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du«, sagt er und unterbricht die Schilderung irgendeines Sturms.

      Ich weiß genau, was gleich kommt.

      »Wenn du erst das Filet rundherum zuschneidest und das Fleisch vorerst am Knochen lässt, kriegst du die Haut leichter ab.«

      Trotzdem ziehe und zerre ich missmutig weiter – und er fährt fort, als wäre nichts gewesen.

      »Also, meine Eltern waren ja keine Segler …«

      Ich versuche – vergebens –, ihn auszublenden, drehe den Fisch um und mache mich über die andere Hälfte her. Trotz meiner schlechten Laune beschließe ich, es mit seiner Technik zu probieren. Ich schneide zuerst am Rückgrat entlang, dann vom Kopf runter zum Bauch und so weiter – einmal um das Filet herum.

      »Perfekt«, sagt er, »und jetzt vom Kopf her die Haut abziehen.«

      Sie geht am Stück ab.

      »Läuft doch.« Er grinst und geht endlich weiter.

      Schlagartig ist mein Ärger verflogen, und ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich war ihm gegenüber abweisend und respektlos und habe ihn nicht mal richtig angesehen. Ich zerlege das zweite Filet und renne ihm nach.

      »Hier.« Ich drücke ihm das frisch zugeschnittene Stück Thunfisch in die Hand. »Danke für den Tipp!«

       Licht in der Dunkelheit

      Es ist drei Uhr nachts. In völliger Dunkelheit sitze ich im Bug; meine Lifeline ist am Mast befestigt, und ich fühle mich mit ihm verbunden wie durch eine Nabelschnur. Der Mond ist verschwunden, und ich kann auch den Horizont nicht erkennen, orientiere mich aber halbwegs am gleichmäßigen Schwappen der ruhigen See entlang des Rumpfs. In der Dunkelheit blitzen immer wieder flackernde Sterne und Planeten auf, auch an Land brennt hier und da Licht, und in unserem Kielwasser wirbeln breite Biolumineszenzbänder. Ich kann mich daran gar nicht sattsehen. Irgendwas an dieser Szenerie erweckt in mir die Frage nach den Mysterien des Lebens.

       Was zur Hölle machen wir hier eigentlich – hier draußen an diesem winzigen Punkt in der Weite? Worum geht es wirklich im Leben?

      Das Großsegel flappt in der leichten ablandigen Brise, erschlafft und füllt sich erneut. Der warme, trockene Wind trägt Staubwirbel und immer wieder Flocken verbrannten Mülls von der guatemaltekischen Küste heran. Ich kneife die Augen zusammen und halte nach den Leuchten anderer Schiffe Ausschau. Antworten auf meine Fragen habe ich nicht, aber immerhin das vage Gefühl, als wäre ich genau dort, wo ich hingehöre.

      Zum Glück haben wir in Puerto Escondido unseren Landsmann Pablo wiedergetroffen, den wir ein Stück nördlich von hier kennengelernt hatten und der uns überredete, unsere Shortboards gegen die längsten Boards einzutauschen, die wir dabeihätten, die Leashes zu lockern und so die Holddowns im wilden Beach Break zu verkürzen. Er bot Shannon sogar sein Big-Wave-Board an. Dank seiner Hinweise legten wir ein paar unvergessliche Rides hin, auch wenn ich ein wenig enttäuscht war, keine einzige Tube hinzukriegen. Als die Wellen uns zu hoch wurden, trommelten wir ein paar mexikanische Surferinnern zusammen, holten meine Freundin Katie ab, die auf Besuch war, und segelten zu einem abgelegenen Surfspot weit jenseits der Stadt. Wir genossen diese gemeinsame Zeit sehr, allerdings standen mir im Angesicht dieser starken Frauen insgeheim sofort wieder meine eigenen Schwächen vor Augen.

      Hier weckt die einsame, dunkle Nacht meine innersten Gespenster. Ich hab sie weit von mir weggeschoben, solange ich mich erinnern kann, und immer einen guten Grund gefunden, um mich nicht mit ihnen auseinanderzusetzen. Beispielsweise habe ich mich nie hübsch genug oder begehrenswert gefühlt; und auch mit den hässlichen Seiten meines Charakters hab ich zu kämpfen: Ich kann fürchterlich geizig sein, ungeduldig und egozentrisch. Ich bin wahnsinnig empfindlich, richte meine Reaktion nach dem Verhalten anderer aus und fälle gern vorschnell Urteile. Hier und da habe ich depressive Phasen, dann dreht sich alles nur noch um mein Unwohlsein, und die Welt um mich herum wird unerträglich.

      Unwillkürlich muss ich an meine Eltern denken. Ich habe mein Lebtag versucht, sie glücklicher zu machen, und nichts hat je funktioniert. Ihr Unglück empfinde ich auch als meins: das unbehagliche Schweigen, die Trauer, die ich nicht annähernd immer nachvollziehen kann, die nächste Bierflasche, die geöffnet wird, Türen, die zuschlagen, Tränen, Zigarettenrauch, Alkohol, Reue, Aneinander-Vorbeireden. Blicke ins Leere. Das Gefühl, allein zu sein, selbst wenn die anderen anwesend sind. Ich spüre, wie sich mir der Hals zuschnürt, und heiße Tränen treten mir in die Augen. Sofort wische ich sie weg.

      Dass mich derlei Gefühle beim nichtigsten Anlass beschleichen können, macht mich schwach und verletzlich. Ich muss diesen Problemen auf den Grund gehen, ich muss die Gespenster vertreiben und vor allen Dingen endlich damit aufhören, Mom und Dad verändern zu wollen. Ich bin jetzt hier, ich lebe meinen Traum. Es gibt keinen Grund mehr, unglücklich zu sein.

      Pschhhhhhh! Pschhhhhhh! Irgendwas kommt ganz in der Nähe an die Oberfläche, um Luft zu holen.

      Dann tauchen aus Steuerbord schimmernde Torpedos auf – Delfine! Sie ziehen Spuren und Wirbel strahlenden Meeresleuchtens hinter sich her. Sie spielen in der Kielwelle der Swell, kehren immer und immer wieder.

      Es ist alles okay. Nein, es ist mehr als okay. Wenn sie Licht in die Dunkelheit bringen können warum sollte ich das nicht auch können?

       Snaggs und Gadget

      Nach fünf Monaten, die Shannon und ich auf der Swell an der Küste entlanggesegelt sind, bricht unsere letzte gemeinsame Passage an. Wir steuern eine Werft in Costa Rica an. Auf Shannon wartet das nächste Abenteuer, auf die Swell das Trockendock: Ein paar normale Instandsetzungsarbeiten stehen an, der Wasserpass muss höher angesetzt werden, und seit ein Blitz uns einen Heidenschreck eingejagt hat, will ich eine Erdungsplatte am Bootsrumpf montieren.

      Während ich dem dichten Regenwald entgegenblicke, der bis ans Ufer reicht, denke ich darüber nach, wie viel wir zusammen geschafft haben. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von fünfeinhalb Knoten und über mehr als zweieinhalbtausend Seemeilen hat sich unser Blickwinkel auf gewisse Dinge ebenso sehr verändert wie die Landschaft, an der wir vorübergesegelt sind. Mit dem turbulenten Asphalt Südkaliforniens haben wir zugleich Abschied genommen von unserer Abhängigkeit von Mobiltelefonie und Terminkalendern. Im Schatten der dürren Berglandschaft und der palmengesäumten Strände Zentralmexikos wurden wir mit der Großzügigkeit der Menschen belohnt, waren zugleich aber auch zusehends entsetzt über den Müll, den wir dort an den Stränden entdeckten. Vor der beeindruckenden nicaraguanischen Vulkanlandschaft erlebten wir, wie eklatant Armut und soziale Ungerechtigkeit sein können: Während junge Mädchen von einem Brunnen Trinkwasser heim in ihre Dörfer schleppten, schlug ein reicher US-amerikanischer Bauunternehmer an einem Küstenstreifen, den er der dortigen Gemeinde mittels Hilfsversprechen abgeknöpft hatte, auf dem eingezäunten Golfplatz seines neuen Strandresorts Bälle über den Rasen. Sowie der dunstige costa-ricanische Regenwald bis runter an die Küste in Sicht kam, testeten wir die Grenzen unserer Autarkie aus, genossen einsame Surferlebnisse und die unverhoffte Begegnung mit Freunden, die uns Proviant brachten, nur um ein kleines Stück weiter gen Süden die zwiespältigen Auswirkungen des Ökotourismus-Booms mitzuerleben.

      Die Veränderungen – sowohl unsere persönlichen als auch die der Küstenlandschaft – vollzogen sich in einer natürlichen Geschwindigkeit: hier ein neuer Geruch in der Luft, dort eine Störung im Landschaftsbild, ein neuer Vogel am Himmel, eine neu erlernte Spanischvokabel, die wärmere Wassertemperatur oder irgendein Vorfall, der uns vor ein Problem stellte, das wir auf uns allein gestellt lösen mussten. Sich mit anderen Lebensbedingungen und Lebensweisen auseinanderzusetzen sorgt dafür, dass einem die Welt viel größer vorkommt – und in unserem Tempo zu reisen, beschert einem die Zeit, gewisse Dinge erst richtig zu verarbeiten und zu durchdringen. Ein Hafenmeister in Mexiko zeigte uns beispielsweise, wie man Sprit aus dem Kanister in den Tank zapft, ohne dass dabei die eigene Lunge zum Einsatz kommt. Ich lernte, runter zum Propeller zu tauchen

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