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dem Gesicht und die Füße auf der Stereoanlage. Aus den Lautsprechern röhrte eine CD mit ABBAs Greatest Hits: ›Dancing Queen, young and sweet, only seventeen, ooh-ooh ...‹

      Gunvor ging im Zimmer umher und leerte die Aschenbecher. Sie und Lizzie warfen sich über Cattas Gestalt hinweg einen Blick zu. Doch ehe sie etwas tun konnten, war plötzlich Cattas kratzige, betrunkene Stimme aus der Tiefe des Sofas zu vernehmen.

      »So, jetzt bin ich also neunundzwanzig«, sagte sie. »Toll ist das.«

      »Wo ist Charlie?« fragte Gunvor.

      »Was glaubst du wohl?« gab Catta die Frage zurück.

      »Sollte sie nicht auf dem Lande sein?«

      »Nichts da. Sie weiß doch, daß ich Geburtstag habe. Sie sitzt zu Hause mit einer Eieruhr in der Hand und tut so, als sähe sie sich ein Video an.«

      »Mein Gott, wie tragisch«, sagte Lizzie, ohne nachzudenken. Im nächsten Augenblick war Catta vom Sofa aufgesprungen und stand auf Strümpfen vor ihr, das Escada-Kleid verrutscht und die Wimperntusche unter den Augen verschmiert.

      »Denkst du denn, ich begreife das nicht selber?« schrie sie.

      Lizzie erschrak. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte.

      »Beruhige dich«, sagte sie. »Ich habe nicht gemeint ...«

      »Glaubst du, ich bin zu dumm, um zu verstehen, was ihr und alle anderen denkt?« schrie Catta. »Auch wenn ihr euch nicht traut, es laut zu sagen? Glaubst du, ich begreife nicht, in welcher Scheiße ich stecke? Und er, Charlie, ist nur die Spitze des Eisbergs! Er ist nur das oberste Stückchen Spitze, was zu sehen ist!«

      Ehe einer sie hindern konnte, war Catta zur Stereoanlage gestürzt und hatte die Lautstärke noch weiter aufgedreht.

      »Dancing Queen!« brüllte sie mit krächzender Stimme. »Young and sweet, only seventeen!«

      Gunvor ging den Ton leiser drehen.

      »Laß das!« schrie Catta. »Ich muß singen! Ich will singen

      Sie begann mit Gunvor zu streiten, die darauf wartete, den Ton leiser zu stellen. Plötzlich flog Cattas Hand durch die Luft und traf Gunvors Wange. Sie erstarrten beide. Gunvor faßte sich an die Wange, die schon eine schwache Rötung zeigte.

      Catta sank vor ihr zusammen.

      »Entschuldige!« sagte sie. »Entschuldige!«

      Und sie fing an zu weinen, erst geräuschlos, dann immer lauter.

      »Ich bin nicht normal!« schrie Catta unter Tränen. »Seht, was ich gemacht habe! Ich habe meine beste Freundin geschlagen!«

      »Wir müssen sie ins Bett kriegen«, sagte Lizzie.

      Gunvor nickte zur Antwort. Ihre Augen waren groß und glänzend.

      Unter gemeinsamen Anstrengungen brachten sie Catta ins Schlafzimmer und zogen ihr das Goldschwarze vom Leib. Die ganze Zeit klapperte Catta mit den Zähnen zwischen lautem Weinen und zusammenhanglosen Sätzen.

      »Mich gibt es nicht!« stieß sie hervor. »Und ich will nicht, daß ihr hier seid! Ich will euch nicht sehen!«

      »Wir müssen versuchen, sie in ein Bad zu kriegen«, sagte Lizzie.

      Gunvor nickte und ging das Wasser einlassen.

      »Geh nicht!« jammerte Catta. »Geh nicht! Ich bin so entsetzlich allein! Ich bin so allein! Ich will, daß jemand bei mir ist! Ich will, daß mich jemand gern hat!«

      Lizzie blieb stumm. Ihr Herz hämmerte, obwohl sie den ganzen Abend nichts anderes als Mineralwasser getrunken hatte, und ihr Kopf war ganz leer.

      »Ich will zu meiner Mama«, weinte Catta. »Ich will zu meiner Mama.«

      »Jaja, Dummerchen«, sagte Lizzie schließlich. »Jaja. Jetzt gehst du ins Bett. Du bist nur betrunken. Morgen fühlst du dich besser. Morgen fühlst du dich viel, viel besser.«

      Catta weinte nur weiter.

      Natürlich, sie war nicht dumm.

      Während sie die weinende Catta ins Badezimmer führte, ihr Gesicht vorsichtig mit Wasser und Seife wusch und darauf wartete, daß die Wanne sich mit heißem, wohlriechendem Badewasser füllte (indes Gunvor im Wohnzimmer zielstrebig und mit verschlossenem Gesicht einen Aschenbecher nach dem anderen leerte), fragte sich Lizzie, wo, warum und wie in aller Welt sie es gelernt hatte, einer ihrer besten Freundinnen so konsequent direkt ins Gesicht zu lügen.

      10.

      In der Küche im ›Dixie Queen‹ war das Fest in vollem Gange. Ein Koch spielte Gitarre, einige andere machten ein bißchen was zu essen, und überall drängten sich Gäste mit Bierflaschen in den Händen.

      Benjamin saß in einer Ecke und redete mit einem hübschen sechzehnjährigen Mädchen, das Stella von anderen Festen und Clubs her kannte. Das Mädchen hatte lange Beine und nach innen gerollte blonde Locken, und sie trug etwas, das man am ehesten einen Strampelanzug nennen konnte. Ihre ganze Erscheinung wirkte, als bettele sie, von Benjamin gebumst zu werden.

      Stella sah in eine andere Richtung.

      Ein fröhlicher Bursche, der Jonas hieß, kam mit einem Teller Pyttipanna und zwei Gabeln zu ihr angeschaukelt.

      »Hallo Puppe«, sagte er und küßte sie auf die Wange. »Wie geht es dir? Du siehst so verdammt mager aus, daß ich gezwungen war, ein bißchen Futter ranzuschaffen. Hier.«

      Stella schielte auf das warme, dampfende Bauernfrühstück. Es sah gut aus. Er hatte sogar etwas kalten Ketchup an den Rand getan. Ohne weiter überlegen zu können, nahm sie die eine Gabel und begann zu essen.

      Es schmeckte gut.

      In der linken Hand hielt Stella ihre Bierflasche, und hin und wieder nahm sie einen Schluck von dem herrlichen, eiskalten Getränk. Jonas war nett, er brachte sie zum Lachen und gab ihr das Gefühl, umsorgt zu werden. Vermutlich fand er sie attraktiv, doch sie beschloß zu glauben, daß er sie einfach nur mochte. Sie kannten sich seit mehreren Jahren, und er hatte sie jedenfalls noch nicht offen angemacht. Vielleicht war er nur nett? Vielleicht gefiel ihm sogar ihre Persönlichkeit?

      Daß in ihrem Hinterkopf die Warnglocken läuteten, kümmerte Stella nicht im geringsten, nicht nach einer ganzen Flasche Champagner. Sie aß und genoß das Essen und die angenehme Gesellschaft von Jonas, als sei sie einfach irgendein Mädchen.

      Bald war der ganze Teller leer. Jonas steckte mitten in einer amüsanten Geschichte, und Stella warf den Kopf nach hinten und lachte, als sich plötzlich Benjamin an ihr vorbeidrängte, die Sechzehnjährige mit festem Griff hinter sich. Er lächelte böse und wies mit dem Kinn vielsagend auf ihren leergeputzten Teller.

      »Man denkt an die Figur, sehe ich«, sagte er.

      Die Sechzehnjährige schaute Stella an und lächelte ebenfalls, ehe Benjamin sie am Arm zog und mit ihr in der Menge verschwand.

      »Was hat er gesagt?« fragte Jonas.

      Stella antwortete nicht. Sie stellte nur den Teller neben sich ab, sprang vom Tisch herunter und zwängte sich quer durch die Feiernden, fort, raus, weg von diesem abscheulichen Ort, raus auf den Kai, wo ein Taxi ahnungslos herangeglitten kam. Sie stoppte es, öffnete die Tür, sagte ihre Adresse und stieg rasch ein. Der Fahrer nickte und wendete das Auto in der erstbesten Biegung.

      Stella fühlte, wie das Pyttipanna sich in ihrem Magen umdrehte. Stockholm glitzerte vor den Fenstern des Taxis vorbei.

      Sie steckte im Inneren eines Diamanten.

      11.

      Zu Hause stellte Stella die ganze Küche auf den Kopf. Was spielte es für eine Rolle; Benjamin käme ja doch nicht vor morgen früh nach Hause. Sie rührte rasch einen Brei aus Mehl, Butter und Zucker zusammen, den sie in sich hineinstopfte, schnell, schnell, und mit Milch hinunterspülte. Milch war gut zum Auflösen und hielt doch alles zusammen; besser als Wasser,

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