts über die Ökosysteme dieser Erde lernen, die doch unsere Lebensgrundlage sind?

      Als ich die Stelle hinter mir lasse, bis zu der mich die Hafenpolizei sehen kann, setze ich mein Skateboard ab und skate den restlichen Weg über den Zement. In einer

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