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übernehme ich«, entschied Berger.

      »Nein!«, rief Christina verärgert aus. »Herr Lehmkuhl ist mein Patient! Es war abgemacht, dass Sie nach der Übergabe in den Urlaub verschwinden und ich hier weitermache.«

      »Was für ein Nonsens! Niemand kennt den Patienten so gut wie ich. Ich werde nicht zulassen, dass Sie an ihm rumdoktern, ohne zu wissen, was Sie da tun. Ich behandle ihn, und danach gehe ich in den Urlaub! Wenn Ihnen das nicht passt, rennen Sie doch zu Norden und klagen sich aus!«

      Fassungslos sah Christina zu, wie Erik Berger an ihr vorbeirauschte und schnurstracks zu ihrem Patienten lief. Fast wäre sie ihm hinterhergelaufen. Glücklicherweise siegte ihre Vernunft, und sie verzichtete auf eine erneute Konfrontation mit ihrem unliebsamen Kollegen.

      »Tut mir leid, Frau Doktor«, meinte Anna betreten. »Vielleicht hätte ich warten sollen, bis er weg ist.«

      Christina schluckte den kläglichen Rest ihres Ärgers runter. »Sie haben nichts falsch gemacht, Schwester Anna. Der Patient hat sicher furchtbare Schmerzen und braucht schnellstmögliche Hilfe. Und um ehrlich zu sein ist er bei einem Arzt, der ihn gut kennt, wirklich am besten aufgehoben. Gönnen wir Dr. Berger diesen kleinen Triumph und dem Patienten die gute Behandlung. In der Zwischenzeit kann ich mich um die anderen Patienten kümmern. Es gibt sicherlich nicht nur Herrn Lehmkuhl, der behandelt werden muss.«

      Anna nickte. »Ja, in der Zwei wartet ein Hobbyfußballer mit Kniebeschwerden. Und Dr. Ganschow versorgt bereits die leichteren Fälle. Er ist gerad’ bei einem Achtjährigem, der vom Rad gefallen ist und Schmerzen in der rechten Hand hat.« Dr. Ganschow war einer der beiden Assistenzärzte, die derzeit der Aufnahme zugeteilt waren. »Er hat schon mal angefangen, weil er nicht bei der Übergabe stören wollte«, erklärte Anna.

      »So wie es aussieht, ist die Übergabe vorbei, und ich bin bereit, Gutes zu tun«, erwiderte Christina lächelnd.

      Anna lachte leise. »Den Fußballer in der Zwei wird’s freuen. Genauso wie die anderen Patienten im Warteraum.«

      Christina sprang voller Eifer auf und strich beim Hinausgehen ihren weißen Kittel glatt. Den kleinen Streit mit ihrem ewig grummelnden Kollegen hatte sie längst vergessen. Sie liebte ihre Arbeit und ging in ihr auf. Da blieb kein Platz für unliebsame Gedanken. Erst Stunden später, als in der Notaufnahme der Behnisch-Klinik Ruhe einzog und sie sich auf die Suche nach einem starken Kaffee machte, dachte sie wieder an Erik Berger.

      »Ist er weg?«, fragte sie Schwester Anna, die im Pausenraum an der Kaffeemaschine hantierte.

      Anna nickte. Auch wenn die Chirurgin keinen Namen genannt hatte, wusste sie, von wem die Rede war. »Ja, nachdem er Herrn Lehmkuhl persönlich in der Urologie abgeliefert hatte, ist er gegangen.« Sie verzog das Gesicht. »Ich musste ihm allerdings erst versprechen, gut auf ›seinen Laden‹ aufzupassen.«

      Christina lachte. »Es muss wirklich schrecklich für ihn sein, die Aufnahme allein zu lassen.«

      »Ja, das ist es. Ich bin schon sehr gespannt, wie lange er es ohne seine Arbeit aushalten wird.«

      Christina bedankte sich für den Kaffee, den ihr Anna reichte, und fragte dann irritiert nach: »Was meinen Sie damit? Er hat in der gesamten nächsten Woche Urlaub.«

      Als Anna nur ihren Mund zu einem gequälten Lächeln verzog, ahnte sie Böses. »Wollen Sie etwa andeuten, dass er hier ständig aufkreuzen wird?«

      »Ja, tut mir leid. Ich hatte angenommen, Sie wüssten das. Im vergangenen Jahr war das auch schon so gewesen.«

      »Ich habe erst im letzten Sommer an der Behnisch-Klinik angefangen.«

      »Ach ja … richtig.« Anna druckste ein wenig herum, bevor sie berichtete: »Der Chef hatte ihn mal wieder gezwungen, Urlaub zu machen. Dr. Körner hat dann die Vertretung übernommen.«

      »Dr. Körner?«, fragte Christina verwundert nach. »Wer ist Dr. Körner?«

      »Er hat hier als Chirurg gearbeitet, genau wie Sie. Leider hat er gekündigt, nachdem …« Anna biss sich auf die Zunge, um nicht weiterzusprechen.

      »Bitte sagen Sie nicht, dass er gekündigt hat, nachdem er die Vertretung für Berger machen musste.«

      »Offiziell nicht. Da hieß es, er brauche eine Luftveränderung und würde an eine Rehaklinik an die Ostsee wechseln. Aber inoffiziell … Es war schon merkwürdig, dass er seine Kündigung direkt nach der Vertretungszeit abgegeben hatte. Da gab es natürlich wilde Spekulationen und eine große Aufregung. Dr. Norden hatte noch versucht, Herrn Körner diese Kündigung auszureden, aber sein Entschluss stand fest. Kurz darauf packte Körner seine Sachen und kehrte München den Rücken.«

      Christina war skeptisch. »Das ist schon ein großer Schritt, nicht nur die Klinik zu verlassen, sondern gleich das Bundesland. Es fällt mir irgendwie schwer zu glauben, dass das allein an Dr. Berger gelegen haben könnte.«

      »Wenn Sie diese Woche mitgemacht hätten, würden Sie nicht zweifeln«, bekräftigte Anna ihre Worte. »Es war die reinste Hölle! Obwohl Herr Berger im Urlaub war, kreuzte er hier ständig auf. Oft blieb er den ganzen Tag und hat ­einfach mitgearbeitet. Und das Schlimmste: Alle Fälle, die Dr. Körner behandelt hatte, wurden von ihm überprüft. Natürlich hatte er immer etwas auszusetzen gehabt. Die beiden haben sich hier endlos lange und lautstarke Wortgefechte geliefert.«

      »Und Dr. Norden ist nicht eingeschritten?«, fragte Christina erstaunt.

      »Dr. Norden hatte keine Ahnung gehabt. Die erste Hälfte der Woche war er in Stuttgart auf einem Kongress. Von dem Ärger hier hat er gar nichts mitbekommen. Und danach …« Anna zuckte hilflos die Schultern. »Niemand hat ihm davon berichtet. Alle haben dazu geschwiegen. Glauben Sie mir, darauf bin ich nicht besonders stolz. Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn ich zu Dr. Norden gegangen wäre. Aber bis zum Schluss hatte ich angenommen, dass die beiden das allein hinbekommen würden. Immerhin sind sie erwachsene Männer und keine ungezogenen Buben …«

      »Erwachsene Männer? Sind Sie sich da völlig sicher?« Christina verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Machen Sie sich bitte keine Vorwürfe, Anna. Es war nicht Ihre Aufgabe, zwischen den Streithähnen zu vermitteln. Dr. Körner hätte den Chef um Hilfe bitten ­müssen. Ich würde es jedenfalls so machen. Solche Machtspiele liegen mir nämlich nicht. Sollte Herr Berger in der nächsten Woche die gleiche Masche auch bei mir abziehen, wird er sehr überrascht sein, wie schnell er sich im Büro des Chefarztes wiederfindet.«

      *

      In den nächsten Stunden blieb Christina kaum Zeit, an Dr. Berger zurückzudenken. Sie hatte so viel zu tun, dass sie kaum zum Luftholen kam. Als sie sich am Morgen in das Wochenende verabschieden konnte, freute sie sich auf zwei ruhige, erholsame Tage, die sie zum größten Teil mit einem guten Buch auf der Couch verbringen wollte.

      Ausgeruht und in bester Stimmung kehrte sie am frühen Montagmorgen an ihren neuen Arbeitsplatz zurück. Ihre gute Laune verflog jedoch, als sie sah, wer sie dort bereits erwartete. Dr. Erik Berger saß an seinem Computer und studierte sorgsam die Aufzeichnungen der letzten Tage.

      »Haben Sie nicht Urlaub?«, fragte sie eisig, statt einer Begrüßung.

      »Ja, und?«, gab Berger genauso frostig zurück. »Was ich in meinem Urlaub mache, sollte Ihnen egal sein.«

      »Solange Sie mir nicht in die Quere kommen und dabei meine Arbeit behindern, tut es das auch.«

      Christina blieb unschlüssig im Raum stehen. So wie es aussah, war ihr Arbeitsplatz besetzt. Was sollte sie machen? Ihn wegscheuchen? So mutig war sie leider nicht. In einer Ecke neben der Tür gab es einen kleinen Tisch, der als Ablagefläche für alte Akten genutzt wurde. Dort stellte sie ihre Tasche ab und verließ dann das Büro. Draußen atmete sie tief durch und entschied, kein Drama aus Bergers Anwesenheit zu machen. Es kam gar nicht selten vor, dass sich Kollegen auch während ihrer freien Tage in der Klinik blicken ließen, um Sachen aufzuarbeiten. Wahrscheinlich war er bald wieder verschwunden. Kurz dachte sie daran, was ihr Anna von Dr. Körner erzählt hatte. Eine kleine, mahnende Stimme meldete sich in ihr zu Wort, die sie jedoch schnell fortjagte. Auf sie

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