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einlaufen. Abends lesen wir einander Rachel Carsons Geheimnisse des Meeres vor und debattieren über verschmutzte Strände, Fabriken entlang der Küste und andere Umweltsünden, die wir unterwegs zu Gesicht bekommen.

      In der kleinen Pantry der Swell werden morgens Tee und Porridge gekocht und am Abend Reis und Fisch, ein Curry oder Quesadillas. Gegenüber von Ofen und Spüle dient der rechteckige Deckel der Kühltruhe gleichzeitig als Arbeitsplatte – und wie oft entgleitet uns ein halb fertiges Sandwich oder klauben wir geschnippeltes Gemüse vom Boden auf. Obwohl man meinen sollte, dass auf beengtem Raum doch alles in Reichweite sein müsste, sind mitunter Verrenkungen und eine Menge Geduld nötig. Jeder Schrank, jede Unterbringung ist ein Universum für sich, und eine simple Sache herauszunehmen – ein Werkzeug, eine Pfanne –, heißt unter Umständen, erst alles andere herauszuräumen.

      Auch wenn unser kleiner Wasseraufbereiter wieder wunderbar funktioniert, ist der Verbrauch von Trinkwasser strikt limitiert. Der Einsatz erfordert andauernde Filterwechsel und Reinigung – und Energie. Also spülen wir Geschirr mit Salzwasser, das wir per Pedal in die Pantryspüle pumpen. Wenn wir uns waschen, springen wir von Bord der Swell, seifen uns im Dingi ein und hüpfen ins Meer, anschließend spülen wir uns das Salz unter dem Duschkopf im Achterdeck ab.

      Über Satellit zu telefonieren, kostet ein Vermögen. Wenn es sich nicht gerade um einen Notruf handelt, begnügen wir uns mittels SSB-Funk mit kurzen Textnachrichten nach Hause. Kommunikation geschieht hauptsächlich, wenn wir einen Hafen anlaufen. Dort verbringen wir Stunden in Internetcafés, verschicken E-Mails und Fotos und versuchen, die Fotos oder Artikel über unsere Netzwerke zu Geld zu machen. Barry und ich schreiben einander hauptsächlich E-Mails, weil sein Amateurfunkgerät zu Hause Probleme macht. Er musste sich seinen ersten Computer zulegen, und das trotz seiner »unheilbaren Allergie gegen alle Arten von Elektrogeräten«. Mir macht es Spaß, ihm etwa alle zwei Monate ausführlich von unseren Erlebnissen zu berichten. Anschließend überarbeite und kürze ich die Mails und update damit meine Website, und ich bin begeistert, wie viele Leute sie lesen. Eine Seite mit Surf-Vorhersagen repostet sie sogar! Außerdem will Patagonia – Bekleidungsmarke und Outdoorausrüster – mich sponsern!

      Wann immer wir in einem Hafen ankommen, müssen wir uns erst bei den örtlichen Behörden anmelden. Anschließend füllen wir üblicherweise unseren Proviant, Sprit und das Propangas wieder auf, das wir fürs Kochen brauchen, und erledigen anstehende Reparaturen. Sofern die Möglichkeit besteht, waschen wir Wäsche: Wenn wir Glück haben, im Haus eines Bekannten oder in einem Waschsalon, häufiger jedoch schrubben wir unsere Klamotten in eimerweise Frischwasser, das an Land leichter verfügbar ist. Insofern ist »schmutzig«, was unsere Kleidung betrifft, inzwischen ein relativer Begriff, und was unseren »Style« angeht, ist stylish nicht annähernd so wichtig wie praktisch. Wir tragen Sachen, bis wir sie nicht mehr riechen und ertragen können.

      Mitunter erweisen sich neue Surfspots, Sprachbarrieren oder die örtliche Bürokratie als einschüchternd, doch mit den Einwohnern an sich, mit diesen großherzigen Mexikanern, machen wir ausschließlich positive Erfahrungen. Sie bieten uns Mitfahrgelegenheiten an, frischen Fisch und Hilfe, wann immer sie können. Das allgegenwärtige Mañana bedeutet auch, dass die Bevölkerung es nicht eilig hat: Man begleitet uns ein Stück, stellt sicher, dass wir wissen, wo wir als Nächstes hinmüssen, und wiederholt alles so langsam, dass wir es auch garantiert verstehen. Obgleich für uns die Schere zwischen Arm und Reich augenfällig ist, scheint man hier enge Familienbande zu pflegen und einander nach Kräften zu unterstützen. Bereitwillig hilft man uns bei unseren Gringo-Bedürfnissen, selbst wenn kein Geld im Spiel ist.

      Kurz vor Puerto Escondido holen Shannon und ich den Spinnakerbaum wieder ein und befestigen ihn in der Halterung. Sobald wir vor Anker liegen, beschließen wir, dass wir uns jetzt ein Eis verdient haben. Zum Glück ist es in der Bucht ruhig, sodass wir das Dingi nehmen können. Das ist nicht immer der Fall. Unsere abendlichen Ausflüge hängen davon ab, ob wir das Dingi vor der Küste ankern und durch die Brandung an Land schwimmen können. Dann erscheinen wir tropfnass und sandig und mit unseren wasserdichten Taschen im Schlepp zu Essenseinladungen oder in der Discoteca.

      Um uns die Beine zu vertreten, machen wir einen Spaziergang durch die Stadt, schlendern an Verkaufsständen vorüber, an denen Zuckermais vom Grill, Tacos, traditionelle Webstoffe, allerhand klappernder Plastik-Tinnef, Porträtzeichnungen und kleine Holzschnitzereien angepriesen werden. Als wir einen Eisladen entdecken, stürzen wir hinein. Snaggs und ich sind mit wenig zufrieden: mit einem Eis, ein paar Wellen, einer Handvoll netter Jungs, mit denen wir flirten können, und mit einem halbwegs ruhigen Ankerplatz – und zwar in dieser Reihenfolge.

      Draußen auf dem Gehweg genießen wir die schmelzende Köstlichkeit. Ein paar Kinder spielen in der Nähe auf der Straße ein Ballspiel. Eine Pelota fliegt in unsere Richtung, und ein zuckersüßes, pummeliges Mädchen rennt ihrem Ball hinterher. Dann bleibt sie wie angewurzelt stehen, starrt Shannons Eistüte an und bedeutet ihr, dass sie mal probieren will. Shannon gibt nach und drückt ihr das Eis in die Hand.

      Die kleine Gordita, das »Pummelchen«, wie wir sie nennen, hat das restliche Eis kaum verputzt, als ein breit grinsender Junge angerannt kommt und ein leicht schiefes Rad schlägt. Ich drücke ihm mein Eis in die Hand, stehe auf und schlage ebenfalls ein Rad. Dann wirft das Mädchen Shannon den Ball zu, und Shannon wirft ihn weiter zu mir. Im Handumdrehen schwirrt die ganze Straße nur so von umherfliegenden Pelotas, fuchtelnden braunen Armen, freundlichen Remplern, Zwischenspurts, Tanzschritten und ungebändigten Schreien. Es ist, als wäre die Pausenklingel ertönt und als wären Shannon und ich auf den Schulhof zurückkatapultiert worden.

      Nach einem guten Stündchen, in dem wir Touristen ausgewichen sind, Kinder herumgewirbelt und Pelotas geworfen haben, erhasche ich einen Blick auf Shannon, die in einem unförmigen Kreis von Kindern tanzt und begeistert ein Lied singt. Ich bin mir nicht sicher, wer gerade mehr Spaß hat – wir oder sie? Doch im Gegensatz zu ihnen geht uns allmählich die Puste aus. Wir brauchen einen Fluchtplan.

      »Eis für alle?«, schlage ich vor – mit Barrys Großzügigkeit und der meines Vaters im Hinterkopf –, und Shannon nickt.

      Auch die Mütter, die in der Nähe sitzen, ihre Handarbeiten verkaufen und das Spektakel verfolgt haben, geben ihren Segen. Wir scheuchen die Kinder in den Eisladen, und im Handumdrehen verdoppelt sich ihre Zahl, weil noch andere entlang der Straße mitbekommen haben, was hier gleich passiert. Selbst Juanito Chiquito – der sicher keine zwei Jahre alt ist – wird von seiner Schwester hochgehoben, damit er sich eine Eissorte aussuchen kann. Einer nach dem anderen paradiert mit seiner kalten Leckerei wieder nach draußen. Snaggs und ich gönnen uns eine zweite Portion und setzen uns wieder auf den Gehweg, wo alles angefangen hat und um uns herum eine Horde neuer Freunde, die an ihrem Eis schlecken, lachen und auf- und abspringen. Gordita sitzt eng zu meiner Linken und taucht ihr Löffelchen mal in ihre eigene, mal in meine Eiskugel.

       Ein Stück Demut

      Mit dem Messer in der Hand beuge ich mich über den drallen, mittelgroßen Thunfisch, den wir unterwegs gefangen haben. Die Swell liegt erstmals seit Monaten an einem Dock, und es ist schön, zur Abwechslung richtig Platz zu haben, um einen Fisch auszunehmen.

      Als ich gerade den ersten Schnitt setzen will, schlendert ein schlaksiger Gringo Mitte vierzig auf mich zu und lehnt sich lässig an eine Lagerkiste.

      »Stattlich«, sagt er.

      »Danke.« Ich blicke nicht einmal auf. Auf Zuschauer habe ich gerade keine Lust, doch er hat den Wink wohl nicht verstanden und fängt an, ausführlich von einem Angelerlebnis zu erzählen. Ich habs kapiert, amigo, denke ich mir, du bist der Größte, und jetzt lass mich in Ruhe meinen Fisch zerlegen!

      Er redet und redet, ich verdrehe die Augen und will das erste Filet herausschneiden. Ich war bis drei Uhr nachts wach und hab gegen eine Strömung von drei Knoten und einen wütenden Bienenschwarm angekämpft, um hier anzukommen. Ich bin hundemüde, hungrig und nicht in der Stimmung, mit ihm zu palavern.

      Mein Messer ist nicht scharf genug, und meine Ungeduld macht es nicht

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